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Plastik im Blut

Müllstrudel im Meer, tote Tiere an Land: Wiesbaden sagt Kunststofftüten den Kampf an. Die Stadt ruft zum „Plastiktütenfreien Einkauf" auf.


Die Erde verwandelt sich langsam in einen Planeten aus Plastik. Seevögel bauen sich ihre Nester aus Müll, Schildkröten ersticken an Fetzen von Kunststofftüten und auch der Mensch nimmt giftige Mikropartikel zu sich - nicht nur, wenn er Fisch isst.

Ein Grund für die Plastikfizierung der Meere und damit des gesamten Ökosystems Erde ist der hohe Verbrauch von Plastiktüten. 

Wiesbaden hat dem nun den Kampf angesagt. Einstimmig hat der Umweltausschuss der Stadtverordnetenversammlung einen Antrag der Grünen-Fraktion zum „Plastiktütenfreien Einkauf" angenommen. Initiatorin Barbara Düe (Grüne) möchte „übergreifende und unterstützende Maßnahmen" erarbeiten, um Einzelhändlern Anreize zu bieten, auf Plastiktüten zu verzichten. Konzepte dafür sollen laut Düe an einem Runden Tisch mit Industrie- und Handelskammer (IHK), Unternehmen, Marktbeschickern, Einzelhandelsverband und Wirtschaftsförderung entworfen werden.

Seit den 1950er Jahren hat der globale Verbrauch von Plastiktüten rapide zugenommen. Das zeigt sich etwa am Müllstrudel im Pazifischen Ozean, der inzwischen zweimal so groß ist wie Deutschland, aber auch an Tüten, die im Rhein schwimmen oder auf den Wiesbadener Grünflächen liegen. Doch die Verschmutzung ist nicht das einzige Problem: Um die Plastiktüten herzustellen wird die nicht-erneuerbare Ressource Erdöl benötigt. Alleine für den Verbrauch in Deutschland bedeutet das 410 Millionen Liter pro Jahr.

Das Plastiktütenproblem ist strukturell. Oft sind sie gratis, werden ohne Nachfrage herausgegeben und im Durchschnitt nur 25 Minuten lang benutzt. Anschließend landen sie bestenfalls im Mülleimer, oft aber auf der Straße. Von da geht es in die Natur und mit dem Wind früher oder später in Bäche, Flüsse und das Meer.

„Es kann Jahrhunderte dauern, bis eine Tüte sich in kleinste Partikel zersetzt haben, und selbst dann ist sie immer noch im System", erklärt Kerstin Jacobs vom Wiesbadener Umweltamt. Jacobs hat die Ausstellung „Plastiktüte? Nein danke!" organisiert, die derzeit im Umweltladen an der Luisenstraße zu sehen ist. Jacobs hat Fakten parat: „Im Meer ist mehr Plastik als Plankton", weiß sie, „und wir alle haben Plastik im Blut". Denn über das Wasser nimmt auch der Mensch die Überreste wieder auf.

Parallel zur Stadt hat die Europäische Union sich jüngst der Reduzierung von Plastiktüten angenommen. Bis Ende 2019 dürfen in den Mitgliedsländern nur noch halb so viele leichte Plastiktüten verwendet werden wie 2010.

Barbara Düe freut sich über die EU-Entscheidungen, findet aber, dass man „vor Ort etwas draus machen" muss. Sie schlägt etwa vor, Kampagnen in der Stadt zu starten, um zu sensibilisieren. Wichtig ist ihr dabei, dass die Plastiktütenfreiheit bei Händlern und Kunden auf Freiwilligkeit basiert.

Friedrich Wagner, der als Präsident des Hessischen Handelsverbandes auch für Wiesbaden zuständig ist, sieht den Vorstoß „durchaus positiv". Denn man habe eine Verantwortungen, den Kunden zu empfehlen Tüten öfter zu benutzen oder sogar ganz auf Papier umzusteigen.

Für Andrea Weser wiederum kamen Kunststofftaschen nie in Frage. Seit 2008 führt sie den Kindermode-Laden „Glückskinder" und gibt ihren Kunden nur Papiertaschen mit. Zu Problemen habe das nie geführt, berichtet sie und betont: „Wir haben nunmal keine zweite Welt in der Hosentasche."

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