"Ausländer raus!" Schon einmal zog ein rechtsradikales Terror-Trio durch Deutschland: Zwei Männer und eine Frau. 1980 starben bei einem Anschlag der Gruppe in Hamburg zwei vietnamesische Flüchtlinge.
Der Papst fand Zeit, Herrn Huynh zu empfangen. "Ich hatte doch so viel Geld für die Missionsarbeit gesammelt", sagt Herr Huynh, weist auf ein Foto an der Wand, das ihn in Rom mit dem Papst zeigt, dann lächelt er. Doch es hätte nicht viel gefehlt, und diese Begegnung wäre nie zustande gekommen. Es hätte nicht viel gefehlt, und Herr Huynh, der gläubige Katholik, wäre in der Nacht vom 21. auf den 22. August 1980 in Hamburg ums Leben gekommen. Und mit ihm seine beiden älteren Kinder, die damals in den Stockbetten lagen und fest schliefen, während ihr Vater zum Glück wach am Tisch saß und Zeitungen aus der Heimat las. "Da war plötzlich im Nebenzimmer so ein Knall", erzählt Thoâng Huynh und lächelt nun nicht mehr: "Ich hab mir nichts dabei gedacht." Aber dann sei da mit einem Mal Rauch gewesen, als er auf den Flur trat, um nachzuschauen. Huynh schenkt erst mal Tee nach.
Thoâng Huynh war früher Lehrer, Lehrer an einer katholischen Schule im Süden Vietnams . Dann kam die Tet-Offensive 1968 . Er wurde zur Armee eingezogen, er kämpfte gegen die Nordvietnamesen, gegen den Vietcong. Nach deren Sieg kam Huynh in ein Umerziehungslager, wurde erst Jahre später wieder freigelassen. Er wollte nicht in diesem Land leben, das nun Volksrepublik Vietnam hieß. Er nahm zwei seiner vier Kinder, seine Frau die anderen beiden; auf unterschiedlichen Wegen begaben sie sich möglichst unauffällig mit ein klein wenig Gepäck an die Küste, in die Nähe des Strandes. Wie Tausende, wie Zehntausende, wie am Ende Hunderttausende ihrer Landsleute wollten auch sie sich in ein kleines, kaum seetüchtiges Boot setzen, um die internationalen Gewässer zu erreichen, wo die großen Handelsschiffe fuhren. Huynhs Frau wurde von einer Polizeistreife angehalten und zurückgeschickt. Ihr Mann und seine beiden Söhne aber bestiegen eines der Boote. Sie trieben hinaus ins offene Meer, wo sie zum Glück auf das Hilfsschiff Cap Anamur des Friedensaktivisten Rupert Neudeck trafen, das sie aus dem Wasser fischte.
Die Bundesrepublik nahm nicht wenige der Boatpeople auf. Auch der Stadtstaat Hamburg half. Die zuständige Sozialbehörde wandelte in der Halskestraße, am östlichen Hafenrand, eine ehemalige Unterkunft für Gastarbeiter in ein Wohnheim um. Viele Bürger spendeten. Ganz besonders engagierten sich die Redakteure und Leser der ZEIT . 221 Flüchtlinge, Männer, Frauen und Kinder, lebten im August 1980 in der Unterkunft. Direkt neben Thoâng Huynh wohnten Ngoc Nguyên und Anh Lân Dô, junge Männer, Jugendliche fast noch.
Über den Anschlag findet sich in den Akten keine ZeileUnd dann kommt diese eine Nacht, in der plötzlich Rauch aus dem Nebenzimmer quillt. "Ich klopfe, weil die beiden schlafen. Ich rufe: 'Sofort aufmachen!'", sagt Huynh. Doch die Tür ist von innen abgeschlossen. Nach einer Minute dreht sich der Schlüssel um: "So kam er...", sagt Huynh, und er streckt die Arme lang vor, lässt sie leicht zittern. "Ich nehme seine Hand - die Haut", sagt er und zupft sich an den Unterarmen: "Die hat so runtergehangen." Andere Bewohner kommen hinzu: Sie tragen einen zweiten Mann aus dem brennenden Zimmer. Huynh holt tief Luft: "Eine Stunde, so ungefähr, dann kam die Feuerwehr." Eine Stunde? Huynh lächelt wieder: Heute hat ja jeder ein Handy, aber damals doch nicht! Und Deutsch konnten sie auch nicht. Irgendein Nachbar habe wohl die Feuerwehr alarmiert und die dann die Polizei: "Am nächsten Tag sehen wir am Haus in roter Farbe stehen: 'Ausländer raus!'"
Ngoc Nguyên stirbt am Morgen, kurz nach neun, 22 Jahre ist er alt. Der 18-jährige Anh Lân Dô kommt mit schwersten Verbrennungen in ein Unfallkrankenhaus, das auf Brandverletzungen spezialisiert ist. "Das alles war ein großer Schock, denn die Deutschen waren nett zu uns, immer nett", sagt Huynh und findet langsam sein Lächeln wieder. Auch die Hamburger finden die Vietnamesen nett, sind aber manchmal über deren so ganz anderes Wesen irritiert: "Aufgrund der Mentalität der Flüchtlinge gibt es kaum Hausbesuche, die unter zwei Stunden dauern: Erst nach vielem höflichen Wortaustausch und Tee kann man zur Sache kommen", ist in einem internen Bericht der Hamburger Sozialbehörde aus jenen Tagen zu lesen. Zu dem Brand enthalten die Akten seltsamerweise keine Notiz. Nicht einmal eine Auflistung der Beerdigungskosten oder eine Abrechnung über die Renovierung des ausgebrannten Zimmers findet sich. Jemand aus der Behörde muss dann aber doch das Bedürfnis gehabt haben, den Anschlag nicht ganz zu verschweigen - kommentarlos wurde zwischen behördlichen Anweisungen und Quittungen über Möbelspenden ein Aufruf von Amnesty International zu einer Mahnwache abgeheftet: "Es ist mehr als ein Menschenleben zu betrauern. Das Recht auf Asyl darf nicht ausgehebelt werden und in Fremdenfeindlichkeit ersticken."