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Wie sich Eliten abschotten

Die vornehmste Aufgabe der Libertären besteht nach Ansicht des Vulgärkapitalisten und Trump-Freundes Peter Thiel darin, einen „Ausstieg aus der Politik in allen Formen zu finden".

„Was nach hehrem Ideal klingt, ist bei Lichte betrachtet nichts anderes als ein Freibrief für Steuerflucht und Verantwortungslosigkeit. Auch der konstruierte Antagonismus zwischen Politik und Technologie, der suggeriert, im Internet herrsche die große Freiheit, trägt zur Verkennung der Lage bei. Die Kommunikationsströme im Netz sind vermachtet, und die großen Player Google, Amazon, Facebook und Apple bestellen das Feld, sie schränken genau jene Wahlfreiheit ein, die Thiel beschwört. Er redet letztlich der Demontage der Demokratie das Wort, die Trump auf seine Weise bearbeitet: Für Gewaltenteilung hat er nichts übrig, die Presse betrachtet er als Feind, er spricht per Twitter zu seiner Gefolgschaft. In Peter Thiel hat er offenbar einen Geistesverwandten gefunden", resümiert die FAZ.

Als Symbol dieser aalglatten Ikonen des Vulkärkapitalismus sehe ich Johann Holtrop, die Hauptfigur im gleichnamigen Roman von Rainald Goetz. Das Werk ist ein erschreckendes Panoptikum der Wirtschaftselite. Holtrop ist auswechselbar. Ein Schnösel und Wichtigtuer, der sich mit abgedroschenen Plattitüden durchs Leben boxt. Er erzählt überall zusammengelesenes, letztlich nur nachgeplappertes Zeug. „Holtrop selbst merkte nicht, wem er was nachplapperte, wo er sich bediente und von wem er was übernommen oder gestohlen hatte" , so Goetz.

Durch diese Defizite entstand die besondere mimetische Energie, „die Holtrop das von außen anverwandelte, was ihm fehlte." Er implantierte der Außenwelt seine Ideen, indem er sie kopierte und zugleich so manipulierte, dass sie seine Ideen für ihre eigenen hielten - ein begnadeter Blender. Und diese Blender haben es schwer, sich offen und nahbar im Social Web zu bewegen. Es sind jämmerliche Söldner, die der Schweizer Publizist Frank A. Meyer so herrlich aufs Korn nimmt. „Sie verfügen nicht über Produktionsmittel, sie stehen nicht mit eigenem Kapital in der Verantwortung, ihre gesellschaftliche Position entspricht der von Kleinbürgern: nicht unten, aber auch nicht wirklich oben."

Unkultivierte Typen und neureiche VIPs, die ohne Positionen wieder zu Gartenzwergen schrumpfen. So eine neofeudal gestimmte Luxusclique, die ihre Kinder in der Potsdamer Luxus-Kita „" für eine Monatspauschale von mindestens 1.000 Euro (ein Schnäppchen) unterbringt, muss sich abschotten. „Wer sich global wie lokal so behütet, so getrennt vor der wirklichen Wirklichkeit durch den eigenen Lebensfilm bewegt, dem fehlt die Lust am Engagement für die ferngerückte Gemeinschaft", schreibt Meyer.

Die Politik sollte da nicht zur Tagesordnung übergehen: „Sie muss die Banker und Manager mit der politischen Macht konfrontieren, muss sie als scheinbar Allmächtige entzaubern. Sie muss sie entlarven als jämmerliche Söldner", fordert Meyer.

Aber wird das reichen? Professor Reinhard Pfriem hat das im Utopie-Podcast #KönigvonDeutschland verneint. Die Ökonomie sei ein Ausdruck kultureller Verhältnisse, auch was in ihr für wichtig gehalten und wertgeschätzt wird: „Die gleichen kulturellen Strömungen wirken auch auf die Konstellationen der politischen Kräfte ein. Gerade in einem repräsentativen Parteiensystem. Es war die Vorstellung schon immer naiv, daran zu glauben, dass auf dem Weg des Politischen die Akteure zu Maßnahmen gezwungen werden, die sie selbst nicht machen wollen. Das funktioniert nicht. Wenn man sich das Parteiensystem anschaut sowie das Wahlverhalten der Bürgerinnen und Bürger."

Man sei vielleicht gattungsgeschichtlich überfordert, die Gratwanderung zwischen Einheit und gemeinsamen Vorgehen sowie Konflikt- und Streitkultur zu bewältigen. Pfriem ist sehr angetan von den theoretischen Arbeiten der belgischen Wissenschaftlerin Chantal Mouffe . „Sie hat den Begriff der Agonistik geprägt - Sprechen ist Kämpfen im Sinne des Spielens. Damit meint Mouffe, dass es möglich sein muss, in der Gesellschaft Streitkultur zu pflegen und sich vom politischen Einheitsbrei zu verabschieden. Konflikte sollten Konflikte zwischen Kontrahenten bleiben und nicht Gegenstand von feindlichen Auseinandersetzungen sein. Das scheint extrem schwierig zu sein."

Staatliche Regelungen bewirken nach Ansicht von Pfriem nur dann positive Veränderungen, wenn es sozial- und gesellschaftspolitischen Druck gibt. Ohne Basisbewegungen hätte es in den 70er und 80er Jahren keinen Fortschritt in der Umweltpolitik gegeben, die letztlich zum Atomausstieg und zur Einführung des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG) geführt haben. Auf anderen Feldern funktioniere das nicht. „Denken Sie an die Mobilität, wo der Lobbyismus von Alexander Dobrindt sich ausleben kann und es in dem Autofahrerland Deutschland nach wie vor nicht möglich ist, auch nur Geschwindigkeitsbegrenzungen durchzusetzen."

Liegt es an der Atomisierung oder Entsolidarisierung der Gesellschaft? Pfriem bejaht das. Der Netzwerkforscher Manuel Castells hat das gut analysiert: Die alten und neuen Eliten (etwa Vulgärkapitalisten wie Thiel - er zählt gar zu den Protagonisten, die sich mit den alten Eliten koppeln) verbinden sich zur Absicherung ihrer Herrschaft bei gleichzeitiger Desorganisation der Gesellschaft.

Je stärker das Internet die Vernetzung vorantreibt und jeder nicht nur Empfänger von Botschaften ist, sondern auch Sender, desto stärker versuchen sich die alten Eliten abzusetzen, damit es nicht zu einem übermäßigen Vordringen von „gewöhnlichen" Leuten in die innere Welt der Cliquen und Klüngel kommt. Der Zugang zu den Netzwerken der Herrschenden bleibt versperrt. Nachzulesen im Standardwerk von Castells „Das Informationszeitalter I - Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft". Die Zersplitterung der Gesellschaft und der Separatismus elitärer Gruppen ist auch nach Meinung von Pfriem ein großes Problem.

„Es gibt ein grundlegendes Defizit an der Möglichkeit politischer Artikulation", mahnt der Ökonom Reinhard Pfriem und plädiert für die Entwicklung von institutionellen Formen, die tatsächlich wieder radikale Demokratie ermöglicht: „Es gibt in Berlin in einigen sozialen Brennpunkten der Stadt so genannte Quartiersräte, wo die heterogenen und zukunftsorientiert tätigen Akteure zusammengebracht und mit der darüber liegenden Ebene verkoppelt werden."

Also ein Bindeglied zu den kommunalen und landespolitischen Instanzen. In der Hauptstadt sind es die Bezirksverordneten-Versammlungen und das Abgeordnetenhaus. Die gegenwärtige Form von repräsentativer Parlamentsdemokratie schwebe schon institutionell über dem, was Menschen wirklich bewegt. Pfriem bringt den Begriff der Agora ins Spiel, also den Ort öffentlichen Verständigung und Kommunikation in der griechischen Antike. Das gilt nach seiner Auffassung auch für die Wissenschaft, die sich transparent zu zeigen und zu rechtfertigen hat sowie ihre von der Gesellschaft alimentierte Funktion unter Beweis stellen muss.

Eine Plattform ist natürlich auch das Theater. Und da wäre ich dann bei meinem Livestreaming-Engagement in den nächsten Wochen: Seit 1988 veranstaltet die Bundeszentrale für politische Bildung alle drei Jahre das Festival „Politik im Freien Theater". Nun kommt es mit seiner zehnten Ausgabe zum ersten Mal nach Bayern, nach München, mit einem zu dieser Stadt passenden Motto: „reich". In Kooperation mit den Münchner Kammerspielen und dem Spielmotor München e.V. als Vertreter der FreienSzene werden zwischen 1. und 11. November 14 von einer Jury ausgewählte Gastspiele gezeigt; dazu kommen zwei Einladungen der Kammerspiele selbst und ein reichhaltiges Rahmenprogramm mit Filmen, einer Ringvorlesung, Diskussionen und Jugendworkshops (ich selbst werde über das Geschehen vom 1. bis 4. November und vom 9. bis 11. November live berichten(,.

Von „reich" ausgehend komme man schnell zu Überlegungen über Privilegien, so Sophie Becker, Künstlerische Leiterin von „Spielart", gegenüber Süddeutsche Zeitung: "Wer hat Zugang zu was? Und zur Verknüpfung des Lokalen mit dem Globalen." Es gehe um Asymmetrien bei der Verteilung von Macht und Geld, in München, in Deutschland, aber auch in globaler Perspektive, ergänzt Christoph Gurk, Kurator und Dramaturg die Programmbereiche Freies Theater und Musik der Münchner Kammerspiele.

"'Reich' war der Suchbegriff, mit dem wir Arbeiten aufgespürten, die dem Thema interessante, vielleicht sogar neue Aspekte abgewinnen." Also spannende Tage, die mich in München erwarten. Ich hoffe, Ihr seid dabei wenn es heißt:

Man hört, sieht und streamt sich auf dem Festival "Politik im Freien Theater".

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