Im Schaufenster locken noch die Plakate vom Urlaubsparadies im sonnigen Süden. Aber wer das kleine Reisebüro "Konsum-Reisen" in Berlin-Charlottenburg betritt, blickt nur noch auf leere Regale. Die Kataloge sind alle schon weggeräumt, allein der Computer läuft noch. Wer hier seine Ferien buchen möchte, kommt zu spät. Geschäftsführer Martin Engelbreth wickelt sein Geschäft ab. "Es hat am Ende keinen Spaß mehr gemacht", sagt der freundliche 46-Jährige in Jeans und T-Shirt. Und die roten Zahlen konnte er nicht ignorieren. Aber auch die hohen Erwartungen einiger Kunden hätten ihn am Ende genervt, weil sie sich für ihn nicht mehr rechneten. Da kamen Leute, die ihre Flüge in die USA, den Mietwagen und die Unterkünfte im Internet schon längst gebucht hatten. "Aber für das eine Hotel am Ende der Welt, das sie nicht gefunden haben, kommen sie dann ins Reisebüro und ich soll mich tot suchen", sagt der Unternehmer bitter. "Das nennen wir dann Beratungsklau." Damit ließe sich im Reisegeschäft kaum noch etwas verdienen.
Brief statt BeachIn den letzten Jahren sicherte sich Engelbreth dadurch ab, dass er sein Reisebüro mit einer Postfiliale kombinierte. Aber der schleichende Niedergang war nicht aufzuhalten. Die Fluglinien hatten ihre Provisionen schon vor Jahren gestrichen, auch die Veranstalter machen unabhängigen Reisebüros das Leben schwer. Längst haben große Online-Reiseanbieter im Internet das Geschäft umgewälzt. "Das sind heute große Industrieunternehmen mit Milliardenumsatz", beschreibt Engelbreth die Veränderung seiner Arbeitswelt. "Wenn man von oben und von unten nicht mehr gewollt wird, reicht es einem irgendwann."
Engelbreth wird sich nun ganz auf den Postbetrieb konzentrieren und nebenher den Verkauf von Briefumschlägen, Papier und Büromaterial ausweiten. 25 Jahre lang hat er in der Reisebranche gearbeitet. Anfangs hatte er noch das Gefühl, etwas Schönes zu tun und Leuten bei ihren Urlaubsplänen weiterzuhelfen. Die Leute freuten sich auf ihre Ferien, wenn die Buchung getätigt war. Nach dem Urlaub kamen Stammkunden gerne vorbei, um zu erzählen oder ein Mitbringsel vorbeizubringen.
Im Netz gibt's die Wettervorschau gleich dazu"Gut verdient haben wir früher an der klassischen Pauschalreise", sagt Engelbreth. Wenn eine vierköpfige Familie für rund 2.500 Euro zwei Wochen nach Mallorca fuhr, dann ließen sich 200 Euro Provision verdienen. "Das bucht heute jeder selber im Netz." Als es mit dem Internet losging, hatte Engelbreth die technische Entwicklung noch unterschätzt. "Sollen die doch den Katalog runterladen", dachte er sich damals. Wer heute sage, er habe seinen Urlaub im Reisebüro gebucht, gelte inzwischen als altmodisch, ist seine Erfahrung. "Das Internet ist eben hip. Da stehen 180 Bewertungen für ein Hotel, die Wetterprognose für Juli und die passenden Landkarten nebeneinander", sagt er.
Der Niedergang von "Konsum-Reisen" ist typisch für den Strukturwandel in der Branche. Der Deutsche ReiseVerband (DRV) zählte 2013 nur noch 9.729 Reisebüros bundesweit und damit rund 4.000 weniger als noch vor zehn Jahren. "Es sind zwar weniger Büros, aber der Umsatz ist gestiegen", zeigt sich die DRV-Sprecherin, Sibylle Zeuch, dennoch optimistisch. Es sei eine mittelständische Branche und im Vergleich zu anderen europäischen Ländern sei die Dichte der Reisebüros immer noch hoch.
"Die digitale Transformation hat erheblichen Einfluss auf das Geschäft des Reisevertriebs - sie ist eine große Herausforderung für uns - mit vielen Chancen", sagte der Vizepräsident Andreas Heimann zum Auftakt der letzten Verbandstagung. Der Kunde nutze das Internet häufig zur Orientierung und Inspiration, aber die Beratung durch Fachkräfte sei unentbehrlich. Der DRV empfiehlt seinen Mitgliedern unter anderem die Zusammenarbeit mit Call-Centern, um 24 Stunden erreichbar zu sein, ergänzt Zeuch. Gut sei es auch, sich zu spezialisieren: mit Regionalkenntnissen vor Ort oder Fachwissen im Aktivurlaub mit Tauch-, Sport- oder Golfreisen. "Die Reiselust der Deutschen ist ungebrochen und davon profitiert die ganze Branche", sagt Zeuch.
In fremden BettenAndere Stimmen sind da skeptischer. Der Arbeitsforscher Ayad Al-Ani glaubt an einen umfassenden Wandel: "Es fängt beim Reisebüro an und geht beim Check-In am Flughafen weiter, wo der Passagier auch alles selber machen soll", sagt er und erwartet, dass der digitale Wandel sich in Zukunft auch auf den Charakter der Reisen auswirken wird. "Immer mehr Leute werden vom sterilen Angebot der Hotelketten auf die 'sharing economy' ausweichen", sagt Al-Ani. Er meint, dass zum Beispiel mit der privaten Vermietung von Betten im Netz schon eine ernstzunehmende Konkurrenz für die Hotelbranche heranwachse und statt der Erholung im Hotel wollen Reisende zukünftig stärker den Kontakt zur Lebenswirklichkeit in fremden Ländern suchen. "Da schläft man nicht nur billig, sondern findet auch noch Anschluss an die lokale Community, auch über soziale Medien", so Al-Ani.
LinksDer Deutsche ReiseVerband (DRV).
Hier geht es zur Website des Arbeitsforschers Ayad-Al-Ani.
Gemma Pörzgen ist freie Journalistin in Berlin und schreibt über Außenpolitik, Osteuropa, Medien und Bildung. © CC-Lizenz-Wikimedia.2.0, © picture-alliance/dpa