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Die Kinder gehen nicht mehr bolzen

Auf Bolzplätzen lernt man die richtige Mentalität, glaubt der DFB. Trotzdem sind sie oft leer. −F.: Rott

Passau/Frankfurt am Main. Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft hat eins ihrer schlechtesten Jahre hinter sich. Von sieben Pflichtspielen hat sie nur eins gewonnen. Sechs Partien verlor die Mannschaft von Joachim Löw insgesamt. Negativrekord in der 111-jährigen Geschichte des DFB.


Das neue Credo, das von Joti Chatzialexiou, sportlicher Leiter der Nationalmannschaften, und Meikel Schönweitz, DFB-Juniorenchef, ausgerufen wird, ist: Mehr Bolzplatz-Mentalität. Die sei in Deutschland nämlich abhanden gekommen, sagte Chatzialexiou den Zeitungen der Funke-Mediengruppe kürzlich und Meikel Schönweitz bestätigte: "Gerade für Kinder ist Spielen, Dribbeln, Ausprobieren ganz entscheidend."


Nicht das Ergebnis und der Erfolg der Mannschaft müssten im Fokus stehen, sondern der einzelne Spieler und seine Entwicklung, meint Chatzialexiou.


Dazu hat Mario Tanzer (43), Sportdirektor beim FC Passau, eine klare Meinung: "Das kann ich nicht mehr hören. Wenn bei Passau alle Mannschaften von der U13 bis zur U19 absteigen, kann ich mich auch nicht hinstellen und sagen: Wir haben zwar schlecht gespielt, aber individuell haben sich alle weiterentwickelt."


"In vier Jahren suchen wir wieder Abwehrspieler"Der DFB sei selbst Schuld, dass individuelle Stärken nicht mehr gefördert würden, meint Tanzer. "Viele Trainer orientieren sich an DFB-Trainings-Mustern, die man im Internet findet. Da geht es häufig nur ums System." Außerdem sei die Diskussion viel zu allgemein. "Ich kann doch nicht von einem Innenverteidiger fordern, ins Eins gegen Eins zu gehen. Wenn man jetzt nur Eins gegen Eins fordert, suchen wir in vier Jahren wieder Abwehrspieler."


Peter Wimmer ist DFB-Stützpunkt-Koordinator für Südbayern. Wenn Wimmer über Fußball spricht, klingt er, als stelle er Naturgesetze auf. Wimmer, Jahrgang ‘54, seit 2003 beim DFB, redet langsam, laut und akzentuiert. Seine Botschaft soll klar rüberkommen. "Lernen kann ich nur mit Ballbesitz", sagt er und schimpft über D-Jugend Trainer, die destruktiven Fußball mit wenig Ballbesitz spielen lassen. "Oder gehen Sie mit Ihrem Buam zum Fußballspielen auf die Wiese und nehmen keinen Ball mit?"


Um die Gründe zu erklären, warum Spieler sich nicht ins Eins gegen Eins trauen, kreiert er einen Dreisatz. "Man braucht die richtige Mentalität. Die Mentalität kann ich nur haben, wenn ich das Selbstvertrauen habe. Das Selbstvertrauen habe ich nur, wenn ich es auch kann. Ich kann es nur, wenn ich auch die Möglichkeit habe." Oder einfacher: "Lass den Fußballer einfach spielen. So viel und oft wie er will."


Hier sind sich Tanzer und Wimmer einig. Tanzer hält es für falsch, junge Spieler in taktische Systeme zu zwängen. Das Eins gegen Eins würde oft von Eltern am Spielfeldrand unterbunden, die schimpften, wenn ein Spieler im Dribbling den Ball verliert. Viele Trainer ließen sich davon beeinflussen.


"Man hört nur noch Fortnite und Instagram"


Für Wimmer gibt es zwei Typen von Trainern, die ihre Spieler zum Abspielen zwingen: "Typ A: Der Trainer, der die Fähigkeiten des Spielers nicht duldet. Typ B: Der Trainer, dessen Sohn in der Mannschaft spielt und keinen Ball bekommt."Ein guter Trainer würde laut Wimmer stattdessen sagen: "Mach dein unwiderstehliches Dribbling einfach 30 Meter weiter vorne, und belohne dich mit einem Tor, nicht in der eigenen Hälfte."


Doch an der fehlenden Eins-gegen-Eins-Mentalität sind für Tanzer nicht nur die Eltern schuld. Die Kinder gingen nicht mehr auf den Bolzplatz. "Ich komme aus Grainet. Da sehe ich keine Kinder draußen Fußball spielen." Die Ursachen? "Fragen sie mal bei irgendeinem U13-Spieler nach dem Wochenplan! Da steht Schule, drei Mal Training, Hausaufgaben und zocken."


Und die Freizeit finde im Kinderzimmer statt. "Früher hatten wir kein Handy und Facebook. Heute hört man am Fußball-Platz nur noch Fortnite und Instagram", schimpft Tanzer.


Einer, den sein intuitiver Spielstil auszeichnet, der Fußball spielt wie auf dem Bolzplatz mit feiner Technik und gutem Abschluss, ist Christian Seidl. Der 24-Jährige wechselte im Sommer vom SV Schalding aus der Regionalliga in die Bezirksliga zu seinem Heimatverein FC Künzing. Nicht, weil sein Talent nicht für die Regionalliga gereicht hätte – die Schaldinger wollten ihn halten – sondern weil er wieder zu Hause mit seinen Freunden spielen wollte.


"Wir haben früher fast jeden Tag draußen gekickt", sagt er. "Erst im Garten, mit Schuhen oder Jacken als Tore, später, als wir Räder hatten, sind wir zum Bolzplatz gefahren. Wenn die erste Mannschaft gespielt hat, haben wir nicht zugeschaut, sondern mit 25 bis 30 Kindern neben dran auf einer Wiese gespielt." Heute sehe er da immer noch Kinder. Nur weniger seien es geworden. Fünf bis sechs Kinder spielten dort, schätzt er. Beim Spielen auf der Straße habe er vor allem gelernt, wie er härter wird. "Da wollte man immer gewinnen. Und wenn man verloren hat, hat man zwei Stunden geschmollt."


Doch es gibt noch Hoffnung. Peter Wimmer schwärmt von einem Talent aus Pfarrkirchen: "Ich sag nur Nermin Mesic. Das ist ein ganz wunderbarer Spieler, Jahrgang 2005. Diesen Spieler hat TuS Pfarrkirchen gewähren lassen, dass er seine Fähigkeiten gewinnbringend einsetzt. Über den wird sich Meikel Schönweitz irgendwann freuen."


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