1 Abo und 0 Abonnenten
Kolumne

Das bisschen Alltag: Scheinvater

Dank einer soziologischen Studie aus Israel wurde in den Feuilletons ungefähr zwei Jahre lang über Mutterschaft bereuende Mütter gesprochen. Dabei blieb die weitaus größere Anzahl der Väter, die ihre Vaterschaft im Nachhinein bereuen, im Dunkeln. Zum Beispiel Väter, die keinen Unterhalt zahlen, obwohl sie es locker verschmerzen könnten, oder Väter, die sich freiwillig aus dem Leben ihres Kindes entfernen, womit ersteres oft einhergeht. Man könnte sie als Scheinväter bezeichnen. Ein Scheinvater ist laut Duden aber erst mal etwas ganz anderes: ein »gesetzlicher, aber nicht leiblicher Vater«. Klingt wenig aufregend, schließlich gibt es zahlreiche Männer, die Kinder adoptiert haben.
Auch Stiefväter sind in der aktuellen Debatte um Scheinväter aber nicht gemeint. Ein Synonym für »Scheinvater« ist der Begriff »Kuckucksvater«, laut Wikipedia der »soziale Vater eines Kindes (Kuckuckskindes), der im Glauben war oder ist oder vorgibt, der biologische Vater des Kindes zu sein«. Die Assoziation von Frauen mit dem Brutparasitismus des Kuckucks wurde ab Ende der 1990er Jahre von Männerrechtsgruppen in den öffentlichen Diskurs eingebracht – aus diesen Kreisen stammt auch der Begriff Scheinvater. Und so einer zu sein, davor haben viele Männer beständig Angst – zumindest, wenn man der stetigen Nachfrage nach DNA-basierten Vaterschaftstests glaubt.
Ende der 1990er Jahre entstanden erste private Testlabore. Nach der Jahrtausendwende kam Deutschland auf 50.000 Tests pro Jahr – so viele davon ohne Kenntnis der Mutter, dass die Politik mit Gesetzesneuerungen versuchte, das Problem »heimliche Vaterschaftstests« einzudämmen. Der Scheinväter-Lobby geht es
inzwischen vor allem darum, den biologischen Vater zu ermitteln. Von diesem könnte der einzelne »Scheinvater« theoretisch Unterhaltszahlungen zurückfordern. Doch die selbsternannten Scheinväter besitzen keinen gesetzlichen Anspruch darauf, dass die Mutter die Identität des biologischen Vaters preisgibt. Ein Kuckucksvater-Aktivist forderte daher, verpflichtende Vaterschaftstests ab Geburt einzuführen. Auch für den Staat, der einen Unterhaltspflichtigen identifizieren will, besteht das Problem darin, dass sich die sexuelle Aktivität von Frauen und ihr Wissen – oder auch Nicht-Wissen – um die Väter ihrer Kinder nur schwer institutionell überwachen lassen. Hier sprang bisher das Recht ein; es stellt klare Verhältnisse her, indem es Vaterschaft an die Ehe koppelte. Mit den Vaterschaftstests wird der Vater souverän – aber eben nur im Hinblick auf die Bestätigung oder den Ausschluss seiner Vaterschaft. In der aktuellen Debatte werden daher die geleisteten Unterhaltszahlungen zunehmend als eine Art Fehlinvestition problematisiert – in ein Kind, um das sich die »Kuckucksväter« im Zweifelsfall jahrelang gekümmert haben. Im Einklang mit dieser Deutung haben die Justizminister der Länder Anfang Juni den Bund aufgefordert, einen gesetzlichen Anspruch gegen die Mutter zu schaffen, dem »Scheinvater« den biologischen Vater zu nennen.
Kinder haben dagegen laut Bundesverfassungsgericht kein Recht darauf, ihre mutmaßlichen leiblichen Väter zu einem Gentest zu zwingen. Was von den Folgen massenhafter heimlicher Vaterschaftstests bleibt: In einer patriarchal geprägten Gesellschaft spiegeln sich im Gebrauch der Reproduktionstechniken und Justiz immer wieder vor allem männliche Interessen. Hannah Schultes

ak | Nr. 650 | 18. Juni 2019