Hannah Krug

Multimedia Journalistin, Basel

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Weser-Strand-Portät: Laura Reinberger hilft Straftätern wieder ins Leben zu finden

Die Justizvollzugsanstalt (JVA) Bremen ist im Stil der Neugotik erbaut. Hohe spitze Türmchen ragen hinter der mit Stacheldraht bedeckten Mauer hervor. Laura Reinberger erscheint pünktlich vor dem Eingang der wuchtigen Backsteinfassade. Ihre Bewegungen sind flink und geordnet, sie kennt sich hier aus. Seit etwas mehr als fünf Jahren arbeitet Reinberger in der Fachabteilung 28: Sozialtherapie. 

Über ihr Privatleben redet Laura Reinberger nicht gerne. Es gibt Gründe, warum das Private tabu ist; Gründe, die hilfreich sind, sie besser kennenzulernen. „Man will einfach möglichst wenig private Informationen hier präsent haben“, sagt Reinberger. Nicht einmal die Mitarbeiter sprechen sich mit Vornamen an. Man gebe nichts preis, schon gar nicht den anderen. Die anderen, das sind in Reinbergers Abteilung 20 Inhaftierte, 20 Gewalt- und Sexualstraftäter.

Diese Straftäter begeben sich zum Ende ihrer Haft für etwa zwei Jahre in die Sozialtherapie. Reinberger leitet Gruppentherapien. Dann sitzt sie mit einer Handvoll Männer in einem Raum mit grünen Stühlen und hört zu. „Was wir machen, ist Kriminaltherapie im Zwangskontext“, sagt die Sozialarbeiterin. Das Vokabular im Gefängnis ist nüchtern: Vollzugsplan, Kostausgabe, unter Verschluss. 

Ein ständiger Begleiter durch ihren Tag ist das Klimpern eines massiven Schlüsselbundes. Die metallenen Türöffner sind teilweise doppelt so lang wie normale Haustürschlüssel. Wenn Reinberger die vielen Türen in der JVA auf- und abschließt, vollführen ihre Bewegungen eine erprobte Choreografie. „Das ist etwas, was man schnell lernt: nicht vergessen, die Tür hinter sich abzuschließen.“ Fühlt sie sich manchmal unsicher? „Nein“, sagt Reinberger ohne zu zögern, „ich fühle mich sicher.“ An ihrem Gürtel trägt sie ein Telefon im klobigen Look der 90er-Jahre. Daran befindet sich ein roter Alarmknopf, den sie in Gefahrensituationen betätigen kann, sowie eine Schnur, deren Abreißen ebenfalls einen Alarm auslöst. Sie weiß: „Innerhalb kürzester Zeit sind Kollegen da und können mich unterstützen.“

Reinberger hat in Wolfenbüttel Soziale Ar­beit studiert. Bereits während eines Praxissemesters sammelt sie Erfahrungen mit Einzelfall- und Gruppenarbeit in der JVA. Ein schnelles „keine Ahnung“ auf die Frage hin, warum sie gerade die JVA interessiere, lässt vermuten, dass ihr die Frage schon oft gestellt wurde. Sie fügt hinzu: „Es gibt im Studium ja immer persönliche Präferenzen. Der eine arbeitet gerne mit Kindern, die andere mit Älteren. Ich wollte gerne mal sehen, wie es ist, mit straffällig gewordenen Menschen zu arbeiten.“

Die gebürtige Bremerin bleibt in der JVA und macht auch das in der Sozialarbeit übliche Anerkennungsjahr dort. In diesem Zeitraum werde man noch von der Universität und von einem Übungsleiter betreut. „Was bietet sich besser an, als es dann mal auszuprobieren?“ Reinberger möchte bleiben, bewirbt sich und tritt ein halbes Jahr später, mit 23 Jahren, eine Festanstellung als Sozialpädagogin an.

Ihr Büro liegt, durch einen schmalen Flur getrennt, gegenüber den Gefängniszellen. „Das ist super, weil man so richtig nah dran ist“, sagt Reinberger. Es hat dieselbe schmale Größe wie die Zelle auf der anderen Seite. Die 20 Inhaftierten dürfen sich in diesem Bereich der JVA frei bewegen – das ist Teil der Therapie. Im Regelvollzug muss dafür erst ein Antrag gestellt werden.

Reinberger trägt keine Uniform, stattdessen eine schwarze Jeans und einen schwarzen Rollkragenpullover. Lange dunkle Haarsträhnen ruhen auf den schmalen Schultern. Sie lacht gerne. „Ich bin ich selber.“ Einerseits gehöre es zu ihrem Job, Nähe herzustellen, zuzuhören, intime Fragen zu stellen, andererseits müsse sie ständig Grenzen ziehen. „Es ist immer auch eine Einbahnstraße.“ Die Inhaftierten bekommen keine privaten Auskünfte zurück, und wenn eine Frage übergriffig sei, weise sie sie bestimmt zurück, sagt Reinberger.

Reinberger ist neugierig. Sie möchte verstehen, wie Menschen ticken. „Ich arbeite mit diesen Menschen, um aus ihnen einen besseren Menschen zu machen.“ Eine Regel von ihr lautet: nicht in die Akten schauen, bevor sie eine Person kennengelernt hat. Sie möchte verhindern, dass Bilder im Kopf entstehen, die sie in ihrer Arbeit beeinflussen könnten. „Keine Straftat, die hier begangen wurde, finde ich toll, aber ich verurteile nicht. Jeder, der hier ist, hat sein Urteil bekommen.“

Ihr Beruf lehrt sie: Wenn man sich mit den Menschen in Haft befasst, ist ihre Rückfallgefahr geringer. Ihr Auftrag sei es, zu resozialisieren und dafür zu sorgen, dass es keine weiteren Fälle gebe. Eine große Aufgabe, die nur durch Abgrenzung funktioniert. „Ich bin immer noch erschrocken über die Dinge, die Einzelne hier mitbringen. Das sind alles Schicksale, aber es ist nicht mein Schicksal.“

Tag für Tag arbeitet sie in einem komplett abgeschlossenem System. Sie ist immerzu mit einem Ort konfrontiert, der Menschen ihre Freiheit verwehrt. Rechtliche Konsequenzen sind notwendig – davon ist sie überzeugt, aber sie ist sich auch bewusst, dass „das alleinige Einsperren nicht das bewirkt, was es bewirken sollte“. Ein Mensch werde nicht besser, indem man ihn unmenschlich behandle, egal was er gemacht habe.

Sie hat kein „Patentrezept für ein besseres System“, aber sie hat ihren Beruf. Außenstehende verstehen das oft nicht. „Ein Gefängnis ist ein sehr mysteriöses und abgewertetes System auf vielen Ebenen.“ Manchmal sei es schwierig, sich hinzusetzen und zu sagen: „Ich bin zufrieden.“






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