Helen Bielawa

Freie Journalistin, Bielefeld

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Für risikobereite Landwirte: Sensibler Schlafmohn kehrt zurück

Für risikobereite Landwirte : Sensibler Schlafmohn kehrt zurück

Lilafarbene Mohnblüten zieren an einigen Orten in NRW aktuell die Felder. Die Pflanzen erfordern von Landwirten Fingerspitzengefühl - und Risikobereitschaft.

Die Felder von Werner Klemme könnte man verwechseln mit niederländischen Tulpenfeldern: Lilafarben Blüten, teils mit einem Durchmesser von 15 Zentimetern, soweit das Auge reicht, zieren die Umgebung von Kalletal. „Diese Farbe sieht man normalerweise nicht auf Feldern in unseren Breitengraden", sagt Klemme. Das lockt aktuell Spaziergänger, Touristen und sogar einige Brautpaare an, die sich gern im Blütenmeer fotografieren lassen. Hier im Kreis Lippe wächst Schlafmohn, der in ein paar Wochen in Brötchen und Mohnschnecken landet oder zu Öl verarbeitet wird.

Klemme ist einer von wenigen Landwirten in Deutschland, die Mohn anbauen. Denn Schlafmohn fällt unter das Bundesbetäubungsmittelgesetz. Beim Anritzen der Kapseln an den Pflanzenstängeln tritt opiathaltiger Milchsaft aus, erklärt Hanna Blum von der Uni Bonn. Eigentlich habe der Mohnanbau in Deutschland Tradition, durch die Reglementierung sei er aber verschwunden.

Inzwischen gibt es speziell gezüchtete Sorten, die kaum Opiate enthalten. Drei opiatfreie Mohnsorten seien in Deutschland für den landwirtschaftlichen Anbau zugelassen, so Blum. Dadurch kehre der Mohn langsam auf deutsche Felder zurück. In den letzten zwei Jahren habe sich die Anbaufläche mehr als verdoppelt, auf aktuell etwa 500 Hektar.

Bei der Bundesopiumstelle reicht Klemme jährlich einen Nachweis ein, dass er eine zugelassene Sorte einkauft und sät. Darüber hinaus muss er keine Auflagen einhalten. Laut Klemme sind es nicht die Regeln, sondern die anspruchsvollen Pflanzen, die viele Landwirte vom Mohnanbau abschrecken.

„Der Mohn ist eine ganz sensible Pflanze", sagt Hanna Blum. Von Jahr zu Jahr könne der Ertrag stark schwanken. Die kleinen Samen werden nur wenige Zentimeter unter der Erdoberfläche eingesät. Regnet es zu wenig, liegen sie im Trockenen. Dann bilden sie weniger Triebe mit kleineren Kapseln, also auch weniger Samen. „Das ist etwas für Betriebe mit Risikobereitschaft", so Blum. Ihren Informationen nach gibt es deutschlandweit weniger als 70 Landwirte, die Mohn anbauen.

„Man braucht viel Fingerspitzengefühl, es gibt kein Patentrezept, das eine gute Ernte garantiert", sagt Klemme. Er hat erst im letzten Jahr mit dem Mohnanbau angefangen. Seitdem hat er viel experimentiert, den Mohn mal tiefer, mal flacher eingesät, mal dichter, mal mit mehr Abstand. Auch der Zeitpunkt der Aussaat sei entscheidend. Klemme hatte extra schon im September sogenannten Wintermohn gesät. Der keimt langsamer und kann einem trockenen Sommer besser trotzen.

Ausgerechnet in diesem Jahr war der Winter so mild, dass das Unkraut schneller wuchs als der Mohn. „Im April haben wir kurzerhand die Notbremse gezogen, den Wintermohn umgepflügt und stattdessen Sommermohn gesät." So richtig war die Aussaat trotzdem nicht von Erfolg gekrönt. „Eigentlich müssten jetzt doppelt so viele Pflanzen stehen", sagt Klemme.

Im Rahmen eines Forschungsprojekts will Blum mehr Landwirte motivieren, die anspruchsvolle Pflanze anzubauen. Sie untersucht, wie der Anbau gelingen kann und wie Mohn für mehr Biodiversität auf deutschen Feldern sorgen kann. Mit ihr tauscht Werner Klemme sich regelmäßig aus. Außerdem vernetzt Hanna Blum die Landwirte mit lokalen Betrieben, die den Mohn weiterverarbeiten.

Einer davon ist die Biobäckerei von David Lee Schlenker in Hennef. Er erinnert sich noch genau daran, als Hanna Blum ihm vor drei Jahren zum ersten Mal eine Tüte mit heimischem Mohn unter die Nase hielt: „Ich dachte, die Sonne geht auf. Der heimische Mohn riecht nach Blumenfeldern, Marzipan und Aprikosenkernen. Der normale Mohn riecht irgendwie dumpf", beschreibt er den Geruch. Auch der Geschmack sei „um Welten anders" als der des importierten Mohns.

Wird Mohn aus Australien oder China importiert oder lange eingelagert, werde er schnell ranzig und bitter, erklärt Blum. Außerdem seien diese Sorten opiathaltig. Mit spezieller Bedampfung werde der Mohn davon befreit. Das schade dem Geschmack, das nussige Aroma gehe verloren. Im Gegensatz dazu sei der hier angebaute Mohn frei von Opiaten und könne direkt weiterverarbeitet werden.

Diese Qualität soll den Preis rechtfertigen. Für regional angebauten Mohn zahlt Schlenker 20 bis 25 Prozent mehr als für importierten. Die Nachfrage nach lokalen Produkten sei groß, sagt der Bäcker. Pro Jahr braucht er sechs Tonnen Mohn. Knapp ein Fünftel davon kommt aus der Region. Schlenker würde gern ausschließlich auf regionalen Mohn setzen. Deshalb sucht er weitere Höfen für eine Zusammenarbeit.

Auch Klemme berichtet von reichlich Nachfrage. Weil viele Bäckereien bereit seien, für regionale Produkte mehr zu zahlen, könne er schlechtere Ernten wie in diesem Jahr verkraften, sagt er. Schon jetzt, im zweiten Jahr seiner Mohnproduktion, übersteige die Nachfrage die Menge, die er anbieten kann. Er arbeite deshalb jetzt mit anderen Höfen zusammen, die in seinem Auftrag Mohn anbauen, damit er im nächsten Jahr noch mehr Mohn ausliefern kann.

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