Hannah Prasuhn

Journalistin, Berlin/München

1 Abo und 0 Abonnenten
Artikel

Für eine US-Athletin schließt sich der Kreis: Winter an einem heißen Sommertag

Leonie Spehr läuft mit einer knappen Runde Abstand zur Führenden am jubelnden Publikum vorbei. Die deutsche 1500-Meter-Läuferin wird am Sonntag in Berlin von ihrer Familie unterstützt. Auch die Großmutter der 15-Jährigen ist gekommen. Für sie sind die Weltspiele der Special Olympics „der Wahnsinn". Schon letztes Jahr bei den Nationalen Spielen sei sie begeistert gewesen. Auch Spehrs Klassenkamerad*innen sind da und halten Plakate nach oben. „Leonie, du schaffst das", steht darauf. Die Unterstützung der Schule und die Atmosphäre bei den Spielen - „da können einem nur die Tränen kommen", sagt Spehrs Großmutter.

Die Tagesspiegel-App Aktuelle Nachrichten, Hintergründe und Analysen direkt auf Ihr Smartphone. Dazu die digitale Zeitung. Hier gratis herunterladen.

Etwa vierzig Minuten vorher dehnt sich Leonie Spehr mit ihren Teamkolleginnen. Es ist der erste Wettkampftag der Leichtathlet*innen bei den Weltspielen in Berlin. Auf einem Rasenplatz wärmen sich die deutschen Läuferinnen mit den Kugelstoßerinnen gemeinsam auf, bevor die ersten Disziplinen starten. Spehrs Ziel für diesen Tag angesichts der Hitze lautet: „Hauptsache nicht umkippen." Sobald es nach der Klassifizierung dann am Mittwoch um die Platzierungen gehe, solle es in einer gleich starken Leistungsgruppe für sie dann aber „eine Goldmedaille geben".

Die Gewinnerin des Halbfinals mit Spehr ist am Sonntag Gretchen Winter aus den USA. Auch sie hat mit ihren Eltern Unterstützung mitgebracht. Für die Familie hat die Berlin-Reise eine sehr besondere Bedeutung.

Digitale Serie

Dieser Text erscheint im Rahmen der „Special Olympics Zeitung" - ein Gemeinschaftsprojekt von Tagesspiegel, DGUV, BGW und Special Olympics Deutschland. Alle Texte zu den Weltspielen in Berlin finden Sie hier.

Wolfgang Winter zoomt das Schwarz-Weiß-Bild auf seinem Handydisplay heran. Es zeigt viele gleich gekleidete Menschen. „Einer von denen müsste er sein", sagt Winter. Er will seinen Vater zeigen, inmitten der in Reihe und Glied geordneten Turner*innen bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin. Winter senior nahm an der Eröffnungsfeier der von Adolf Hitler instrumentalisierten Spiele in der NS-Zeit teil.

© SO USA

87 Jahre später steht Wolfgang Winter nun mit seiner Frau Heidi unweit des Ortes, an dem das Foto seines Vaters entstand. Die ganze Familie ist aus Alaska angereist, bei ihrem ersten Berlin-Besuch stehen sie am Sonntag am Rand der blauen Bahn im Hanns-Braun-Stadion, direkt neben dem Olympiastadion. Die Steinmauern und der Glockenturm sind von hieraus zu sehen. Die Enkeltochter des Turners Winter, Gretchen Winter, schließt unter der heißen Sonne Berlins an diesem Mittag den Kreis der Familie.

„Ihre Rolle ist es, Gold zu holen", sagt Wolfgang Winter. Für Heidi Winter sei es sehr besonders hier zu sein und ihre Tochter bei den Weltspielen in Berlin laufen zu sehen. Damals, als Gretchen Winters Großvater bei der Eröffnungsfeier mitwirkte, sei es nicht denkbar gewesen, dass Athlet*innen mit Lernbeeinträchtigungen hätten auftreten dürfen. Im Gegenteil: Unter den Nationalsozialisten wurden bis zu 300.000 Kranke und Menschen mit Behinderung ermordet. Es sei sehr besonders zu sehen, „wie weit Deutschland gekommen ist", sagt Heidi Winter. Teil der olympischen Bewegung zu sein, „ist das Erbe der Familie", erzählt Wolfgang Winter: „Und sie wolle das erhalten".

Zum Original