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Im gelobten Land: ein Blick von Wien nach München – MUCBOOK

© Dimitry Anikin / Unsplash

Wien: Stadt der Kaffeehäuser, des berühmten Schmäh und der ( zweifelhaften) Fiaker-Romantik. Auch wir bei MUCBOOK haben immer wieder etwas neidisch dorthin geblickt - sei es auf das 365-Euro-Ticket, die lebendige Kultur der Stadt oder insbesondere ihre fairen Mietpreise. Denn während der Traum vom bezahlbaren Wohnen hier mittlerweile die Wahlplakate sämtlicher Parteien schmückt und ein Volksbegehren das nächste jagt, ist er in der österreichischen Hauptstadt längst Realität.


Mein kürzlicher Umzug für ein Praktikum in Wien bietet nun die Chance, diese Perspektive quasi umzudrehen: Wie blickt man von dort aus nach München? Was kann die Isar-Metropole in Sachen Wohn- und Städtebau von ihrer Schwester an der Donau lernen - oder vielleicht auch umgekehrt?

(Ursprünglich war die Idee, meine Erfahrungen bei der Wohnungssuche in Wien mit den vorherigen Odysseen in München oder Paris zu vergleichen. Doch das Schicksal machte einen Strich durch diese Rechnung: Spontan bewarb ich mich in ein paar Studentenwohnheimen, kaum 24 Stunden später wurde mir nicht nur einer, sondern zwei verschiedene Plätze angeboten - vollkommen unvorstellbar in München, wo vier Semester auf der Warteliste als Regel gelten. Damit war die Kolumne vorerst vom Tisch; nie ist eine Geschichte auf schönere Art und Weise in sich zusammengefallen.)


Das Erbe des Roten Wien

"Wien hat in mancher Hinsicht eine besondere Situation, wenn es um Wohnungspolitik geht," erklärt Robert Temel, selbständiger Architekturforscher und Berater in Projekten zu Wohn- und Städtebau. Der Ursprung dieses Ausnahmecharakters liegt rund einhundert Jahre zurück: Zwischen 1918 und 1934 baute die sozialdemokratische Stadtregierung mehr als 65.000 Gemeindewohnungen, um günstige Unterkünfte für die Arbeiter*innen zu schaffen. Anders als in München wurden diese Bestände seitdem nie verkauft, sondern stetig erweitert und ausgebaut.

Heute verfügt die Stadt Wien über rund 220.000 Wohnungen, zusätzliche 200.000 werden von gemeinnützigen Genossenschaften verwaltet. Damit leben mehr als 60% aller Wiener*innen in kommunalen oder geförderten Wohnungen, die preiswert und unbefristet vermietet werden. Den restlichen Anteil stellt ein privater Wohnungsmarkt, der grundsätzlich ähnlich funktioniert wie überall. Das Gegengewicht der städtischen Wohnpolitik sorgt aber dafür, dass das Preisniveau insgesamt deutlich unter dem von München bleibt: Zahlt man dort für Kaltmiete und Betriebskosten durchschnittlich 14,04€ pro Quadratmeter, liegt dieser Wert in Wien bei gerade mal 8,40€.


Ein Vorbild für München...

Doch was kann sich München von diesem Modell abschauen? "Grundsätzlich gibt es natürlich vieles, wo ich denke, dass andere Städte von Wien lernen können," meint Robert Temel. Zwar ließen sich einhundert Jahre Gemeindewohnbau sicher nicht über Nacht aufholen. Dennoch könnte Wiens aktive Bodenpolitik durchaus als Vorbild dienen: Die Stadt kauft strategisch Flächen an und entwickelt dort spannende Projekte, beispielsweise die Seestadt Aspern oder das neue Hauptbahnhof-Areal.

Daneben arbeitet das Rathaus mit Bauträgern zusammen, die dazu verpflichtet werden, langfristig preiswerte Mieten anzubieten. Das Zauberwort: Wohnungsgemeinnützigkeit. In Deutschland wurde dieses Prinzip ab 1990 gänzlich abgeschafft; selbst geförderte Siedlungen wie in Neuperlach oder Hasenbergl fallen nach einer gewissen Zeitspanne schlicht aus der Sozialbindung. Auch darüber hinaus zeigt Wien eine andere Art auf, wie mit den Kräften des Marktes umgegangen werden kann. Seit 2018 gilt etwa eine verbindliche Mietpreisdeckelung von 5 Euro pro Quadratmeter für zwei Drittel aller neu entstehenden Wohnungen - ein Paukenschlag, der bis nach München gehört wurde.

In der bayerischen Landeshauptstadt wird die 'unsichtbare Hand' dagegen nur selten hinterfragt. Zwar greift seit 2015 eine sanfte Mietpreisbremse, deren Effekte bleiben allerdings überschaubar. Die explodierenden Bodenpreise und der Flächenmangel schränken wiederum massiv den Spielraum ein, den städtische Akteuren oder Genossenschaften in der Gestaltung neuer Projekte haben. "Wenn mein Ausgangspunkt der Markt ist, habe ich quasi schon verloren - egal, was ich mache," so Temel.


Der Knackpunkt: Während Wien als eigenes Bundesland stark eingreifen kann, ist die Stadt München darauf angewiesen, dass Bund und Länder zunächst einen gesetzlichen Rahmen dafür schaffen. Dies zeigte sich auch im Fall des Berliner Mietendeckels, der schließlich vom Bundesverfassungsgericht gekippt wurde. Man muss also darauf warten, dass sich im Bundestag etwas bewegt. Immerhin: Die Ampel-Koalition will tatsächlich eine Wiedereinführung der Wohngemeinnützigkeit prüfen.

Dennoch lässt sich nicht sagen, dass der Wiener Wohnungsmarkt keine Probleme kennt: Auch hier haben Spekulation und Gentrifizierung längst im privaten Sektor eingeschlagen. Der oft gerühmte Mieterschutz wurde in Österreich ab den 1990er Jahren stark aufgeweicht, die Bodenpreise steigen massiv. Während man in Kommunal- und Gemeindebauten weitgehend davon verschont bleibt, erleben Mieter*innen von Privatwohnungen verstärkt Tendenzen wie in anderen Hype-Städten.


...und umgekehrt?

Städtebau-Experte Temel sieht sogar mehrere Aspekte, in denen München wiederum für Wien als Vorbild dienen könnte. Er nennt die jungen Genossenschaften, die vielerorts innovative Ideen verfolgen - darunter das spektakuläre Bienenstock-Wohnhaus in Riem. "Das ist sicherlich eine interessante Szene von Wohnungsproduzenten, die es in dieser Form in Wien nicht gibt." Auch das neue Modell der sozialgerechten Bodennutzung (kurz: SoBoN), das einen klaren Rahmen für die Verwertung privater Flächen schafft, hat in seinen Augen großes Potenzial.

Der größte Pluspunkt der Landeshauptstadt liegt für Temel in der fortschrittlichen Gestaltung der Verkehrspolitik, die seit Jahrzehnten vom Rathaus betrieben werde. (Ob Münchens gefährdete Radfahrer*innen das auch so unterschreiben würden?) In dieser Hinsicht hinke man in Wien noch immer vielen europäischen Städten hinterher: "Das ist letztendlich die große Schwachstelle."

Und so blickt man nicht nur von München aus oft etwas neidisch auf die Donau-Metropole im Osten, sondern schaut eben auch in Wien - ab und zu - mit Anerkennung auf das Millionendorf an der Isar.


21 Dez 2021

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