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"Ich kann dich nicht sterben sehen" - Wieso Sara flüchten musste

Die junge Künstlerin wollte Afghanistan nie verlassen. Doch dann sprengte sich jemand neben ihr in die Luft. 
 
Von Hannah Weiner. Foto Arne Landwehr.

In ihrer Heimat Afghanistan brachte sich die 21-jährige Sara Nabil mit ihrer Kunst in Lebensgefahr. In Wiesbaden fand sie Sicherheit - und eine spannende Aufgabe.

Mit ihrer rechten Hand imitiert Sara Nabil einen Peitschenhieb. „Das wäre mir passiert, wenn ich Pech gehabt hätte", sagt die 21-jährige Afghanin, die in der KinderKunstGalerie in der Dotzheimer Straße zwischen Bergen von bunten Bildern sitzt. Sara ist politische Künstlerin. Ihre Videos, Fotografien, Collagen und Gemälde üben scharfe Kritik an Gewalt gegen Frauen, am Treiben der Taliban und auch am Wirken der internationalen Staatengemeinschaft in ihrer Heimat. Damit machte Sara sich in Afghanistan viele Feinde. „Wenn ihr so weitermacht, bringen wir euch um", seien sie und ihre Kolleginnen bedroht worden. Lange hat die junge Frau trotzdem weitergemacht, „weil Kunst mein Leben ist". Doch dann kam der Tag, an dem sich jemand in die Luft sprengte - während einer Aufführung, bei der sie mitmachte. Ein guter Freund starb, und Sara tat etwas, worüber sie davor nie nachgedacht hatte: Sie beantragte Asyl in Deutschland.

Seit Februar dieses Jahres lebt sie nun in der Flüchtlingsunterkunft in der Mainzer Straße. Ihr Alltag dort bestehe aus Schlafen, Essen und Deutsch lernen, erzählt Sara. Sie hat ihre dunklen Haare locker zum Dutt zusammengebunden. Ein Kopftuch trägt sie nicht mehr. Trotzdem hat sie sich hier lange nicht wirklich frei gefühlt. Raum für Kreativität bleibt in dem kleinen Zimmer, das sie mit drei anderen Frauen teilt, nämlich kaum. Als „sehr schlecht" beschreibt Sara die Zustände in der Unterkunft.

Kunst als Lichtblick im Asylbewerber-Alltag Vor einigen Wochen kam ein Lichtblick in ihr Leben: das Wiesbadener Kunst-Koffer-Projekt. Dessen Macher Titus Grab und sein Team fahren seit elf Jahren mit einem Handwagen voller Pinsel, Papiere und Farben durch die Stadt. Ihr Ziel: Kindern Raum und Handwerkszeug zum Malen und Basteln zu bieten. Seit März 2014 machen sie - Titus Grab leitet die Treffen im Wechsel mit Henny Riedl - jeden Mittwoch auch in der Mainzer Straße Halt. Bis zu vierzig Kinder aus den Krisenregionen der Welt sitzen dann gemeinsam auf dem Boden, malen und töpfern, kleben und werkeln. Niemand muss dafür zahlen, sich anmelden oder Deutsch können. „Die Farbe ist die Sprache, der Pinsel der Ton", sagt Grab. So sind bereits Tausende von Gemälden entstanden, die einen tiefen und ehrlichen Einblick in die Seelen der jungen Menschen erlauben, „für die die Welt aus den Fugen ist", wie der Projekt-Gründer sagt. Die Kinder haben ihre bunten Träume auf weißes Papier gebracht. Da können Häuser fliegen, die deutsche Flagge ist rot-rosa-lila-blau-schwarz gestreift und Boote, die gehen nicht einfach so unter. Sie schippern sicher auf tiefblauen Wellen gen Horizont.

Auf bestem Weg zur erfolgreichen Künstlerin - bis der Terror kam In der Kunst ist alles möglich - für die Kinder aus der Flüchtlingsunterkunft und für Sara, die gemeinsam mit Grab und dessen Kollegen die Ausstellung „eine andere Deutschland" - benannt nach dem Ausspruch eines Flüchtlingskindes, als dieses stolz sein Gemälde präsentierte - kuratiert. Sie selbst ist Fotografin, Malerin und Mixed-Media-Artist. Schon mit 12 Jahren begann sie im „Centre for Contemporary Art Afghanistan" zu arbeiten und hat seitdem bei 35 Ausstellungen mitgewirkt. In ihrer Heimat war sie auf dem besten Weg eine erfolgreiche Künstlerin zu werden. Bis zu dem Tag des Terroranschlags, der ihr Leben veränderte, und von dem sie sich nicht mehr erholte. Es sei ihr von Tag zu Tag schlechter gegangen, erzählt sie. „Ich kann dich nicht sterben sehen", habe ihre Mutter gesagt. Und: „Du solltest aufhören zu arbeiten." Doch das wollte Sara nicht. Also trat sie die Reise nach Europa an.

Nun schaut sie zu, wie Grab die Bilder der Flüchtlingskinder behutsam an eine Wäscheleine hängt. Neben Booten und Häusern sind darauf viele frei interpretierte oder mit Herzen verzierte Deutschlandflaggen zu sehen. „Ich kann gut nachempfinden, was die Kinder sich wünschen ", sagt Sara. Auch sie hat Träume: ihre eigene Ausstellung zu machen, schnell Deutsch zu lernen und ihr Politik-Studium abzuschließen. Doch erst mal rückt sie jetzt die Bilder der jungen Geflüchteten aus Syrien, Somalia oder Bosnien ins rechte Licht. Sie sortiert die Kunstwerke, die auch von schrecklichen Erfahrungen zeugen, aber viel öfter von der Hoffnung in eine bessere Zukunft in Deutschland erzählen. Eine Hoffnung, die Sara mit den Flüchtlingskindern teilt.

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