Hannah Prasuhn

Journalistin, Berlin/München

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Artikel

Jetzt spricht die junge Generation: Zukunftsvisionen für eine neue Berliner Mitte

Wie soll die Berliner Mitte zwischen Molkenmarkt, Marienkirche, Fernsehturm und Schloss aussehen? Wie kann man sicherstellen, dass sie ein Ort für alle wird? Und welche Art Häuser sollen dort entstehen? In der nächsten Zeit stehen wichtige Weichenstellungen an, die das Gesicht der historischen Mitte für viele Jahrzehnte prägen werden. Es sind die kommenden Generationen, die die Orte nutzen und beleben werden. Sie sollten mitreden. Vier junge Leute, die derzeit ein Praktikum oder ein Volontariat in der Berliner Zeitung absolvieren, drei aus Berlin, eine aus Potsdam, haben sich die gegenwärtig noch recht trostlosen Flächen angeschaut und Vorstellungen für eine Neugestaltung entwickelt. (mtk.)

Alles auf Grün: Plädoyer für eine nachhaltige Architektur

Die Bedrohung durch den Klimawandel ist allgegenwärtig, und es wird zunehmend deutlich, dass die Stadtplanung eine entscheidende Rolle bei der Anpassung an diese Veränderungen spielt. Die Umgestaltung der Berliner Stadtmitte sollte stellvertretend für den Wandel stehen, der notwendig sein wird, um sich den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen anzupassen. Als Vorreiter für nachhaltiges Leben und klimaangepasste Architektur könnte der Molkenmarkt einen Weg weisen, wie Städte weltweit dem Klimawandel entgegentreten könnten. Zumal nachhaltige Gebäude langfristige Kosteneinsparungen durch geringeren Energieverbrauch und niedrigere Instandhaltungskosten versprechen.

Dachflächen nehmen bis zu 30 bis 50 Prozent der versiegelten Stadtfläche ein. Um dieser Versiegelung entgegenzuwirken und gleichzeitig den Anforderungen extremer klimatischer Bedingungen wie Hitze, Kälte und Trockenheit gerecht zu werden, könnte man auf extensive Gründächer zurückgreifen. Diese werden vorwiegend mit anspruchslosen und selbst erhaltenden Pflanzen wie niedrig wachsenden Gräsern, Sedum und Sukkulenten bepflanzt.

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Diese naturnahen Pflanzen bieten nicht nur einen schönen Anblick, sondern schaffen auch Lebensräume für verschiedene Pflanzen- und Tierarten, wodurch die Biodiversität innerhalb der Stadt gefördert würde. Auch die Fassadenbegrünung bietet eine sinnvolle Möglichkeit, die Architektur klimagerecht zu gestalten. Insbesondere bei hoch aufragenden Gebäuden mit einem großen Verhältnis von Wand zu Dach bieten vertikale Grünflächen erhebliches Potenzial. Grüne Dächer und Fassaden können dazu beitragen, den sogenannten urbanen Hitzeinseleffekt zu reduzieren, indem sie das Aufheizen der darunterliegenden Baumaterialien verhindern. Neben den ökologischen Vorteilen tragen diese Maßnahmen zur visuellen Aufwertung des urbanen Lebensraums bei. Eine grüne Umgebung wird von den Bewohnern und Nutzern als äußerst positiv für die allgemeine Lebensqualität wahrgenommen.

Auch die Energieeffizienz von Gebäuden lässt sich deutlich steigern, indem natürliche Materialien verwendet werden. Dabei entsteht nicht nur ein umweltfreundliches Gebäude, sondern auch ein gesundes Raumklima, das die Lebensqualität der Bewohner erhöht. Ein Schlüsselkonzept hierbei ist die Nutzung regenerativer Materialien, allen voran Holz. Natürliche Rohstoffe wie Holz, Stroh und Lehm gründen sich auf ihre biologische Abbaubarkeit und einen geringen Schadstoffgehalt. Schädliche Stoffe wie PVC und lösungsmittelhaltige Farben sollten in diesem Bauprojekt auf der Roten Liste stehen, auch Zement gilt in der grünen Architektur als Klimakiller und sollte vermieden werden.

Die Umsetzung nachhaltiger Architektur erfordert jedoch mehr als nur den Einsatz von ökologischen Materialien. Es bedarf eines ganzheitlichen Herangehens, das Energieeffizienz, Kreislaufwirtschaft, erneuerbare Energiequellen und grüne Infrastruktur integriert. Konzepte wie grüne Dächer, Solarenergie und effiziente Wassernutzung spielen hier eine zentrale Rolle. Leandra Vorndamm

Wie zieht man Menschen in die neue Mitte?

Denke ich an die Mitte Berlins, denke ich an Touristen. Allein im ersten Halbjahr 2023 kamen 5,7 Millionen Gäste nach Berlin. Auch die Zahl der Berliner wächst: Derzeit sind es etwa 3,9 Millionen Menschen, die in unserer Stadt wohnen und arbeiten. Leider habe ich oft den Eindruck, dass sich Berliner und Touristen häufig aus dem Weg gehen. Alles, was bei Touristen als Insidertipp gilt, ist bei Berlinern natürlich schon lange überhaupt nicht mehr „in". Wenn es also darum geht, ein neues Stadtzentrum zu gestalten, muss ein Konzept erarbeitet werden, das beide Gruppen zufriedenstellt - eine große Herausforderung.

Eines ist für mich klar: Ein zweites Park Inn oder noch ein Alexa braucht am Alexanderplatz wirklich niemand. Wenn Berlin ein Stadtzentrum haben möchte, das Menschen aller Art gerne besuchen, kommt es eher darauf an, Räume zu schaffen, die auch Platz für alle Arten von Personen bieten. Warum nicht Berliner anziehen, indem ein Studentenwohnheim oder Sozialwohnungen gebaut werden? Gerne bunt gemischt mit (einigen) Ferienwohnungen oder Eigentumswohnungen. Lasst den Tellerwäscher neben dem Millionär wohnen! Nur so kann garantiert werden, dass niemand ausgeschlossen wird.

Ansonsten braucht es doch gar nicht so viel, um Menschen glücklich zu machen. Wer möchte, dass Einwohner und Touristen in der neuen Mitte verweilen, muss nur Gelegenheiten schaffen, das zu tun. Es sollte also nicht in erster Linie der Lärmschutz im Vordergrund stehen. Schafft neuen Platz für Gastronomie und Kleingewerbe! Lasst die Tische der Spätis, Restaurants und Cafés dann auch gern draußen! Dazu braucht es Bänke, Grünanlagen, Toiletten und vielleicht auch einen Trinkbrunnen. Wie genau die Gebäude dann aussehen, ist für mich eher zweitrangig.

Will man Touristen zusätzlich glücklich machen, reichen oft schon ein paar gute Instagram-Spots. In einer Kleinstadt in Wales, in der ich vor einigen Jahren studierte, hatte ein Künstler Engelsflügel an eine Wand gemalt. Fast jedes Mädchen, das dort im Erasmus-Programm studierte, hat davor ein Foto gemacht. In Seoul, Südkorea gibt es sogar designierte „Fotozonen", an denen Besucher Erinnerungsfotos machen können. Diese kosten nicht viel Geld und stören die Einheimischen nur wenig. Anika Schlünz

Weg von Monotonie, ab zur bunten Mischung!

Die neue Mitte soll nicht das Schicksal so vieler anderer Innenstädte treffen, das sie monoton, einsam und gleich macht. Die neue Mitte soll alle Bevölkerungsschichten und Altersgruppen miteinander vereinen. Symbolisch vor dem Rathaus braucht es ein buntes Miteinander, keine soziale Verdrängung und Exklusivität.

Städte, und natürlich auch die Innenstädte, sind Orte für Jung und Alt, für Familien und Alleinstehende, zum Leben, zum Wohnen und zum Arbeiten - auch das Berliner Rathausforum kann das. Dafür aber muss sich die Funktion des Platzes verändern: Die Konsumtempel müssen weichen. Stattdessen kann sich die neue Alte Mitte auf die Innenstadt als Ort des Treffens rückbesinnen. Hier können die Menschen als soziale Wesen etwas erleben und nicht als Konsumentinnen und Konsumenten.

Wie wäre es, wenn anstelle von Ladenketten, die doch eh schon an so vielen Orten in Berlin und auch überall sonst sind, Platz für kulturelle Einrichtungen geschaffen wird? Wenn es Orte für Handwerk, Ausstellungen und Experimente gibt? Wenn sich Menschen dadurch und darüber hinaus miteinander vernetzen können - über Generationen hinweg? Und das für alle erschwinglich, zum Beispiel über Studierendenrabatte und Subventionen für Jugendveranstaltungen, aber auch Unterstützung für Ältere und Ärmere.

Das Rathausforum kann ein Paradebeispiel für mehrgenerationelles Wohnen werden, damit sich Berlinerinnen und Berliner begegnen können und Barrieren abgebaut werden. Genossenschaften können die Chance für bezahlbares und soziales Wohnen ermöglichen. Die Berliner Mitte liegt, offensichtlich, so zentral und ist gut angebunden - sie soll auch einen zentralen Ort im Leben aller darstellen, nicht nur für Reiche.

Ein Altersheim und ein Studierendenwohnheim, ein Kindergarten und Jugendangebote, die niederschwellig organisiert sind, kurbeln das Neben- und Miteinanderleben an. Nicht vergessen werden sollten diejenigen, die kein Dach über dem Kopf haben und trotzdem Teil des Stadtbilds sind. Als zentralen Punkt muss es in Berlins neuer Mitte auch Hilfsangebote für Obdachlose geben: eine Suppenküche, einen sicheren Ort zum Aufwärmen, Waschen, Schlafen und Beratungsmöglichkeiten.

Damit der Ort nicht wieder einschläft und nach kurzer Zeit zu einem leeren, charakterlosen Raum wird, benötigt es eine hohe Fluktuation an Menschen, was eben zum Beispiel durch Studierende passieren kann. Und es bleibt trotzdem genug Zeit, um vielleicht mal ein neues Café zu eröffnen, eine neue Initiative zu gründen, ein neues Gemeinschaftsprojekt ins Leben zu rufen und immer wieder für Abwechslung und Durchmischung zu sorgen - in den Räumen für Experimente. Hannah Prasuhn

Spekulationsobjekt Alte Mitte? Wer dort gestalten soll

In Wim Wenders' Film „Der Himmel über Berlin" von 1987 spielen einige Szenen in einer brachen Landschaft an der Mauer. Meine Überraschung war groß, als ich erfuhr, dass das der Potsdamer Platz ist. Ich hatte Ernst Ludwig Kirchners 1914 entstandenes Gemälde „Potsdamer Platz" gesehen und in der Grundschule ein Referat über die älteste Ampel Deutschlands gehört, 1924 am verkehrsreichen Potsdamer Platz in Betrieb genommen. Ohne je darüber nachgedacht zu haben, war ich immer davon ausgegangen, dass sich der Potsdamer Platz heute kontinuierlich aus dem Platz der 1920er-Jahre entwickelt hatte - statt für Jahrzehnte brachzuliegen.

Nun besteht wieder die Chance, ein Quartier vollständig neu zu gestalten - in der Alten Mitte der Stadt. Kann man aus dem Wiederaufbau des Potsdamer Platzes lernen? Für einen Kaufpreis von heute etwa 50 Millionen Euro veräußerte der (West-)Berliner Senat kurz nach dem Mauerfall Grundstücke am Potsdamer Platz an den Automobilkonzern Daimler-Benz. Ziel des Wiederaufbaus des Potsdamer Platzes war ein Einkaufs-, Geschäfts- und Entertainmentzentrum. Die Daimler-City bestand hauptsächlich aus Büro- und Einzelhandelsflächen; das Einkaufszentrum Potsdamer-Platz-Arkade n sowie viele der Berlinale-Kinos wurden zu Mietern.

Im Jahr 2007 verkaufte Daimler für 1,4 Milliarden Euro seine 19 Gebäude, sechs Privatstraßen und den Fontaneplatz - ein historischer Ort, ein Zentrum der Stadt als Spekulationsobjekt. Die Folgen sind sichtbar. Gründe, Zeit am Potsdamer Platz zu verbringen, gibt es eher wenige. Auch die Lego-Giraffe vor dem Sony-Center hätte sich sicher ein schöneres Zuhause vorstellen können.

Es wird unmöglich sein, es bei der Neugestaltung der Alten Mitte allen recht zu machen. Aber man muss, im Vergleich zum Potsdamer Platz, auf ein deutlich „besseres Scheitern" hoffen. Hier begegnet man den wahrscheinlich wichtigsten Fragen. Wer wird die Alte Mitte Berlins neu gestalten dürfen? Welche Interessen bestimmen das zukünftige Aussehen der Fläche zwischen Fernsehturm und Spree? Wer darf mitbestimmen und wer nicht?

Der Abverkauf Zehntausender landeseigener Wohnungen in den 1990er- und 2000er-Jahren war eine Entscheidung, die von vielen als Fehler angesehen wird. Die Zahl der durch die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften verwalteten Wohnungen hatte sich zwischen 1990 und 2010 mehr als halbiert. Ein Aspekt, dem oftmals wenig Beachtung geschenkt wird, ist die Privatisierung von mehr als 10.000 Grund­stücken aus öffentlichem Besitz im selben Zeitraum. Ihre Fläche übertrifft mit mehr als 2100 Hektar die Größe des Bezirks Friedrichshain­-Kreuzberg.

Eine Privatisierung der Fläche in Berlins Alter Mitte wäre ein schlechtes Omen für die Entwicklung des Ortes und hätte gesellschaftliche Folgen. Als Spekulationsobjekt würde die Alte Mitte Verdrängungsprozesse weiter befeuern. Eine solche Entwicklung wäre unpassend an einem Ort, auf den sowohl Bewohner als auch Besucher der Stadt einen Anspruch haben sollten. Laurenz Cushion

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