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"Der ist schwul und will es nur nicht zugeben" - Data Driven Journalism

Illustration: Hannah Horsten

Warum outen sich so wenige als bisexuell? In den letzten Jahren hat sich merkbar einiges getan in Sachen Offenheit gegenüber der LGBTQ+ Community (Lesbian, Gay, Bisexuall, Transgender, Queer). Wenn im Juni der sogenannte "Pride Month" erneut anbricht, werden wieder Colaflaschen und Straßenbahnen mit Regenbogenflaggen geschmückt und in den sozialen Netzwerken viel gute und wichtige Aufklärungsarbeit geleistet. Aber so "trendy" wie es hierdurch oftmals wirkt ist die Thematik gar nicht. Immer noch geben die meisten Personen, die nicht heterosexuell sind, an, nicht offen dazu zu stehen. Insbesondere bisexuelle Menschen scheinen mehrheitlich ungeoutet zu sein. Coming out of the closet

Dieser Terminus beschreibt im Englischen, was im Deutschen meist schlicht unter "Coming-out" bekannt ist. Hiermit ist jener Schritt gemeint, den LGBTQ+ Personen in einer heteronormativen Gesellschaft, also einer Gesellschaft, welche Heterosexualität als Norm darstellt, gehen müssen, damit das Umfeld oder die Öffentlichkeit über die sexuelle Orientierung beziehungsweise die Geschlechtsidentität bescheid weiß. Da unsere Gesellschaft - wie bereits erwähnt - heteronormativ ist, gehen die meisten Personen, die man kennelernt, vorerst von einer heterosexuellen Orientierung aus. Es ist also durchaus ein Privileg, sich als heterosexuelle Person nicht immer wieder aufs neue positionieren oder erklären zu müssen.

Der Schritt des Coming-outs ist für viele Personen nicht leicht - ebenso bleibt es im Laufe eines Lebens selbstverständlich nicht bei einem einzigen Coming-out. Man kann beispielweise im Freundeskreis geoutet sein, vor den Eltern jedoch nicht. Oder in der Verwandtschaft schon, aber nicht bei der Arbeit. Da sich der Begriff also ein wenig schwammig darstellt, wurden bei dem FRA LGBTI Survey - eine Befragung von der Agentur der europäischen Union für Grundrechte, Personen zu ihrer allgemeinen Offenheit mit ihrer sexuellen Orientierung befragt. Im Folgenden können nun die Schränke (closets) geöffnet werden, um den Anteil der LGB Personen zu sehen, der sagt sie gehen "sehr offen mit ihrer sexuellen Orientierung" um. Lesbisch, Schwul oder Bisexuell sind neben Heterosexuell jedoch nicht die einzigen, weiteren Orientierungen. Es gibt auch Menschen die sich als Pansexuell (sexuell und emotional hingezogen zu Menschen jeder Geschlechtsidentiät) oder Asexuell (kein oder kaum sexuelles Interesse) identifizieren. Diese Personengruppen wurden jedoch in dem vorliegenden Datensatz nicht befragt.

Im folgenden sind die Ergebnisse für Österreich abgebildet. Durch wischen auf die Schranktür und wieder heraus wird sichtbar, wie offen mit der eigenen sexuellen Orientierung umgegangen wird. Mit dem Smartphone online? -> Tippe auf die obere Ecke.

50% der sich als lesbisch identifizierenden Frauen in Österreich sagen sie gehen sehr offen damit um. Das ist im EU-Schnitt sehr hoch. Höher ist dieser Anteil nur in den Niederlanden (59%), in Schweden (64%) und in Dänemark (69%).

37% der schwulen Österreicher stimmen der Aussage zu, dass sie mit ihrer sexuellen Orientierung sehr offen umgehen. Das ist immerhin über dem EU-Durchschnitt, welcher bei 34% liegt.

Lediglich 16% der bisexuellen Männer in Österreich gaben an, damit sehr offen umzugehen. Das mag wenig klingen, es sind jedoch im EU-Schnitt sehr viele. Vor Österreich sind nur noch Belgien und Dänemark mit jeweils 17%.

Bisexuelle Frauen gehen in Österreich sogar noch seltener offen mit ihrer sexuellen Orientierung um als bisexuelle Männer. Hierbei liegt Österreich jedoch nur knapp über dem EU-Schnitt. Tendenziell gehen Frauen in Europa offener hiermit um als Männer. Während bei Männern über die Hälfte nie darüber spricht, ist es bei den Frauen in etwa ein Drittel.

Auffällig hierbei ist der große Unterschied. Während die Hälfte aller lesbischen Frauen in Österreich offen dazu steht, Mitglied der LGBTQ+ Community zu sein, ist es bei den bisexuellen Frauen knapp ein Siebtel. Auch im EU Vergleich sind bisexuelle Menschen bei weitem nicht so offen bei der Thematik wie homosexuelle.

Woher kommen diese Unterschiede?

Insbesondere bisexuelle Männer sind laut diesen Umfragewerten sehr zurückhaltend was ihre Sexualität betrifft. In Osteuropa sind es in keinem Land mehr als 3%. Ein Grund hierfür könnte die politische Lage sein. In Polen beispielweise gibt es seit dem Jahr 2019 sogenannte "LGBT-ideologiefreie Zonen". Auch wenn es sich bei Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transpersonen nicht um Ideologien handelt und diese Zonen juristisch keine Folgen haben sind sie durchaus ein deutliches Signal zur Ausgrenzung von Personen aus der Community. Trotz der feindlichen Haltung der Regierung gegenüber LGBT Personen, sind die Zahlen der Schwulen und Lesben, die in Polen offen zu ihrer Sexualität stehen (9% und 11%) deutlich höher als die der bisexuellen Frauen und Männer (2% und 1%). Woher könnte das kommen? Ein möglicher Grund könnte sein, dass bisexuelle Personen nicht gleichermaßen auf ein Outing angewiesen sind wie homosexuelle Personen. Während Lesben und Schwule sich gewissermaßen outen müssen, um sexuelle Bedürfnisse frei ausleben zu können, können Bisexuelle dies auch (oder zumindest teilweise) ohne Outing - gewissermaßen unter dem Deckmantel der Heteronormativität.

Auch ohne Angst vor politischer Feindseeligkeit ist, wie im ersten Absatz beschrieben, ein Outing meist ein unangenehmer Schritt. Man entblöst sich, von der, durch die Gesellschaft festgelegte, Norm abzuweichen. Auch in scheinbar politisch offeneren Ländern ist dies ein Schritt der immer mit einem Kampf mit Vorurteilen zusammenhängt. Wenn man in einer gegengeschlechtlichen Beziehung ist, wird eventuell auch von dem Umfeld der Kontext des Outings nicht ganz verstanden.

60% der in Österreich lebenden, bisexuellen Männer sprechen im Gegensatz nie offen über ihre Bisexualität und werden somit vermutlich, fälschlicherweise, vom großteil ihres Umfelds als heterosexuell wahrgenommen.

"Weil du nicht homo oder hetero wirst, sondern bi bleibst." Zwei Interviews

Den besten Einblick in die Lebensrealitäten von bisexuellen Personen bekommt man natürlich von ihnen selbst. Melissa (24) und Hanna (22) haben im Folgenden einige Fragen zum Thema Outing beantwortet. Die Antworten überschneiden sich teilweise sehr stark - was an dem ähnlichen Alter und den ähnlichen Lebensumständen liegen mag - eventuell zeigt es jedoch auch eine ähnliche Wahrnehmung der Gesellschaft auf.

Hast du das Gefühl, dass ein Outing als nicht heterosexuell in unserer Gesellschaft notwendig ist?

Melissa: Ich denke schon, dass man sich in unserer Gesellschaft noch outen muss. Leider. Wir haben zwar vielleicht das Gefühl, dass ein Outing nicht mehr notwendig ist - weil wir jedes Jahr hunderte Regenbogen-Fahnen in Schaufenstern und der Werbung sehen, weil wir auf die Pride-Parade gehen, weil die Popkultur so divers wie noch nie ist (mit Figuren wie Janelle Monae, Kehlani, Miley Cyrus, Frank Ocean und und und) und wir auf Netflix und Amazon Prime immer mehr Serien oder Filme mit dem Label ‚LGBTIQ' sehen. Und diese Veränderung ist extrem wichtig, weil es dadurch mehr Sichtbarkeit für uns gibt. Aber das heißt nicht, dass wir nicht weiterhin in einer heteronormativen Gesellschaft leben, wo die Liebesbeziehung zwischen Mann und Frau das ‚Normale' ist und alles andere eine ‚Abweichung' der Norm ist.

Hanna: Ich finde, dass es eine sehr individuelle Frage ist, ob jemand für sich überhaupt ein Outing braucht - die nicht pauschal beantwortet werden kann. Das "Outing" ist ein zweischneidiges Schwert, da Sichtbarkeit und Repräsentation zwar wichtig sind, andererseits jedoch ein starkes Hervorheben der nicht-heterosexuellen Identität, die 'Andersheit' wieder stark unterstreicht. Folglich ist ein Outing in unserer Gesellschaft eine Positionierung zum 'Anderssein'.

Was verstehst du überhaupt unter dem Begriff Outing?

Melissa: Sich outen zu müssen heißt für mich sich brandmarken zu müssen - für die Person, die man ist. Zu sagen: Hey, ich bin anders als ihr, weil ich anders liebe. Ganz ohne Outing kommt man aber nicht aus, weil man sonst weiterhin mit simplen Fragen wie ‚Hast du einen Freund?' getriggert wird. Man muss sich also als ‚anders' deklarieren, damit man nicht mehr in die Hetero-Kategorie gesteckt wird. Und in dem Moment, wo ich sage, „ich bin anders", in dem Moment oute ich mich.

Hanna: Für mich persönlich ist Outing ein Informieren und ein zu seiner eigenen Sexualität oder Genderidentität stehen.

Hast du persönlich das Gefühl, dass es bisexuellen Personen bei einem Outing schwerer gemacht wird? Oder leichter?

Melissa: Es ist auf gewisse Art und Weise leichter und schwieriger gleichzeitig, weil man als bisexuelle Person ganz anders wahrgenommen wird. Leichter ist es, weil man als bisexuelle Person noch mit einem Fuß in der Hetero-Gesellschaft steckt und ja nur „halb anders" ist, sozusagen. Genau das macht es aber auch schwerer, weil man in seiner Sexualität oft nicht ernst genommen wird. Bei bisexuellen Männern heißt es oft: „Der ist schwul und will es nur nicht zugeben", Frauen bekommen oft zu hören: „Das ist eine Phase, die geht wieder vorbei." Dass Bisexualität aber eine legitime Orientierung ist, genauso legitim wie Hetero oder Homo, verstehen viele immer noch nicht.

Hanna: Ich habe das Gefühl, dass man etwas weniger ernst genommen wird, als eine homosexuelle Person, die sich outet, da es oft als eine Art der „Transition" zum Lesbisch- oder Schwulsein gesehen wird. Auch von Seiten der LGBTQ+ Community wird man des Öfteren nicht ganz akzeptiert, da es so wirkt, als ob man sich „nicht zwischen zwei Seiten entscheiden" könne oder „eine Phase" durchlaufe. Auch wird man als bisexuelle Frau vor allem von heterosexuellen Männern öfters fetischisiert, mit Einladungen oder Erwartungen auf einen Dreier.

Welche Personen in deinem Umfeld wissen von deiner Bisexualität? Ist es dir wichtig, dass sie das Wissen?

Melissa: Ich habe seit drei Jahren eine Partnerin, was jeder weiß, der mich etwas besser kennt. Das heißt Leute in meinem engeren Umfeld wissen, dass ich bi bin. Davor wusste das aber niemand, weil ich es nicht ausgesprochen habe. Das ist so ein Ding mit Bisexualität: Solange du Personen datest oder eine*n Partner*in hast, die nicht dasselbe Geschlecht haben wie du selbst, würde niemand denken, dass du bi bist. Du wirst als hetero gelesen. Sobald du eine*n Partner*in hast oder jemanden datest, der oder die dasselbe Geschlecht hat wie du, wirst du als homo gelesen. Das macht es kompliziert, weil du nicht homo oder hetero wirst, sondern bi bleibst. Ich glaube mir ist es weniger wichtig, dass die Leute wissen, dass ich bi bin, als dass sie mich einfach so respektieren wie ich bin. Und das geht schneller und ist leichter, wenn ich sag ‚ich bin bi', als wenn ich sag ‚Ich finde Menschen attraktiv, weil sie eine gewisse Ausstrahlung haben - und nicht, weil sie ein gewisses Geschlecht haben'. Bi ist eben ein Code-Wort, wo jeder weiß, wo du stehst. Das Label an sich bzw. die Tatsache, dass man sich überhaupt labeln muss - naja, das hilft den Menschen eben dich zu kategorisieren. Anders wäre es denke ich, wenn ich einen Partner hätte. Dann würde es mich wahrscheinlich verletzen, wenn mich Menschen plötzlich als hetero lesen würden und es wäre mir wichtiger, dass Menschen wissen, ich bin bi.

Hanna: Es wissen zum Großteil meine Uni-Kolleg*innen, meine Schwester und mein Partner. Es ist mir schon wichtig, dass sie es wissen, da es doch ein Teil meines Lebens und meiner Persönlichkeit ist.

Gibt es Personen, denen du bewusst nicht von deiner Bisexualität erzählst? Warum?

Melissa: Ja, einem Großteil meiner Familie, weil ich weiß, wie sie reagieren würden (Surprise, nicht so gut). Das ist aber nicht so schlimm für mich, weil sich der Kontakt in Grenzen hält und ich es daher nicht für unbedingt notwendig halte. Da geht's mir vor allem um Selbstschutz.

Hanna: Meine Verwandtschaft weiß es nicht, weil ich weiß, dass ich da bei manchen auf Unverständnis stoßen würde. Außerdem ist es mir bei meiner Verwandtschaft nicht so wichtig, dass sie davon wissen wie bei Freund*innen, mit denen ich ein engeres Verhältnis habe.

Hast du bereits negative Reaktionen erhalten, nachdem du Personen von deiner Bisexualität erzählt hast? Wenn ja - inwiefern?

Melissa: Ja, von meiner Mutter. Ich glaube allerdings, dass das viel mehr eine Reaktion auf die Tatsache war, dass ich eine Partnerin hatte, als darauf, dass ich bisexuell bin. Da ist wieder dieses Ding: Bisexualität an sich kann man verstecken, sie wird erst sichtbar, wenn man Menschen des gleichen Geschlechts datet. Und solange sie nicht ‚sichtbar' wird (also die ‚abweichenden', Homo-Tendenzen sichtbar werden), wird sie oft und gerne ignoriert oder leichter akzeptiert. Ich hatte kein einfaches Outing, weil es für meine Mutter anfangs sehr schwierig war und völlige Unverständnis und Panik geherrscht hat. Das hat sich nach einer Zeit und viel Schmerz aber beruhigt, weil sie sich auch damit auseinandergesetzt hat, woher diese Unverständnis in ihr kommt. Ich bin ihr deswegen auch nicht böse - obwohl es sehr schwer für mich war - weil ich eben auch weiß, wie schwer es für sie war. Ansonsten hatte ich keine schlechten Erfahrungen.

Hanna: In meinem näheren Umfeld zum Glück nicht, nur bei manchen unbekannten, oben genannten, heterosexuellen Männern. Da kamen besagte Bemerkungen oder Blicke, wo ich mir wünschen würde, dass man sich informiert oder zumindest nachfragt. Außerdem kam es schon vor, dass meine Bisexualität in Frage gestellt wurde, da ich bisher nur männliche Partner hatte.

Conclusio

Wie können wir alle, als Teil der Gesellschaft, also bisexuellen Personen eine Plattform für mehr Offenheit bieten? In erster Linie in dem jede*r sich über den Umstand der Heteronormativität bewusst wird. Fragen wie "Hast du einen Freund?" an Frauen oder im Gegenzug "Hast du eine Freundin?" bei Männern projizieren automatisch ein eigene kreiertes, heterosexuelles Bild auf das Gegenüber, das eventuell mit der Realität nicht übereinstimmt. Außerdem sollte Menschen, die zu ihrer Bisexualität stehen, diese nicht abgesprochen werden oder als "Phase" abgestempelt werden. Selbst wenn es eine Phase sein sollte kann alleine die Person selbst das für sich feststellen und nicht das Umfeld. Denn die Bisexualität hört ja nicht auf, bloß weil jemand in einer heterosexuellen Beziehung ist.

Text und Illustrationen: Hannah Horsten - Daten: FRA LGBTI Survey
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