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Frische Landluft in der Großstadt - der Wiesbadener Wochenmarkt im Test

An einen Bummel über den Markt hat der gemeine Stadtmensch so seine Erwartungen. Er möchte regionales Obst und Gemüse kaufen, das aussieht, als hätte der freundliche Bauer mit Latzhose und Karohemd es soeben aus der Erde gezogen oder vom Baum gepflückt. Er sehnt sich nach Entschleunigung und kompetentem Service, wünscht ein hochwertiges Fleisch- und Fischangebot sowie eine üppige Käseauswahl. Jeden Mittwoch und Samstag bieten seit fast vierzig Jahren rund 80 Beschicker ihre ausschließlich pflanzlichen und tierischen Produkte auf dem Dern'schen Gelände an. Zeit für uns, herauszufinden, ob - und wo genau - der Wiesbadener Wochenmarkt den hohen Ansprüchen gerecht werden kann.

Dickbäuchige Birnen, rotbäckige Äpfel und dralle Zwetschgen verleihen dem sonst puristisch gestalteten Stand von Hof Rosenköppel aus Frauenstein Charme. „Besonders bekannt sind wir für Kirschen", erzählt Verkäuferin Cäcilie Neiss, während sie Mirabellen in Tüten packt. Alles, was hier ausliege, sei selbst angebaut. Hof Rosenköppel gehört zu den Saisonbeschickern, die von Juni bis Oktober der Jahreszeit entsprechende, frische Produkte anbieten. „Natur, Nahrung und Tradition", fasst die geborene Wiesbadenerin zusammen, was ihr am Markt gefällt. Bei Neiss lässt es sich außerdem gut fachsimpeln über Preise, Obsttrends und allgemeinen Entwicklungen in der Landeshauptstadt.


Das Schild mit dem Hinweis „In Wiesbaden gewachsen" geht fast unter im Farbenmeer am Stand der Gärtnerei Triebfürst. „Wir sind Gründungsmitglieder des Marktes", erzählt Annette Triebfürst zwischen pastellfarbenen Wicken, leuchtend gelben Sonnenblumen und tiefgrünem Efeu. „Er wurde ins Leben gerufen, um Selbsterzeugern nach der Ölkrise zu helfen", erinnert sie sich. Mit Schwester Sabine und den Eltern sorgt sie seitdem für kleine Freuden und Farbtupfer im Alltag. Die Kunden sind vom regionalen Angebot so angetan wie die Bienen, die entspannt um Balkon-, Beet- und Gartenpflanzen schwirren. Auch Triebfürst fühlt sich wohl: „Lauter treue Seelen gibt's hier auf dem Markt."


Beim Gemüsestand Kern sorgt ein befreundeter Verkäufer gerade für Nachschub und schiebt eine Sackkarre mit Mirabellen heran. Wenn etwas fehle, helfe man sich gegenseitig, erklärt Manfred Kern. An seinem Stand heißen die Protagonisten eigentlich Quarta, Annabelle oder Belana, sind mehlig bis festkochend und aus eigenem Anbau. Doch auch Manfred und seine Frau Brigitte aus Nordenstadt sind als echte Markt-Urgesteine etwas Besonderes. Seit 36 Jahren stehen sie zweimal wöchentlich hinter ihrem Gemüsestand. Mit leichtem Erdstaub bedeckt und von teils beeindruckender Größe und außergewöhnlicher Form, sind ihre Produkte wahre Hingucker. Und schmecken sollen sie auch hervorragend.


Schon von weitem ist der Rauch zu sehen, der von den zwei Öfen Klaus Bernhöfts in das Blätterdach einer Kastanie aufsteigt. Würziger Geruch liegt in der Luft, in der Auslage baumeln dampfend goldglänzende Fische. Seit 2011 bietet Bernhöft frischen Räucherfisch an: Forelle, Bachsaiblinge, manchmal Aal, dazu selbstgemachtes Lachsmousse. Er räuchert, was er zuvor bei der Waldecker Fischzucht erstanden hat. „Das ist mein Hobby", erzählt er mit einer Stimme, so rauchig wie der Fisch, den er verkauft. „Auf dem Markt lerne ich die kennen, die ich verwöhnen kann", sagt er und klopft sich dabei aufs Herz. Die Zuneigung beruht auf Gegenseitigkeit, weshalb man am besten morgens schon vorbestellt.


Knoblauch ist gesund und, weil viel manchmal viel hilft, spezialisierten sich Eva Kullmann und ihr Sohn Joshua jüngst auf den Verkauf der „Arzneipflanze des Jahres 1989". Direkt aus Frankreich importiert haben die dicken, lila schimmernde Knollen der Kullmanns einige Vorteile. „Sie halten sich bei optimaler Lagerung locker ein Jahr", erklärt Joshua. Das komme daher, dass er in Glashallen zum Trocknen aufgehängt werde. „Die Leute hier sind super freundlich", lobt er zwischen geflochtenen Knobizöpfen und Knoblauchbergen. Ein Tipp vom Fachmann: Wenn er stark riecht, ist das meistens ein Zeichen dafür, dass der Knoblauch innen schon geschimmelt ist.


„Wir sind alteingesessene Wiesbadener und verkaufen zu 90 Prozent eigene Produkte", sagt Christel Esaias und beugt sich dabei über die Gemüseauslage, als würde sie ein Geheimnis erzählen. Das Wichtigste sei Glaubwürdigkeit, fügt sie hinzu. Wie viele andere Beschicker, ist auch der Marktstand von Rainer Kern, an dem Esaias etwa frischen Schnittlauch, große Hokkaidokürbisse und aufeinandergestapelte Salatköpfe verkauft, ein Selbsterzeuger. „Unsere Sachen sind bekömmlich und die Kunden kommen immer wieder", erzählt die 78-Jährige stolz. „Deswegen macht mir das so Spaß hier."


„Wo ist der Käsekuchenmann?", murmelt eine ältere Dame und lässt den Blick über den Markt schweifen. Dann erblickt sie „Stefans Käsekuchen" und bestellt mit einem Lächeln auf den Lippen „einmal den Klassischen". Der Kuchen „nach Omas Rezept" kommt eigentlich aus Freiburg und hat sich von Nürnberg bis Fulda zum Kultprodukt gemausert. In Wiesbaden wird er von Tina Hess und Ralf Bernhardt verkauft. Ob mit Mohn, Rosinen oder als Saisonprodukt (im September mit Pflaumen) - der Kuchen ist ein Renner und sorgt für lange Schlangen. Wo wir gerade beim Thema Käse sind: den gibt es natürlich auch zur Genüge. Der Käsestand Wissmann, seit 25 Jahren in Wiesbaden anzutreffen, etwa bietet ihn in sämtlichen Formen, Farben und Geruchsstufen an. Man empfiehlt für die Herbstzeit den mild-cremigen Vacherin Mont-d'Or und als Spezialität die Lauchtorte aus Brie und Frischkäse.


Es ist ein Marktbummel, wie er sein sollte, wenn Sieglinde Berbalk die Geschichte des Lammfleischs, das sie verkauft, erzählt. Es sei „aus eigener Tierhaltung und wurde von Geburt bis zur Schlachtung nicht aus der Hand gegeben". Sohn Heiko hat einen Schafzuchtbetrieb mit rund 950 Tieren in Waldems-Wüstems und jeden Samstag verkaufen die Berbalks alles rund ums Lamm. Da Frische ihnen sehr wichtig sei, hätten sie nie zuviel dabei. „Wenn's all' ist, ist's all'", sagt Berbalk. Eine Institution auf dem Wochenmarkt ist auch die Curry Manufaktur. Jessica Heinemann-Maselli und ihre Mitarbeiter verkaufen frische Pommes, Wurst vom regionalen Metzger ihres Vertrauens und Saucen aus Belgien aus einem originellen Imbiss-Wagen. Geheimtipp ist der Marktburger. Seit zwei Jahren hatten die Masellis einen weiteren Stand, an dem es allerlei - herzhafte und süße - vegetarische Alternativen und guten Kaffee gab. Diesen haben sie kürzlich aus zeitlichen Gründen aufgegeben. Auf die Ausschreibung für eine Nachfolge mit ähnlichem Angebot kamen viele interessante Bewerbungen, die in diesen Tagen gesichtet werden, berichtet uns Wiesbaden Marketing-Chef Martin Michel.

Fazit

Wenn die Türme der Marktkirche ihre gezackten Schatten auf die Dächer der Stände werfen und die Wiesbadener mit Körben und Stofftaschen über den Markt eilen, möchte man manchmal zu mehr Müßiggang aufrufen. Doch das ist - neben den hohen Gebühren für die Parkhäuser - das einzige, was wir am Wochenmarkt zu bemängeln haben. Die Vielfalt der saisonalen und regionalen Produkte, die hohe Quote an Selbsterzeugern und Bioanbietern sowie die netten Verkäufer mit Tipps und originellen Spezialitäten machen den Bummel zu einer Wohltat für Sinne und Gewissen.

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