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Die Brummi-Michi

Pudelwohl fühlt sich die Truckerin aus Nammering am Steuer ihres Mercedes Benz Actros. Unterwegs sein mit 450 PS, das ist ihr Leben. − Foto: Bub

Die 43-jährige Michaela Niedermeier beißt sich in der von Männern dominierten Welt der Truckerfahrer durch. Einmal wurde sie belästigt, einmal kam ihr ein Geisterfahrer entgegen, der den Aufprall nicht überlebte. Doch die robuste Frohnatur lässt sich nicht unterkriegen.


Pleinting. Michaela Niedermeier sitzt in ihrem Wohnzimmer, wohl einem der kleinsten der Welt. Auf ihren viereinhalb Quadratmetern hat sie ihr Bett, ihren Kühlschrank und einen Fernseher. Müde schaut die 43-Jährige aus dem Fenster – es war ein langer Arbeitstag. Zwei Stunden Fahrt hätte sie mit ihrem Hexenheisl, wie sie ihren Sattelzug nennt, noch bis zu ihrem richtigen Zuhause. 450 PS, 40 Tonnen, wenn es beladen ist, bringt ihr zweites Heim auf die Straße. Viereinhalb Stunden ist es her, dass sie das letzte Mal gehalten hat. Der Zähler läuft mit und es hilft alles nichts. Die nächste Zwangspause steht an. Heute wird sie wohl oder übel in Regensburg übernachten müssen. Verstößt sie gegen die geregelten Fahrtzeiten, drohen harte Strafen. Die Metallica-CD, die sie eingelegt hat, hält sie bei Laune. Laut und schief singt sie mit.


Einen Tag später steht die selbstbewusste Truckerin in der Spedition Gelhart in Pleinting. Sie strahlt Sympathie und Entspanntheit aus. Michaela gehört zu der Sorte Mensch, mit der man einen Abend an einer verlassenen Bar verbringen kann und keine Langeweile hat. Sie hat viel zu erzählen und ist meistens gut gelaunt.


Geschafft, aber zufrieden, lässt sie sich auf eine aus Paletten gebaute Couch plumpsen. Es ist Samstagmittag und Michaela gönnt sich eine Feierabendzigarette. Vor ihr steht eine Apfel-Kirsch-Schorle. Zu Essen gibt es Kartoffelbrei mit Soße. Viel Zeit zum Kochen hat sie sich nicht genommen.


Der Zigarettenrauch in der Luft und die Kollegen, die ihr erstes Bier des Wochenendes trinken, schaffen eine Kneipenatmosphäre. An der Tür hängt eine Liste mit allen Geburtstagen der Mitarbeiter.


Die Kollegen heißen Beppo, Muschl, Hasi


Darauf stehen Namen wie Brummi, Bebbo, Muschl oder Hasi. Bei Michaela Niedermeier waren die Kollegen nicht so kreativ. Sie wird von allen Michi genannt.


Es gibt so viel, was sie am LKW-Fahren reizt. "Höher als alle anderen zu sitzen, den besten Blick über die vorbeiziehende Landschaft zu haben, jeden Tag woanders zu sein. Das ist das letzte Quäntchen Freiheit, das uns noch geblieben ist", sagt sie und muss grinsen.


Mit glänzenden Augen spricht sie über ihren 40-Tonner: "Einmal habe ich Badezimmer nach Berlin gebracht, an den Alexanderplatz. Die waren komplett fertig. Die mussten nur noch rausgeholt und eingebaut werden. Wahnsinn oder?"


Wortkarg ist sie nicht. Sätze sprudeln aus ihr heraus. Erst recht, wenn sie übers Fahren spricht. Die 43-Jährige mit den kurzen blonden Haaren sagt über sich, dass sie niemals Container liefern oder Linien fahren könnte. "Das ist mir viel zu eintönig, da macht man ja immer das Gleiche. Beim Container weißt du nicht mal, was du geladen hast und musst auch nichts abladen."


Wie viele Fernfahrer kam sie als Quereinsteigerin in den Beruf. Erst wollte sie Metzgerin werden. Während der Lehre merkte sie, dass das nichts für sie ist. "In Landau hat eine Spedition einen Fahrer für Fleischtransporte gesucht, der sich ein bisschen mit Fleisch und Wurst auskennt. Da habe ich mich beworben."


22 Jahre ist das her. Damals war sie 21. Junge Frauen hatten es früher in der männerdominierten Branche schwer. Michaela hat sich im Laufe der Zeit ein dickes Fell zugelegt. Durch kleine Sticheleien bekam sie die fehlende Wertschätzung männlicher Kollegen zu spüren. Respekt musste sie sich erarbeiten. "Wo ein Mann 100 Prozent gibt, musst du als Frau 120 geben. Viele Männer haben mich erst akzeptiert, als sie merkten, dass ich den Job genauso mag wie sie."


An der Löwenwand hat´s Klick gemacht


Auf einem Rastplatz in Frankreich wurde sie von Kollegen an ihrem Wagen belästigt. Als sie nachts aufs Klo ging, wartete bei ihrer Rückkehr eine betrunkene Meute, die ihr an die Wäsche wollte. Ein holländischer Fahrer, der zufällig vorbeikam, konnte die Bedränger mit einem Baseball-Schläger vertreiben. Lieber denkt sie an ihre erste Fahrt zurück. Von Landau fuhr sie in den unteren Bayerischen Wald: "Es war Januar, aber die Sonne schien. Ich kam an der Löwenwand vorbei, im Radio lief gute Musik. Da hat´s Klick gemacht. Da wusste ich: Das will ich bis an mein Lebensende machen. Seitdem sind die Trucks größer und die Strecken länger geworden." Michaela muss grinsen. Sie ist eine Frohnatur. Spricht sie über ihren Mercedes Benz Actros 1845 – ihr Baby, ihre Arbeit, ihr Wohnzimmer − kriegt sie das Lächeln nicht aus dem Gesicht.


Der Beruf spannt sie voll ein. Es fällt ihr schwer, Beziehungen aufrechtzuerhalten. "Ich habe wenige, aber dafür gute Freunde. Ich kann nicht wirklich in die Zukunft planen, oft muss ich kurzfristig absagen, wenn ich mich verabredet habe. Gestern Abend wieder. Da wollte ich mich eigentlich mit meinen Freundinnen treffen."


Manchmal ist Michaela mehrere Wochen am Stück unterwegs. Sie war in halb Europa – Moskau, Cannes, Edinburgh. In die Ferne zu fahren ist ein Highlight für sie: "Wenn ich von Paris komme und im Dunkeln an Nancy vorbeifahre oder bei Sonnenschein von Genua nach Ventimiglia – ein Traum." Nach langen Reisen freut sie sich, nach Hause zu kommen. Länger als zwei Wochen kann sie aber nicht daheim bleiben: "Da fällt mir die Decke auf den Kopf."


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