Normativ sind die Überlegungen von Homann nicht nur kümmerlich, sondern auch realitätsfern. Wer Ethik nur nach Marktlogik und spieltheoretischen Gedankenspielen verankert, verkennt die normative Kraft des Faktischen. Ob es die Wirtschaftsakteure wollen oder nicht, ob sie ihre unethische Praxis mit der Amoralität der Konkurrenten, dem globalen Wettbewerbsdruck oder mit sonstigen Umständen rechtfertigen, ihr Handeln wird immer auch nach ethischen Maßstäben gemessen. Es gibt eine wachsende Aufmerksamkeit für Fragen der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen – fernab von rein marktwirtschaftlichen und finanztechnischen Kriterien.
Der rein instrumentelle Ethik-Kanon von Wissenschaftlern wie Homann, die ihre Denkweise an der ökonomischen Rationalität ausrichten, greift zu kurz und befördert eher eine ethische Camouflage, die wir bei Konzernen wie VW, Deutsche Bank oder Nestlé jeden Tag beobachten können. Hier werden Ethik-Bekenntnisse nur im Schönwetter-Modus abgegeben. Wird die Luft dünner, reagiert das Top-Management mit Wortkargheit.
Anders sieht es im Ethik-Konzept von Peter Ulrich aus. Nachzulesen im Kapitel „Wirtschaftsethik als Fundamentalkritik an der Ökonomik“ des Buches von Hermann Sautter „Verantwortlich wirtschaften - Die Ethik gesamtwirtschaftlicher Regelwerke und des unternehmerischen Handelns“, erschienen im Metropolis-Verlag.
Die Kritik an einer „Selbstimmunisierung“ der Ökonomik gegen moralische Anforderungen ist ein zentrales Anliegen des wirtschaftsethischen Ansatzes von Ulrich. In angeblich wertfreien ökonomischen Sachgesetzen sieht er einen Zwang zur Unmoral. Diesen Zwang zu brechen, indem seine Unmoral ‚entlarvt’ wird, ist ein wesentliches Ziel seines Ansatzes“, so Sautter.
In seinem unternehmensethischen Entwurf zeichnet Ulrich das Bild eines aufgeklärten, verantwortungsbewussten Unternehmers, der als „moderner Wirtschaftsbürger“ seinen „Geschäftssinn“ mit seinem „Bürgersinn“ verbindet, und als „mitverantwortliches Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft“ ein „republikanisches Ethos verinnerlicht“. „Dass sich solche ‚Wirtschaftsbürger’ im marktwirtschaftlichen Wettbewerb behaupten können, schliesst Ulrich offenbar nicht aus.“
Der im Sinne Ulrichs verantwortungsbewusste Unternehmer setze sich als „Wirtschaftsbürger“ auch für Regelsysteme ein, die seine ethische Verantwortung „abstützen“. „Er nimmt also seine ‚Corporate Citizenship’ ernst. Doch die Hauptverantwortung für ein ethisch verantwortbares Wirtschaftssystem liegt bei den im engeren Sinne politischen Akteuren, den Parlamenten und Regierungen. Von ihnen wird gefordert, dass sie ein weit gefächertes Instrumentarium zur Begrenzung des Marktzwangs anwenden“, erläutert Sautter. Ganz ausdrücklich werde gesagt, dass Wettbewerbsbeschränkungen auch im internationalen Handel sinnvoll sein können. Durch Steuern, Abgaben, Gebote und Verbote sollten die marktwirtschaftlichen Anreizstrukturen im Sinne einer „lebensdienlichen“ Ökonomie geändert werden. Ein umfassendes Bündel politischer Instrumente diene dem Ziel, den „Sachzwang“ des Marktes zwar nicht völlig zu brechen, aber ihn so weit wie möglich abzumildern. Ganz allgemein werde Ordnungspolitik als eine „Sachzwangbegrenzungspolitik“ verstanden, und ausdrücklich wird betont, dass auch nicht-marktkonforme Interventionen zum Instrumentarium einer verantwortungsbewussten Wirtschaftspolitik gehören müssen.
Wirtschaftspolitik muss dann allerdings viel stärker als Staatskunst verstanden werden. Was passiert bei der Einführung von Steuern und Abgaben? Mit welchen Ausweichstrategien ist zu rechnen, wenn Verbote erlassen werden? Welche statischen und dynamischen Effekte entstehen bei einer Beschränkung des Marktzugangs für einzelne Güter? Wie ist es um die Leistungsfähigkeit staatlicher Organe bestellt, wenn eine Wirtschaftspolitik betrieben werden soll, die für alle Dimensionen des menschlichen Glücks verantwortlich ist? Wie reagieren die Wirtschaftsteilnehmer auf diese Instrumente? Eine Wirtschaftsethik, die Orientierungshilfen für eine „lebensdienliche“ Ökonomie geben will, werde an einer gründlichen Analyse ökonomischer Ursache-Wirkungs-Ketten nicht vorbeikommen, betont Sautter.
Eine Wirtschaftsethik müsse auch die realen Umsetzungschancen von normativen Forderungen thematisieren. Wenn Ulrich für die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens plädiert, muss er auch auf die Finanzierbarkeit und auf die unerwünschten Nebeneffekte eingehen. Etwa bei der Abwälzung der Finanzierung auf indirekte Steuern.