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Rezension

Warten auf die Green Card

ak - analyse & kritik 641, 18.9.2018


Der Film »Lemonade« erzählt eine Migration in die USA als Erfahrung von Macht, Ohnmacht und Widerstand

Von Hannah Schultes

Was ist ein »Einwanderungsdrama«? Die Filmemacherin Ioana Uricaru hat es wohl nicht erfunden - und unpassend ist diese Beschreibung für ihren Film »Lemonade« auch deshalb, weil die darin enthaltenen dramatischen Szenen einer alltäglichen Situation - der Migration einer Frau mit einem kleinen Kind - eher als Thriller denn als Drama inszeniert sind.

In Uricarus Spielfilmdebüt geht es um das, was passiert, während eine in die USA eingewanderte Rumänin sich um eine Arbeitserlaubnis (Green Card) bewirbt. Zwischen drei und fünf Millionen Rumän_innen leben und arbeiten derzeit im Ausland - bei 19 Millionen Einwohner_innen. Der verbliebene Rest muss sich dank IWF, EU-Kommission und ausländischen Investoren auf dem extrem liberalisierten Arbeitsmarkt herumschlagen.

Was würdest du für eine Green Card tun? 

Der Film beginnt mit der Gesundheitsprüfung für die Einwanderungsbehörde. Ohne sie darüber zu informieren, wird der Protagonistin eine Impfung verpasst, und auch in der Folge entfaltet sich die Handlung als eine Aneinanderreihung von Dingen, die Mara widerfahren. Die 30-Jährige hat sich erfolgreich für ein temporäres Arbeitsvisum als Pflegekraft beworben. Doch das galt nur ein halbes Jahr. Ihre Heirat mit Daniel, einem ehemaligen Patienten, lässt ihre Aussichten auf eine Green Card wachsen. Sohn Dragos, den die Großmutter in Rumänien ins Flugzeug gesetzt hat, freundet sich schnell mit dem neuen Mann seiner Mutter an; der unfallversehrte Landschaftsgärtner erscheint etwas kontrollierend, aber wohlgesinnt. »Sprich Englisch«, mahnt die Mutter den Sohn.

Auf Englisch beschimpft Daniel seine neue Ehefrau kurz darauf als Lügnerin und Hure, als sie ihm davon erzählt, wie der Beamte der Einwanderungsbehörde sie sexuell genötigt hat. Mara mag Daniels Körper jeden Tag an ein Dialysegerät anschließen - vor den kulturellen Mustern verletzter Männlichkeit bewahrt sie das nicht. Für Daniel verletzt der Beamte mit seinen Handlungen nicht Mara, sondern vor allem ihn selbst. »Ich weiß doch, warum du mich geheiratet hast«, wirft Daniel ihr vor, bevor er sie schlägt, und spätestens ab diesem Moment scheinen sich alle anderen denkbaren Gründe erledigt zu haben. Dass im nächsten Moment Dragos eine Waffe auf Daniel richtet, ist einer der wenigen Momente, die überzeichnet scheinen.

Für den Film hat Regisseurin Uricaru unter anderem Interviews mit Migrantinnen geführt, die mit kleinen Kindern in die USA kamen. So geht es nicht nur um Gewalt, sondern auch um die Probleme alleinerziehender Frauen, die Klassenerfahrungen von Arbeiter_innen in den USA und den Umstand, den Uricaru selbst betont: »Es ist im Prinzip unmöglich, legal in die USA einzuwandern.« Entsprechend dieser Grundannahme dominieren den Film lange Szenen und quälende Dialoge wie der zwischen Mara und dem Beamten der Einwanderungsbehörde (»Können wir Ihre Aussage noch mal durchgehen?«), der ihr mit der Ablehnung ihres Antrags droht - Vorwurf: Scheinehe -, wenn sie sich von ihm nicht sexuell ausbeuten lässt.

Korruption in Rumänien war vor dem EU-Beitritt 2007 und aufgrund von Protesten dagegen aktuell wieder verstärkt das Thema, das mit dem Land in Verbindung gebracht wird. Dass in »Lemonade« eine Rumänin das Korruptionsopfer spielt, transportiert auch eine Kritik am »Balkanism«, wie die bulgarische Historikerin Maria Todorova das allgegenwärtige Balkan-Stereotyp nennt. Todorovas Arbeit »Imagining the Balkans« ist stark an die Orientalismusanalyse Edward Saids angelehnt. Die Geschichte von Mara entfaltet sich vor dem Hintergrund eines Amerika-Stereotyps - ein Haufen Prätention zwischen Klimaanlagen und Erdnussbutter -, das die neue Heimat ganz klar als »das Andere« markiert und den Blick auf »den Balkan« umkehrt.

Am Ende des Films steht eine ähnliche Szene wie am Anfang: Eine andere Person begutachtet Maras Körper. Diesmal jedoch während sie erfolglos versucht, den Beamten der Einwanderungsbehörde in dem Hotelzimmer zu bestechen, in das er sie bestellt hat. Um ihm zu beweisen, dass sie nicht verkabelt ist, soll sie sich ausziehen. »Ich kenn mich damit aus«, kommentiert er. Er ist auch deshalb ein Serientäter, weil er aufgrund seiner Machtposition keinen Druck verspürt, mit der Machtausübung aufzuhören.

Zitronen, aber keine Limonade
Die Männer im Film sind berechnend und mitleidlos, allein von der rumänischen Kollegin und Maras Mutter, die nur als Telefonstimme auftaucht, kommt Unterstützung. Auf Situationen der Ohnmacht spielt der Film mit der im Titel enthaltenen Referenz an eine amerikanische Redewendung an: »Wenn das Leben dir Zitronen gibt, mach Limonade daraus.« Es ist sarkastisch gemeint. »Es war eine der ersten Redewendungen, die ich gelernt habe, und sie kam mir sehr brutal vor, auch wenn es als Ermutigung gemeint ist«, sagt Uricaru, die selbst als Studentin ohne Arbeitserlaubnis in die USA kam.

In Zeiten, in denen ein Heimleiter eine syrische Asylsuchende vergewaltigt, deutsche Gerichte über die Echtheit von Ehen richten und der Gesundheitsminister gezielt Pflegekräfte aus dem Ausland anwerben will, drängen sich Parallelen zur deutschen Einwanderungsrealität auf. In deutschen Pflegeheimen arbeiten bereits jetzt viele ausgebildete Krankenpfleger_innen aus Bosnien, Rumänien, Bulgarien und Serbien. Ab dem 4. Oktober ist »Lemonade« in Deutschland im Kino zu sehen.

Erschienen in: ak - analyse & kritik Nr. 641, 09/2018