Das kleine Fischerörtchen Vinalhaven kann nur mit einer Fähre vom Festland erreicht werden. An Deck sitzen meistens Touristen. Sie kommen, um später durch den Stadtkern der malerischen Insel zu schlendern, durch die Bücherläden und kleinen Boutiquen. Und: Sie kommen wegen der Hummer. Denn in Vinalhaven sitzt die Fisherman's Cooperative, eine Genossenschaft von mehr als 80 Fischern, die Tag für Tag Kisten voller dicker, krabbeliger Hummer liefern.
Doch vielen der Fischer sei wegen einer neuen Tierschutzverordnung nicht nach guter Laune, sagt ihre Chefin Millie Martin: "Wenn sie sich Vinalhaven mal genauer anschauen, dann ist der Hummerfang die Einnahmequelle hier. Und wenn der Hummerfang beschränkt wird oder irgendwann ganz wegfäll, was passiert dann mit den Insel-Bewohnern? Es würde sich auf alles auswirken."
Von den Einwohnern der Gemeinde, sagt Martin, arbeiteten gut drei Viertel in der Fischerei oder verarbeiteten Meerestiere - also auch den Hummer, der über ihren Pier geliefert wird - und verdienten damit ihr Geld. Etliche Familien hängen von den Schalentieren ab, bei den Fischern oft gleich mehrere Generationen. "Das ist ein Familienunternehmen", sagt Martin. "Die Großeltern, Eltern und Kinder fischen alle."
Glattwale verheddern sich an den SeilenNun fürchtet sie um ihr Einkommen. Grund ist der "right whale", der Atlantische Nordkaper, eine Art der Glattwale: Nachdem die gigantischen Tiere in den vergangenen Jahrhunderten massiv gejagt wurden, leben heute laut Expertenschätzungen noch rund 360 Exemplare auf der Welt. Es sind nicht nur majestätische Tiere. Sie sind auch wichtig für das Meer und das Klima. Die Ausscheidungen der Wale düngen das Oberflächenwasser und damit mikroskopisch kleine Algen. Die wiederum binden das CO2 aus der Atmosphäre. Wale helfen also auch im Kampf gegen den Klimawandel.
Der Glattwal gilt als wichtig für Meere und Klima - und ist stark bedroht.
Doch: Im Golf von Maine lauert eine Bedrohung für sie: die Ausrüstung der Hummerfischer. "Wenn diese Tiere durch den Golf von Maine schwimmen, verheddern sie sich", sagt Barbara Skapa von der Gruppe "Mainers Guarding Right Whales". Denn die Hummerfischer lassen ihre Metallfallen - große eckige Körbe - an langen Seilen in die Tiefe hinab, befestigt an Bojen. Bis zu 800 Fallen darf ein Hummerfischer auslegen.
In Maine gibt es aber rund 5000 solcher Fischer - mehr als in allen anderen US-Bundesstaaten. Für die Wale bedeutet das streckenweise, dass sie durch ein Labyrinth von Millionen von Seilen schwimmen müssen. Oft gerieten die Tiere in Panik, sagt Skapa. Und beim Versuch, sich von den Seilen zu befreien, verheddern sie sich nur noch mehr. Manche verenden.
Frust bei den FischernUm sie zu schützen, hat die Ozeanografiebehörde der Vereinigten Staaten nun eine große Schutzzone vor der Küste Maines errichtet. Dort dürfen Hummerfischer in den kommenden Monaten keine Fallen mehr auslegen. Das soll das Verheddern um bis zu 70 Prozent reduzieren.
Viele Hummerfischer wiederum sagen: So entsteht nur ein neues Problem. "Das wird einen regelrechten Vorhang von Ausrüstungen schaffen, eine Wand aus Hummerfallen", sagt Sam Rosen, ein braun-gebrannter Hummerfischer in Vinalhaven, Mitte zwanzig, und Kollege von Millie Martin. Bis Januar werden die Fischer sich nun den übriggebliebenen Platz an der Küste teilen müssen. Zum Nachteil, womöglich, von anderen Meerestieren.
Die Hummer werden in Metallfallen gefangen, die von den Booten herabgelassen werden.
Rosen ist gestresst - und genervt. Wie viel Verlust er machen wird, weiß er noch nicht. Aber: "Man kann sich den Verlust ausrechnen anhand der verlorenen Ausrüstung", sagt Rosen, "anhand der verlorenen Zeit und der massiven Änderungen, was Mühe und Materialien angeht". Denn die Fischer müssen nun auch schwächere Seile verwenden, damit die Wale sich leichter losreißen können.
An einer Lösung für das Dilemma der Fischer arbeitet Zack Klyver, Wal-Fan und Mitbegründer der Beraterfirma Blue Planet Strategies. Ihr Konzept: Hummerfallen ganz ohne Seile. Die Fallen können zum Beispiel mit einem Sender versehen werden, der dem Fischer seinen Standort im Meer per akustischem Signal mitteilt. Nach einem Signal vom Boot kommt der Korb voll an die Oberfläche zurück.
Hohe Kosten für seilloses FangenDer Haken, wie so oft bei Innovation: Die Technologie ist noch nicht ausgereift. Und momentan kostet eine solche Falle statt der üblichen 80 bis 200 Dollar rund 4000 Dollar.
"Insgesamt reden wir hier also von ungefähr 300.000 bis 400.000 Dollar, um auf seilloses Fangen umzusteigen", sagt Zack Klyver. Das ist viel Geld für einen Hummerfischer. Und auch wenn die Politik einige Fischer bezahlt, um die Technologie zu testen, auf grundsätzliche finanzielle Unterstützung hoffen die Fischer vergeblich. "Einen Zuschuss für neue Ausrüstung gibt es momentan nicht", so Klyver.
Für Millie Martin und ihre Kollegen in Vinalhaven heißt das nun: abwarten, wie viele Hummer trotz des Fallenstaus in ihre Körbe tappen. Und es heißt bangen um die Zukunft des Fischerörtchens Vinalhaven.