Paul Klee war seiner Zeit weit voraus. Ziemlich genau 100
Jahre bevor die Teppichmuster aus Nordafrika Einrichtungsmessen dominierten,
Magazinseiten füllten und Altbaudielen bedeckten, hatte sich der Maler schon
ein Exemplar gesichert. Während seiner Tunisreise 1914 kritzelte Klee
Teppichskizzen in sein Tagebuch. Sie sind die Vorlage für sein Werk „Teppich
der Erinnerung“, das Klee immer wieder übermalte. Unlesbare Schriftzeichen, verschiedenste
geometrische Formen und Franzen am Rand hat der Künstler mit Ölfarben auf
Leinen gemalt. Das Bild ist auch eine Hommage an das Kunsthandwerk traditioneller
Berberstämme aus dem Atlas-Gebirge. Jeder Teppich ist dabei ein Unikat, gelebte
Tradition seit Jahrhunderten und schon seit Dekaden in Designerkreisen geliebt.
In Form von Rechtecken, Rauten und Diamanten erzählen die Hochflor-Teppiche oft
eine Stammesgeschichte. Beni Ourain (auch: Beni Ouarain) ist dabei der
bekannteste Vertreter der sogenannten Berberteppiche. Er besticht durch eine
Grundfarbe in creme oder weiß, durchbrochen mit dunklen Linien-Rautenmuster.
Mit seinem klaren Design passt der Beni Ourain ideal in die „Scethno“-Looks und
das Japanordic-Interior europäischer Wohn- und Schlafzimmer. Wer es farbenfroher
will, kann auf Teppiche mit den klangvollen Namen Boucherouite oder Azilal zurückgreifen. Bereits seit dem 8.
Jahrhundert hat die Webtradition Bestand. In den zurückliegenden 20 Jahren
haben die Teppichimporte aus Nordafrika rapide zugenommen.
Ein handgeknüfter Beni Ourain wird zur Rarität
Doch die ungebrochen hohe Nachfrage nach handgeknüpften Berberteppichen hat auch ihre Schattenseite. Immer mehr Fälschungen finden ihren Weg in den Handel. Mit Massenwaren aus Plastikfasern versuchen Fabrikanten das zu imitieren, was den Berberteppich einzigartig macht: das perfekte Unperfekte. Denn ein echter Berberteppich ist alles andere als dekorative Massenware. Bis heute werden die Teppiche von Berberstämmen im höchsten Gebirge Nordafrikas auf traditionellen Webstühlen von Hand gewebt und geknüpft. Sie sind Wärmespender für die Nomadenfamilien, die im Atlas-Gebirge ihre Zelte aufschlagen. Die Stämme von Beni Ourain wickeln sich in die übergroßen Teppiche ein, die klassischerweise eine Abmessung von etwa 400 x 200 cm haben. Doch während die Nachfrage aus Europa und Nordamerika in den letzten Jahren stetig gestiegen ist, geht die Zahl der indigenen Stämme, die sich auf die Teppichkunst spezialisiert haben, rapide zurück. Zunehmend weicht die nomadische Kultur einer festen Landwirtschaft und anderen Formen des Broterwerbs.
Der Marktlogik folgend heißt das für den Berberteppich: Die
Preise für handgeknüpfte Unikate aus Marokko sind im Höhenflug. „Insbesondere
bei alten Teppichen ist ein Preissprung bemerkbar. Und als alt gelten dabei
schon Teppiche aus den 70er- und 80er-Jahren“, sagt Franz ten Eikelder. Seit 35
Jahren ist er als Sachverständiger für Teppiche bei der Industrie- und Handelskammer
vereidigt. In Boutiquen werden für restaurierte Vintage-Teppiche auch schon mal
Preise von mehreren tausend Euro aufgerufen. Am Ende sei das mit der Wertigkeit
eines Teppichs, aber nicht anders als beim Oldtimer, meint ten Eikelder. Mit
ungepflegten Schmuckstücken lässt sich kein Vermögen machen, das Herstellungsjahr
allein definiert noch nicht den Marktpreis. In welchem Zustand ist der Teppich?
Die Wolle welcher Schafsrasse wurde verwendet? Welche Muster zieren den
Teppich? Wie dicht ist er geknüpft? All das sind Fragen, die über den Preis
entscheiden. In der Pandemie kam hinzu, dass Lieferengpässe und gestiegene
Transportkosten nochmals die Preisspirale nach oben gedreht haben. Um die
ungebrochen hohe Nachfrage zu bedienen und die Stückpreise niedrig zu halten, werden
mittlerweile nur noch die wenigsten Teppiche im Hochgebirge handgeknüpft. Über
80 Prozent der Teppichimporte aus Marokko werden in Manufakturen der Großstädte
gewebt, schätzt der Experte. Genaue Zahlen zu Importen und Herstellung liegen
nicht vor.
Bis zu 280 Arbeitsstunden stecken in einem Unikat
Das hat auch damit zu tun, dass Beni Ourain oder Azilal keine
patentierten Markennamen oder Herstellungsprozesse sind, sondern zunächst
einmal Sammelbezeichnung für dutzende Berberstämme. Das verleitet zum
Etikettenschwindel. Der Schwindel beginnt schon bei der Schurwolle. Ein
originaler Beni Ourain kommt ohne Farbstoffe aus. Vielmehr sind es die Schafe selbst
mit ihrer unterschiedlichen Wollfarbe, die für die charakteristischen
Farbmuster verantwortlich sind. In Fabriken hingegen kommen regelmäßig giftige
Anilinfarben zum Einsatz. Auch beim Produktionsstandort nehmen es einige
Teppichproduzenten nicht mehr so genau. „Made in India“-Schilder auf
Berberteppichen. Was wie ein schlechter Scherz klingt, hat es bis in die
Verkaufsräume nach Deutschland geschafft. Beim Kauf ist deshalb größte Vorsicht
geboten. Bei der Unterscheidung von billigem Imitat und traditionellem Unikat,
in dem laut Fair-Trade-Onlineshop „The Anou“ bis zu 280 Stunden Arbeit stecken
können, hilft ein Blick auf die unterschiedlichen Herstellungsprozesse.
Originalteppiche sind aus Wolle von Hochlandschafen. Fälschungen hingegen sind oftmals
ein Plastikprodukt, bei denen die widerstandsfähige und kostengünstige Kunstfaser
Polypropylen zum Einsatz kommt. Für den Laien ist
der Unterschied nicht immer zweifelsfrei auszumachen. Auf den Märkten in
Casablanca oder Rabat zünden die Händler deshalb gerne demonstrativ einzelne
Wollfäden an, um die Echtheit ihres Fabrikats zu demonstrieren. Schurwolle verkohlt,
ohne in Flammen aufzugehen. Plastikimitate hingegen verbrennen mit einer blauen
Flamme und riechen nach Kerzenwachs. Praxistauglicher als der
Feuertest in den eigenen vier Wänden ist ein genauer Blick auf die Rückseite
des Teppichs. Knotenverschiebungen deuten darauf hin, dass hier Menschen Hand
angelegt haben. Oder genauer gesagt: Frauen. Denn das Teppichhandwerk ist in
Nordafrika traditionell Frauensache.
Faustregel: Je dichter geknüpft, desto hochwertiger
„Ein Teppichkauf ist Vertrauenssache. Ich rate deshalb, sich nicht nur auf Bilder zu verlassen, sondern den Teppich vor dem Kauf immer auch selbst in Augenschein zu nehmen und anzufassen“, sagt Anne Tönsmann. Die Juniorchefin des gleichnamigen Fachgeschäfts für Teppiche empfiehlt auch den Flor des Teppichs mit dem Fingern zu teilen. Sieht man die geknüpften Knoten, ist der Teppich nicht sehr dicht gewebt. Bei Teppichen minderer Qualität sieht die Wolle so aus, als wäre sie in Reihen angeordnet und die Knüpfstruktur dazwischen ist deutlich sichtbar. Als Faustregel gilt: Je filigraner und dichter ein Teppich geknüpft ist, desto hochwertiger ist er. Die Anzahl der Fäden gibt dabei Aufschluss über die Wertigkeit: Simple, double oder gar triple. Die französischen Knotenbezeichnungen bedeuten nichts weiter, als dass der jeweilige Knüpffaden einfach, doppelt oder dreifach gelegt wird. Werden mehr Wollfäden pro Knüpfknoten verwendet, dann wird auch die Oberfläche dichter.
Zu den edelsten Vertretern zählt der sogenannte
Königsberber, der früher Königspalästen und Moscheen vorbehalten war Er ist mit
dem doppelten Knoten geknüpft und hat eine Dichte von bis zu 400.000 Knoten pro
Quadratmeter. Jeder Quadratmeter Teppich entspricht einer Arbeitszeit von
mehreren Tagen. Im Teppichmuseum Tönsmann ist ein solches Exponat ausgestellt
mit Schurwolle einer ausgestorbenen marokkanischen Hochlandrasse.
Herstellungsjahr: circa 1890, Schätzwert: 30.000 Euro. Ist der Berberteppich also
doch eine handgewebte Wertanlage? Tönsmann lässt sich zu einem klaren „Es kommt
ganz darauf an“ hinreißen: „Der Teppich ist erstmal ein Gebrauchsgegenstand.
Wenn ich daraus ein Geschäftsmodell machen will, brauche ich neben der nötigen
Teppichexpertise auch das handwerkliche Geschick für Restaurationen von
Vintage-Unikaten.“
Ein Beni Ourain ist wie ein guter Wein - er braucht Zeit, um zu reifen
Der Vorteil bei hochwertigen und dicht geknüpften Teppichen:
Es verfängt sich seltener Sand und Staub im Grundgewebe. Die Pflege kann nach
dem Neukauf auf ein Minimum reduziert werden. In den ersten Wochen und Monaten
muss sich der Flurfaden zunächst verfestigen. Zu viel Klopfen und Saugen dünnt
da den Teppich nur unnötig aus. Und auch nach der Eingewöhnungszeit ist
Vorsicht der beste Ratschlag. Straßenschmutz lässt sich mit Essigwasser
behandeln, der Griff zu chemischen Mitteln zerstört nur das Wollfett. Beim
Saugen gilt: Blanker Schlitten, kleinste Stufe. Ein guter Wein braucht Zeit zum
Reifen, heißt es. Ähnlich verhält es sich auch beim Berberteppich. Zum richtig
weichen und seidigen Schmuckstück werden sie erst nach ein paar Jahren. So
lohnt sich die Investition in den Hochflorteppich auch ohne gewinnbringenden
Weiterverkauf.