Ganz am Ende der Altbautenstraße in Charlottenburg, nicht weit vom Lietzensee, steht eine Bank. Sie steht so unter einem Balkon, dass sie vor Regen geschützt ist. Die Bank ist aus Holz und lehnt an der Hauswand. Große alte Bäume spenden Schatten. Auf der Bank liegen Dinge, die sich jeder mitnehmen kann, der möchte: Kinderbücher, Kleidungsstücke, Einrichtungsgegenstände. An manchen Tagen liegt dort mehr, an manchen weniger. Leer ist sie nie, irgendetwas lässt sich immer finden. Fast fünf Jahre lang konnten sich Spazierende dort eine Kleinigkeit mitnehmen - oder selbst dort liegen lassen.
Seit ein paar Wochen aber fehlt die Bank. Stattdessen hängen dort an der Wand, wo einst die Geschenkebank stand, Abschiedsbriefe; sie sind sorgfältig in Plastikhüllen gesteckt und an einer Schnur aufgereiht. Menschen bedanken sich bei der Möglichkeit, dort Gegenstände abgeben oder einpacken zu können. Sie sind traurig, dass die Bank nach so vielen Jahren verschwinden musste.
Belebte Kieze durch NachbarschaftsprojekteUte Ebrahim ist enttäuscht, dass es so weit kommen musste. Die 60-Jährige wohnt in dem Haus, vor dem die Bank bis vor kurzem noch stand. Seit Jahren engagiert sie sich dort, räumt auf der Bank und rundherum immer wieder auf. Ute Ebrahim ist ganz stolz über einen Fund, den sie selbst dort gemacht hatte: Eine dunkelbraune North-Face-Regenjacke. Eine andere Mieterin besitze drei Paar Schuhe von der Bank. Fast alle im Haus haben schon einen echt überraschenden Fund gemacht auf der Bank.
Nachbarschaftsprojekte wie diese Bank beleben ein Stadtviertel. Hilfsbereitschaft und gegenseitiges Teilen kann den nachbarschaftlichen Zusammenhalt fördern und eine Wohngegend lebenswerter machen. Menschen begegnen einander zufällig und alte Gegenstände können plötzlich für jemanden einen neuen Wert erhalten. Kleiner Nebeneffekt: Generationen kommen miteinander in Kontakt.
Ute Ebrahim wundert sich heute manchmal, wie viele Leute sie auf die Bank ansprechen, jetzt wo sie weg ist: „Sie war ein richtiger Kommunikationsknotenpunkt." Mancher Eltern sagten, dass deren Kinder manchmal nur mit rausgegangen seien, weil sie sich auf der „Geschenkebank" etwas hätten aussuchen dürfen. Leute aus Schöneberg seien extra wegen der Bank in die Rönnestraße gekommen. Vor der Bank hätten sich immer wieder Leute getroffen und miteinander gesprochen.
Müll und Lärm werden zunehmend zum ProblemDoch mit den vielen Geschenken ergab sich auch nach und nach ein Müllproblem. Die Menschen brachten einfach alle ihre Dinge, die sie sonst weggeworfen hätten, bei der Bank vorbei. Teilweise haben Menschen mehrere Säcke voll zerrissener, kaputter und schmutziger Kleidung dort ausgekippt. Auch Schrott, Monitore und alte Röhrenfernseher tauchten plötzlich auf der Bank auf. Daraufhin schrieb Ute Ebrahim Zettel und bat höflich darum, derartigen Müll wieder mitzunehmen.
Ute Ebrahim musste sich aber darum zum Glück nicht allein kümmern. „Menschen aus den umliegenden Straßen halfen dabei, auf der Bank Ordnung zu halten." Doch die Zettel haben nichts genützt, es wurde immer mehr Müll. „Ich war irgendwann richtig sauer." Durch den Müll wurde die Idee der Bank im Grunde zerstört: Die ersten Nachbarn fühlten sich durch die Müll-Bank belästigt. Erste Rufe wurden laut, die Bank doch abzuschaffen. Ute Ebrahim aber wollte noch nicht aufgeben, sie plante mit anderen die Zukunft der Bank.
Mittlerweile hatten sich etwa sechs bis acht Mieter zusammengesetzt. Sie schrieben einen deutlichen Zettel mit neuen Regeln: „Keinen Sperrmüll und Elektroschrott abstellen!" Außerdem: Wenn die Bank voll ist, dann müssen die Leute eben ihre Sachen wieder mitnehmen. Neben die Bank stellten sie zwei Blumentöpfe, einen rechts und einen links, damit da kein Platz mehr ist. Das funktionierte zumindest etwas besser, das Problem wurde so langsam in den Griff bekommen.
Bis Ute Ebrahim dann eines Morgens gegen sieben Uhr vor das Haus ging und zertretene Weihnachtskugeln auf dem Boden sah. Überall lagen Scherben auf der Straße herum und dazwischen alte Beleuchtung. „Das war wirklich Vandalismus", sagt Ebrahim. Ihr war klar, dass ein paar Zettel nicht mehr ausreichen, um ein Zeichen zu setzen. Die Bank muss weg.
Leute aus Schöneberg, Kinder und andere Spazierende vermissen den OrtIm August diesen Jahres begann dann die Zeit der Abschiedsbriefe. Menschen, die gern wegen der Bank dort vorbeiliefen, die mit aufräumten, die sich immer über den Tauschort gefreut hatten, sie alle bedankten sich dafür, bei Nachbarn und bei der Bank. Eine Frau schrieb: „Ich habe hier viele Dinge und schöne Gespräche gefunden." Ein Mann daneben: „Gerade musste ich meine Tochter trösten, jetzt bist Du weg. Mit Dir verschwindet wieder ein Stück gelebte Nachbarschaft." Zwei Frauen aber haben noch Hoffnung: „Es wäre schön, wenn dieses Nachbarschaftsprojekt weiter bestehen könnte."
Ute Ebrahim hat ebenfalls noch nicht ganz aufgegeben. „Acht oder neun Leute haben mich schon angerufen", sagt sie, „und mir fest zugesichert, zukünftig auch beim Aufräumen zu helfen." Sie schrieb ihre Handynummer auf einen Zettel und rief zur Teilnahme am „Projekt Bank" auf. Doch selbst, wenn der Müll keine Rolle mehr spielt, bleibt noch eine Hürde: Es gab auch seit Wochen Probleme wegen Lärm. „Weil es da so gemütlich war", sagt Ute Ebrahim, „setzten sich Menschen auf die Bank, tranken ein Bierchen - und sprachen bis spät miteinander."
Gibt es eine Zukunft für die Bank?Es sieht aber so aus, als ob es doch noch eine Zukunft für die Geschenkebank gibt, in Charlottenburg. Zumindest bekommt das Projekt eine letzte drei Monate dauernde Probezeit. Die Freunde des kleinen Projekts wollen jetzt Boxen auf der Bank befestigen, in die Besucher etwas reinlegen können. Eine große für Toaster und Gesellschaftsspiele, eine mittlere für Bücher und DVDs, und eine kleine für Schmuck und Halstücher. Die Boxen sollen auch dafür sorgen, dass sich niemand hinsetzt.
Streng genommen, ist es damit keine Bank mehr. Aber für Ute Ibrahim ist es wichtig, dass sich das Lärm- und das Müllproblem endlich lösen lassen. Wenn es bis Ende November nicht besser wird, dann denken Ebrahim und ihre Mitstreitenden auch darüber nach, eine Bürgerinitiative zu kontaktieren, um sich der vielleicht anzuschließen. Denn selbst wenn die Bank vor dem Haus verschwinden müsste, dann könnte sie so möglicherweise an einer anderen Stelle im Kiez weiterleben.