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Jan-Peter Kleinhans - „Eine Fab ist noch keine Strategie" Europe.Table

Jan-Peter Kleinhans leitet das Projekt „Technologie und Geopolitik“ bei der Stiftung Neue Verantwortung.

Sie sind überall und trotzdem knapp. In seinem Büro, schätzt Jan-Peter Kleinhans, seien 150 bis 200 Chips verbaut – Bildschirm, Handy, Laptop, Ladegerät, Lampen, die Funktastatur. Allein in seinem Smartphone steckten etwa 30 Halbleiter.


Kleinhans leitet das Projekt „Technologie und Geopolitik“ bei der Stiftung Neue Verantwortung (SNV), er beschäftigt sich mit der strategischen Bedeutung von Halbleitern und deren Lieferketten. Sein Forschungsgebiet ist derzeit politisch sehr gefragt.


Weil ohne Chips fast nichts mehr geht, will EU-Industriekommissar Thierry Breton massiv investieren. Bis 2030 soll der Anteil Europas an der globalen Chipproduktion von zehn auf 20 Prozent wachsen. Um die Abhängigkeit von Anbietern aus Asien und den USA zu reduzieren. Und um künftig Lieferengpässe wie jene zu vermeiden, die seit Monaten etwa die Autoindustrie ausbremsen.


Kleinhans aber rät dazu, die beiden Argumente nicht zu vermengen. „2020 war ein Ausnahmejahr, weil jeder für Zuhause einen neuen Laptop brauchte, für Videoconferencing brauchte es mehr Cloud-Infrastruktur. Damit hat einfach keiner gerechnet vor Covid.“ Ist es Aufgabe der Politik, kurzfristig etwas an der Chipknappheit zu ändern? „Eher nein“.


Kleinhans empfiehlt vielmehr, dass Europa strategisch in sein Chip-Ökosystem investiert. Die größten Fertigungsstandorte sind Taiwan und Südkorea, beim Chipdesign liegen die USA weit vorne. „Europa braucht eine langfristige Strategie, und die muss eben mehr sein als einfach nur zu sagen: Wir bauen eine Fab.“ Auch das von Breton ausgegebene Ziel, Chips mit Strukturgrößen von nur noch zwei bis drei Nanometern zu entwickeln, könne „nur ein Puzzleteil in einer größeren Strategie“ sein.


„1,2,3 Generationen hinter Cutting Edge“

Viel entscheidender sei das Drumherum, so Kleinhans: „Wie können wir unser Startup-Ökosystem im Bereich Hardware und Halbleiter stärken? Wie können wir die Eintrittsbarrieren für neue Unternehmen senken, sich mit Chipdesign zu beschäftigen? Was sind die interessanten Technologien über zehn Jahre hinaus, bei denen es nicht um die Fertigung, sondern ums Packaging geht?“


Denn: Selbst wenn führende Chiphersteller wie TSMC aus Taiwan Werke in Deutschland eröffneten, „werden wir vermutlich über Fertigungskapazitäten sprechen, die 1,2,3 Generationen hinter Cutting Edge sind“. Eben, weil die industriellen Ökosysteme in Taiwan oder Südkorea besser eingespielt seien.


Kleinhans zählt sich bei dem Berliner Thinktank mit 35 Jahren zu den Älteren. Wenn man will, ist man mit ihm schnell beim Du. Aufgewachsen in Steinau an der Straße bei Hanau, hat er Wirtschaftsinformatik in Darmstadt studiert. Danach hatte er „überhaupt keinen Bock mehr auf das deutsche Universitätssystem und wollte unbedingt weg“.


Schon in der Bachelorzeit interessierte ihn die Schnittmenge zwischen Digitalisierung und Gesellschaft. Aus seinem kommunikationswissenschaftlichen Masterstudiengang in Uppsala hat er viel mitgenommen: „Mein Prof hat mit marxistischer Theorie auf soziale Medien geschaut. 2011, also before it was cool, hat er schon darüber gesprochen, dass du auf Facebook das Produkt bist“.


Die Arbeit für einen Thinktank, das ist viel Theorie, viel lesen, viel schreiben. Deshalb baut Kleinhans am Wochenende gerne Möbel. „Das ist dann auch immer mit knobeln verbunden. In einer kleinen Stadtwohnung ist jeder Quadratmeter heilig, und man muss den so gut ausnutzen, wie es geht.“ Bei Chips verhält es sich ganz ähnlich.

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