Ob in Serien wie "Queer Eye" und "Pose" oder auf Parties in New York, Berlin und München: Die Drag-Kultur erlebt derzeit einen außergewöhnlichen Hype. Aber woher kommt der neue Spaß am Drag?
Drag-Queens und Drag-Kings in Fernsehserien wie „RuPauls Drag-Race" und „Pose", Drag-Performances an den Münchner Kammerspielen: Die Drag-Kultur erlebt derzeit einen Hype. Aber wo liegen ihre Wurzeln? Und wie politisch ist das Spiel mit dem Gender?
Das Stabile ins Wanken bringen - vor einem riesigen Glitzervorhang. Das will das Kollektiv ‚KammerQueers' an diesem Abend mit Performances von drei Künstler*innen. Es beginnt mit dem Drag-King-Debut von „Smoothoperator": eine Parodie von Macker-Moves mit Gangster-Musik. Danach zelebriert „GODXXX NOIRPHILES" in schwarze Netztücher gewickelt tanzend das Hässliche. Zuletzt verliest „Keith Zenga King" ein gedichtetes Eheversprechen an sich selbst und thematisiert damit die Identität als Transperson.
Am vergangenen Wochenende haben die Münchner Kammerspiele zum zweiten Mal queere Kunst auf die Bühne gebracht: bei "WUSS 3000", einer Party mit Performanceart, Karaoke und mit Drag. ‚WUSS' bedeutet ‚Schwächling'. Ein Schimpfwort, wie einst auch der Begriff ‚queer' (‚schräg'), der später umgedreht und zur positiven Eigenbezeichnung der Community wurde.
Drag ist nicht nur „Glitter und Glam", sondern auch gesellschaftskritischÄhnlich vielschichtig ist auch der Begriff ‚Drag'. Oberflächlich betrachtet würde man sagen: Drag-Queens sind Männer, die sich als Frauen verkleiden, die Brüste ausstopfen, glitzerndes Make-Up und High Heels tragen. Und umgekehrt sind Drag-Kings Frauen, die sich als Männer verkleiden, die Brüste wegbinden, sich den Schritt ausstopfen und Bärte schminken. In Wahrheit ist es aber komplizierter: ‚Drags' inszenieren nicht nur Geschlechterrollen als farbenfrohes Verkleiden-Spielen mit Playback-Show, Federboa und Bling-Bling. Wenn Markus Söder also zu Fastnacht als Marilyn Monroe geht, ist das noch kein Drag. Denn Drag bedeutet im Grunde: das, was als ‚normal' gilt, umdrehen und ins Wanken bringen. Das betrifft nicht nur Männlichkeit und Weiblichkeit, sondern auch andere gesellschaftliche Konzepte. „Meine Form von Drag ist nicht nur Glitter und Glam", sagt „GODXXX NOIRPHILES". „Es ist radikale Inklusion, radikale Selbstliebe und das Umarmen des radikal Hässlichen, um es neu zu definieren als das Schöne."
Mit ihrer Veranstaltung prangern die KammerQueers an, dass queere, also die heterosexuellen Normen infrage stellende Kunst in öffentlichen Institutionen zu selten stattfindet. Gerade in letzter Zeit scheint es, als würde vor allem Drag die Popkultur stark beeinflussen und sichtbarer werden - zumindest auf Fernsehbildschirmen. ‚RuPauls Drag Race' ist eine Reality-Show, in der nicht „Germany's next Topmodel", sondern „Americas next Drag-Superstar" gesucht wird. Moderiert von RuPaul, der als erster Drag-Künstler einen Stern auf dem „Hollywood Walk of Fame" bekam. Die Fernsehserie "Pose" inszeniert die Drag-Wettbewerbe der 80er Jahre und thematisiert den gesellschaftlichen Kampf der damaligen Community. Beide Serien zeigen, wie sich durch Drag Personen verwandeln können. Das ist es, wodurch Drag in erster Linie fasziniert. Aber sie nehmen auch Bezug zur Geschichte von Drag.
Von New Yorker Ballrooms in den MainstreamDie Tatsache, dass Drag im Mainstream landet, kann jedoch ganz unterschiedliche Auswirkungen haben: Möglich, dass Drag unbedarft zum exotischen Entertainment-Spektakel reduziert wird. Möglich aber auch, dass so ernsthafte Diskussionen angeregt werden, die das gesellschaftliche Normensystem infrage stellen und damit die Ausgrenzung derer, die anders sind. Immerhin kommt Drag aus der Ballroom Culture: einer Subkultur, die sich aufgrund von gesellschaftlicher Diskriminierung ihrer Mitglieder zusammenschloss - mit neuen Werten und Normen.
Aber was passiert, wenn die Subkultur die Popkultur beeinflusst? Das kommt darauf an, wie Drag in der Popkultur zitiert und besprochen wird. Und dabei vor allem auch: ob man die Geschichte von Drag mitreflektiert. Das bedeutet: dass Drag nicht nur als Spiel und Spaß verstanden wird, sondern auch als eine Form, die Gesellschaft zu kritisieren. Denn die Geschichte von Drag ist auch eine Geschichte der Diskriminierung - und der Versuche, dagegen Widerstand zu leisten.
Der Einfluss von Drag auf die Popkultur lässt sich schon so lange zurückverfolgen, wie es Drag gibt. Damals wurde die Aneignung allerdings kaum thematisiert. In der New Yorker Ballroom Culture wurde Drag geboren, in einem Ballsaal im Stadtteil Harlem: Dort trafen sich Ende der 80er Jahre homosexuelle Männer und Transpersonen afro- und lateinamerikanischer Herkunft und veranstalten Drag-Wettbewerbe. Eine Jury entschied, wer sich auf dem Catwalk am besten inszenierte. Der Maßstab: die sogenannte ‚Realness'. Real sein, echt sein: das war das Ziel. Die Performance: ein Spiel mit gesellschaftlichen Rollenklischees, auf die Spitze getrieben. So konnten die Drags das sein, was sie im tatsächlichen Leben - aufgrund von Hautfarbe und Sexualität - nicht sein durften: weiße reiche Frauen, aber zum Bespiel auch Beamte und Offiziere.
Von Madonna bis Malcolm McLarenDie New Yorker Ballroom Culture war eine durchorganisierte Subkultur mit eigenem Familiensystem: den sogenannten ‚Houses'. Der Vorstand jedes ‚Houses' wurde ‚mother' genannt, die Mitglieder ihre ‚children'. Man beschützte einander vor Armut und Diskriminierung und bereitete sich gemeinsam auf die Wettbewerbe vor. Dazu gehörte auch: ‚Voguing', eine Art posierendes Tanzen. Was viele nicht wissen: auch House-Musik entstand im Zusammenhang mit den ‚Houses' der Ballroom Culture und war fester Bestandteil der Wettbewerbe. Mittlerweile würde man House-Musik eher zur Popkultur zählen.
Schon damals hat Popkultur sich die Subkultur angeeignet. Ein besonders bekanntes Beispiel: Madonnas Song „Vogue". Inspiriert vom Voguing, den House-Beats und der Sprache der Drag-Wettbewerbe („Strike a Pose!"). Auch populär, allerdings mit expliziter Bezugnahme zu den "Houses of New York": Malcolm McLarens "Deep in Vogue". Im Musikvideo tanzte sogar der bekannteste Voguer der Ballroom Culture: Willi Ninja, Mother of The House of Ninja.
Drags können ‚echt' sein, indem sie ‚unecht' sindDokumentiert wurde die Ballroom Culture in dem Film "Paris is Burning". Er ist auch ein Grund dafür, warum es bis heute Drag-Houses und Wettbewerbe gibt. Das „House of Living Colors" in Berlin zum Beispiel, deren ‚mother' „GODXXX NOIRPHILES" auch bei der Party in München auftrat. „‚Realness' - also Echtheit - existiert nicht. Es liegt ehrlich gesagt an uns zu definieren, was Echtheit bedeutet und uns der eigenen Definitionen und Ideale dessen, was Echtheit ist, zu ermächtigen", findet „GODXXX NOIRPHILES". Drags können ‚echt' sein, indem sie ‚unecht' sind - indem sie überzeugend darstellen, wer sie vermeintlich nicht sein dürfen. „Es dämmerte mir rasch, dass einige dieser sogenannten Männer Weiblichkeit viel besser darstellen konnten, als ich es jemals konnte, jemals wollte oder jemals können würde", erzählte die us-amerikanische Philosophin Judith Butler nach Besuchen in einer Drag-Bar.
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