Helen Bielawa

Freie Journalistin, Bielefeld

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Online gründen in E-Estonia: Wo Steuern erklären als Nationalsport gilt

Sebastian Kühn lebt als digitaler Nomade und verwaltet sein estnisches Unternehmen online. (Foto: Sebastian Kühn/ Wireless Life)


Estlands Steuersystem liegt auf Platz eins im OECD-Vergleich. Internationale E-Residents können dort digital ein Unternehmen gründen - das lohnt sich aber nur in bestimmten Fällen.

Es ist Montag, der 15. Februar, 9.30 Uhr in Estland. Das Online-System für Steuererklärungen ist seit wenigen Stunden offen und knapp 100.000 Menschen haben ihre Steuererklärung schon eingereicht. Andere beschweren sich, dass das System überlastet ist und sie nicht direkt durchkommen. Steuererklärungen einzureichen, ist eine Art Nationalsport in Estland, erklärt die Steuerbehörde den Ansturm auf die Systeme - und bittet die Bürger, ein paar Tage zu warten.


Der digitale Staat: Was können wir von Estland lernen?

Estland gilt als digitaler Vorzeigestaat. Das kleine baltische Land ist bekannt für seine Startup-Dichte, ermöglicht quasi alle Behördengänge online und bietet diese Services auch seinen weltweiten E-Residents an. Unsere Autorin Helen Bielawa lebt aktuell in Estland und recherchiert zu Innovationen im öffentlichen Sektor. In dieser Artikelreihe zeigt sie, was hinter Estlands Image steckt und was Deutschland davon lernen kann.


Nach offiziellen Angaben dauert es drei bis fünf Minuten, die Steuererklärung einzureichen, in einfachen Fällen ist nur ein Klick nötig. Das Ganze funktioniert so schnell, weil die Formulare vor-ausgefüllt sind. Ein Online-Portal zeigt die Höhe der Rück- oder Nachzahlung an. Wer nichts einzuwenden hat, muss die Summe nur mit einem Klick bestätigen. Etwa 98 Prozent aller Steuererklärungen werden in Estland online eingereicht.


Die digitale Infrastruktur X-Road und die damit verbundenen digitalen Ausweise machen das möglich. Mit ihrer ID-Karte, einem Kartenlesegerät und ihren Zugangsdaten loggen sich Bürgerinnen und Bürger in die offiziellen Portale ein, unterschreiben digital, stellen Anträge oder machen die Steuererklärung.


Einzigartig in der OECD

Nicht nur die Technologie, sondern auch die Regeln dahinter machen Estlands Steuersystem interessant - laut der Tax Foundation ist es einzigartig unter den OECD-Staaten. Der Thinktank aus Washington vergleicht jährlich die Steuersysteme der OECD-Staaten. Estland lag 2020 zum siebten Mal in Folge auf Platz eins.


Die ausschlaggebenden Kriterien für das Ranking sind Wettbewerbsfähigkeit und Neutralität. Je geringer die Steuern und je einfacher das System, desto besser für das Wirtschaftswachstum, so das Prinzip der Tax Foundation.


Estland rankt bei diesem Vergleich aus vier Gründen so gut: Unternehmen zahlen 20 Prozent Steuern, aber nur auf tatsächlich ausgeschüttete Gewinne. Privatpersonen zahlen 20 Prozent Steuern auf Einkommen, nicht auf Dividendeneinkünfte. Grundsteuer wird nach Grundstückswert berechnet, nicht nach Immobilien oder Kapital. Ausländische Gewinne müssen im Inland nicht besteuert werden.


Ein digitales Unternehmen in Estland gründen

Wer dieses System nutzen will, muss dafür nicht einmal in Estland leben. Über die E-Residency bietet Estland seine staatlichen Services Menschen auf der ganzen Welt an. Dazu gehört auch die digitale Unternehmensgründung. Ob sich das lohnt, hängt von den Regeln im Heimatland und der persönlichen Situation ab.


Sebastian Kühn hat sich 2012 in Deutschland abgemeldet und lebt seitdem als digitaler Nomade, aktuell in Portugal. Seit 2015 ist er digitaler Bürger Estlands. Damit war er einer der ersten, die das Angebot genutzt haben, anfangs vor allem aus Neugier.

2017 hat er mit zwei Mitgesellschaftern Citizen Circle, eine Community für digitale Nomaden, als digitales Unternehmen in Estland gegründet. „Wir saßen zu dritt im Skype-Call, jeder auf einem anderen Kontinent und haben gemeinsam digital den Vertrag unterschrieben, das war schon cool", erinnert sich Kühn.


Im Gegensatz zu Deutschland kann man über die estnische E-Residency ein Unternehmen komplett digital ohne einen Wohnsitz anmelden. Eine virtuelle Geschäftsadresse bieten diverse Agenturen an, die sich für monatlich 30 bis 150 Euro auch um die Buchhaltung kümmern.


Diese Steuern fallen an

Kühn hat drei Möglichkeiten, Geld aus der Firma zu entnehmen: Schüttet er Gewinne über Dividenden aus, werden 20 Prozent Steuern abgezogen. Wenn sich die Geschäftsführer ein Gehalt für Manager-Tätigkeiten zahlen, fallen 20 Prozent Steuern plus 33 Prozent Sozialabgaben an. Die dritte Option ist, sich selbst anzustellen und ein Gehalt auszuzahlen. Das wird dort versteuert, wo man gemeldet ist - bei digitalen Nomaden wie Kühn also nirgends.


Alle Zahlungen als Gehalt zu deklarieren, wäre aber nicht sehr glaubwürdig. Diese scheinbar lukrative Lösung eignet sich also nur für einen Teil des Geldes.


Doppelte Steuern oder gar keine Steuern?

Wer nicht als digitaler Nomade unterwegs, sondern im Heimatland gemeldet ist, muss das ausgeschüttete Geld gegebenenfalls nochmal versteuern. In Deutschland ist das dank eines Doppelbesteuerungsabkommen nicht der Fall. Deklarieren muss man die Einnahmen trotzdem - und gegebenenfalls die Differenz zahlen. Der Papierkram bleibt.

Kühn macht aktuell vor allem von einer vierten Option Gebrauch: Das Geld einfach im Unternehmen lassen. Denn was nicht ausgezahlt wird, wird in Estland nicht versteuert. Wer Gewinne direkt für die Weiterentwicklung des Unternehmens nutzen will oder in Aktien oder Kryptowährungen investiert, kann das innerhalb des Unternehmens steuerfrei tun.


Es geht nicht ums Steuern sparen

Mit der E-Residency lassen sich also nicht wirklich Steuern sparen. Mit einer Einkommens- und Körperschaftssteuer von 20 Prozent lässt sich das Land zudem nicht mit Steuerparadiesen vergleichen. Sebastian Kühn generiert sein monatliches Einkommen deshalb über ein zweites Unternehmen, das er in Hong Kong gemeldet hat.


Aber im Vergleich zu einer Steueroase wirkt ein Sitz in Estland und damit in der EU deutlich seriöser. Und im Vergleich zu Deutschland funktioniert alles digital, von der Gründung über die Buchhaltung bis zur Liquidierung - das macht das System interessant für digitale Nomaden.


„Wer ein unkonventionelles Leben lebt, passt in Deutschland nicht rein", sagt Kühn. Er erinnert sich an komplizierte Grauzonen bei Steuern und Krankenversicherung nach der Abmeldung in Deutschland. „Die meisten digitalen Nomaden wollen sich gar nicht vor Steuern drücken, sondern brauchen einfach Klarheit. Prinzipiell würde ich auch gern in Deutschland meine Steuern zahlen", fügt er hinzu. Aber das geht eben nicht ohne einen Wohnsitz.


Fazit: Für wen lohnt sich die Gründung in E-Estonia?

Die E-Residency und ein digitales Unternehmen in Estland lohnen sich also für digitale Nomaden, die ohne festen Wohnsitz unterwegs sind. Sie profitieren von einem Unternehmen mit Sitz in der EU, das komplett digital verwaltet werden kann.

Wer in Deutschland gemeldet ist, hat doppelten Aufwand bei der Steuererklärung und spart nicht. Einige Vorteile bleiben aber: die Möglichkeit, steuerfrei innerhalb des Unternehmens zu investieren, günstige Gründung und Buchhaltung sowie das vergleichsweise geringe Startkapital von 2.500 Euro.

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