„Is' ja hammer-, hammerhart!" Als 1998 das erste Major-Album der (damals noch Absoluten) Beginner erschien, veränderte sich die deutsche HipHop- und Musiklandschaft blitzartig und machte aus einer Hamburger Proberaum-Band beinahe über Nacht eine der bis heute einflussreichsten deutschen Rap-Gruppen. „Bambule" wurde nicht nur zu einem unbestrittenen Klassiker-Album und Grundstein für die Karriere der Beginner (sowie vor allem für Jan Delay), sondern auch zum Symbolbild einer ganzen Ära. Diese zwölf Songs sind der Soundtrack einer Generation und für viele heutige Rap-Stars überhaupt der erste Berührungspunkt mit deutschem Rap gewesen. Auch rund zwanzig Jahre nach Release werden „Liebes Lied", „Füchse" oder „Hammerhart" nicht nur von damaligen Mongo-Clikke-Fans auf zahlreichen HipHop-Partys wie selbstverständlich zitiert, aufgelegt oder gefeiert.
Doch hinter dem kommerziellen, wie auch popkulturellen Impact dieser LP standen nicht nur die verlässlichen Hit-Händchen von DJ Mad, Denyo und Eißfeldt, sondern auch ein verrückter A&R-Manager aus Österreich, der entgegen aller damaligen Skepsis innerhalb der Industrie bereit war, die Beginner und damit auch deutschen Rap in den Mainstream zu hieven. Superlative Reizwörter wie „Pionierarbeit" oder „Revolution" sind hier tatsächlich und alleinig zutreffend. Wenn die Beginner am morgigen Freitag ihr Combeack-Album „Advanced Chemistry" releasen, schließt sich auch für Walter Gröbchen ein Kreis. Ein Gespräch mit dem Mann, der die Beginner groß gemach hat. Oder, wie er es in der Antwort auf die Interviewanfrage selbst formulierte: „... eine Flaschenpost aus der Vergangenheit."
Herr Gröbchen, ihr Wikipedia-Eintrag besagt, Sie haben als A&R-Manager für verschiedene Labels gearbeitet. Was macht ein A&R überhaupt?
Ein A&R ist eigentlich der spannendste Job, den man in der Musikindustrie haben kann. Das A&R steht für „Artist & Repertoir", aber manchmal auch für „Ackerbau & Rinderzucht" (lacht). Diese Person holt neue Künstler zu einem Label und betreut diese in ihrem Wirken und Schaffen. Er ist direkt verantwortlich für den Künstler-Stamm eines Labels. Ich habe das meistens freiberuflich gemacht, für unterschiedliche Firmen. Seit dem Jahr 2000 mache ich das vorwiegend für mein eigenes Label (monkey music; Anm. d. Verf.), aber innerhalb eines Teams mit jüngeren Leuten.
Sie waren Ende der 1990er und Anfang der 2000er für Signings verschiedener Bands wie die Absoluten Beginner, Schönheitsfehler, Seeed, Total Chaos oder Waxolutionists verantwortlich. Woher kam eigentliche ihre Affinität für deutschsprachigen Rap?
Ich glaube, das ist eine Gnade der frühen Geburt. In den späten 1980er und frühen 1990ern war das ein ganz freshes Thema. Man hat aus Deutschland mitbekommen, dass Acts wie die Fantastischen Vier richtig einschlagen und meine Vermutung war, dass es sowas auch in Österreich geben müsste - was letztlich auch zutreffend war. Anfang der 1990er Jahre war ich noch bei dem Radiosender ö3, unter anderem bei der Sendung „die Musicbox", die sich sehr intensiv um den aufkeimenden HipHop gekümmert hat. Das war allerdings weniger ich, sondern Leute wie Werner Geier, Katharina Weingartner oder DJ DSL - die später auch die Sendung „Tribe Vibes" gemacht haben, die heut noch auf FM4 läuft. Damals haben wir jungen Künstlern mit Tonträgern und Releases auf die Sprünge geholfen und bald tauchten auch die ersten Rap-Acts dort auf. Aus meinem Blickwinkel heraus, war das eine Triade: Schönheitsfehler, Total Chaos und Texta. Texta existieren heute noch und sind eigentlich der wichtigste deutschsprachige HipHop-Act aus Österreich. Schönheitsfehler existieren wieder, allerdings eher als Spaßprojekt, Total Chaos gibt es, glaube ich, gar nicht mehr. Es gab aber auch englischsprachige Acts aus Österreich, wie z.B. die Aphrodelics, die bei GiG Records unter Vertrag standen, für die ich ab circa 1993 auch gearbeitet habe. Das war seinerzeit das größte Indie-Label in Wien, die haben unter anderem Falco entdeckt. GiG Records haben in den 1990ern auch erste Gehversuche mit HipHop unternommen, zum Beispiel mit Schönheitsfehler. Ein paar von diesen Versuchen sind später in der Downbeat-Szene gelandet. Ich war schon damals der Überzeugung, dass deutschsprachiger Rap auch in Österreich funktionieren kann. Ich habe damals Compliations erstellt, die als eine Art Materialsichtung und Filter gedacht waren - etwas, das ich auch heute noch mache. Ein Sampler von mir aus dieser Zeit hieß „Das Gelbe vom Ei". Das war ursprünglich nicht meine Idee, sondern kam aus dem Schönheitsfehler-Umfeld. Um das Projekt professionell zu releasen, habe ich aber dafür mit ihnen zusammengearbeitet. Als ich 1995 auf Einladung von Warner nach Hamburg gegangen bin, habe ich diese Idee mit nach Deutschland genommen. Warner hat damals zum Beispiel die „Bravo Hits"-Compilations zusammengeschraubt. Dort war ich dann für innovativere Themen eingestellt und ein bisschen der Exot - wie ein Österreicher eben in Hamburg wirkt, wenn er Britpop-, Jungle oder eben HipHop-Sampler bastelt. Die deutsche Version von „Das Gelbe vom Ei" sollte einem größeren Publikum aufzeigen, dass es in Deutschland noch mehr als die Fantastischen Vier gibt. Das hatte auch ein Marketingbudget und lief damals mit einer Viva-Kooperation an. Auf der CD war alles Mögliche, was damals aktuell und spannend war: Advanced Chemistry, Fresh Familee, Too Strong, Main Concept, Rödelheim Harteim Projekt.
... und die Absoluten Beginner?
Genau, im Zuge der Recherche dazu, bin ich auch auf die Absoluten Beginner gestoßen. Die Beginner hatten damals nur ein Album draußen, glaube ich. Das kam über Ale Dumbsky (Ex-Schlagzeuger von Die Goldenen Zitronen; Anm. d. Verf) von Buback Tonträger, der das Label damals betrieben hat und auch der erste Verleger der Beginner war. Ich habe mich dann mit den Jungs angefreundet - das war eine sehr schöne Zeit. Wir haben auch heute noch Kontakt - auch, wenn Ale nicht mehr im Musikgeschäft ist. Ale meinte damals auch, dass die Beginner für ein Major interessant sein könnten. Nach einem Jahr war mir mein Compilation-Job bei Warner zu langweilig, also bin ich zu MCA gewechselt. Das war zwar ein professionelles Major-Label, aber im Vergleich zu Polygram, Ariola oder Warner relativ klein. Eines der ersten Themen, die ich denen als Freelancer vorgeschlagen habe, waren die Absoluten Beginner. Der damalige Chef Heinz Canibol (später Universal- und EMI-Chef; Anm. d. Verf.), eigentlich eine Legende der deutschen Musikindustrie, war aufgeschlossen für solche Themen. Er hatte bereits einige Monate Rödelheim Hartreim Projekt betreut, was ich persönlich nicht so spannend fand, aber die waren relativ erfolgreich. Außerdem hatte MCA einen amerikanischen Ursprung, MCA hat ja eine lange Tradition in der schwarzen Musik. Durch diesen Background war es legitim, es in Deutschland mit HipHop zu versuchen. Wir hatten durchaus einen kommerziellen Gedanken dabei, es ist ja immer noch eine Major-Plattenfirma gewesen. Heinz Canibol hat sich also mal einen Auftritt der Absoluten Beginner auf einem winzigen Wald- und Wiesenfest in einer kilometerweit entfernten Pampa angesehen. Das fand er natürlich auch halbwegs lustig, denn offensichtlich hatte er Gefallen daran gefunden und wir haben den Kontakt zu den Jungs gesucht.
Einerseits waren die Beginner damals schon sehr selbstbewusst. Anderseits waren sie aber durchaus auch am kommerziellen Erfolg interessiert.
Wie verlief denn dann die Kommunikation mit der Band, die Absoluten Beginner stammen ja aus einem eher autonomen Umfeld ?
Da gab es lange Diskussionen. Wir haben über Buback dann aber einen relativ raschen bis unkomplizierten Weg gefunden, zusammenzuarbeiten. Buback war und ist ja ein sehr ideologisches Label - es gibt kaum ein Label in Deutschland, das so stark von so einem DIY-Gedanken und einer so klaren Abgrenzung zur Major-Industrie geprägt ist. As Ex-Mitglied der Goldenen Zitronen war Ale auch stark im Punk verwurzelt und ideologisiert. Wir haben lange mit den Beginnern darüber gesprochen, was sie machen und was sie nicht machen wollen - Eißfeldt war natürlich der Sprachführer, aber damals auch noch sehr jung. Natürlich gab es Wünsche seitens der Plattenfirma, die Beginner hatten aber immer ein Veto-Recht. Ich habe ihnen immer erklärt, dass sie den Kurs bestimmen. Sie wollten zum Beispiel keine Interviews mit der Bravo oder Bild machen. Einerseits waren sie da schon sehr selbstbewusst. Anderseits waren sie aber durchaus auch am kommerziellen Erfolg interessiert. Es gibt dazu eine lustige Geschichte, als die Aufnahmen für „Bambule" fertig waren: Ich habe mir das fertige Album angehört und war sehr begeistert. Allerdings waren die Begriffe „Bambule" und „Buback", mit der Connection zur Baader-Meinhoff-Bande ja auch sehr politische, kontroverse Statements. Im halb-ernsten, halb-scherzhaften Ton ich den Jungs dann gesagt: „Hier fehlt eigentlich noch ein Liebeslied...". (lacht) Daraus ist das „Liebes Lied" entstanden, was ein Statement gegen die Musikindustrie war. Heinz Canibol kommt da vor und so weiter. Wenn du dich an das Video erinnerst, da drehen die sich ja in so einer Peepshow auf einem Plattenspieler - ganz lieb unterwegs, was die Gruppe ja sonst gar nicht war. Zuvor hatten wir schon die Single „Rock On" releaset, die zwar eine gewisse Aufmerksamkeit eingebracht hat, aber nicht so richtig durchgestartet ist. „Liebes Lied" ist aber komplett eingeschlagen. Das war der kommerzielle Türöffner, den auch alle Radios in Deutschland gespielt haben, was damals wichtig für die Durchsetzung im Mainstream war. Die ironische Distanz war aber gewährt. Das fand ich ideal, da ich einerseits der Firma einen kommerziellen Erfolg geben konnte und gleichzeitig meine persönlichen Ansprüche und Geschmäcker erfüllt wurden. Bei A&Rs ist es auch wichtig, dass du die richtigen Künstler zum richtigen Zeitpunkt an den Start bringst. Genau das ist mit „Liebes Lied" und „Bambule" passiert. Ich möchte fast sagen, die Welt hatte darauf gewartet. Ich glaube auch heute noch, dass die Beginner die richtigen Künstler dafür waren - wie ja auch die lange Erfolgsgeschichte von Jan Delay zeigt. Mit Seeed ist mir später Ähnliches gelungen.
„Rock On" war also gar kein Testlauf, wie es im All-Good-Interview behauptet wurde?
Rein formell nicht. Der Vertrag war da, glaube ich, schon unterzeichnet. MCA war allerdings auch ein durchaus konservatives Major-Label, die ein bisschen skeptisch waren. Rödelheim Hartreim Projekt oder Schwester S waren ja Signings, die der Firmenchef initiiert hatte - da wurde viel Geld reingepumpt, was aber auch in den Umsätzen zurückkam. Das hat kommerziell einfach gut funktioniert. Die Beginner waren aber ein Underground-Projekt mit vielen Fragezeichen: Da kommt dieser A&R aus Österreich und meint, das muss jetzt unter Vertrag genommen werden. Es haben dann auch Leute aus der Finanzabteilung nachgefragt, ob ich die wirklich signen will und wie hoch die Verkaufserwartungen dafür seien. Ich sagte, dass ich mit 15.000 verkauften Einheiten rechne - das ist für die Kalkulation der Vorschüsse und Auflagenpressungen wichtig. Die Finanzchefs haben mir darauf entgegnet: „Bist du da nicht ein bisschen waghalsig? Was ist, wenn die nur 500 verkaufen?" - Heute wissen wir ja, dass es noch sehr viel mehr war. Letztlich hat man meinen Vorschlägen zugestimmt, aber die Skepsis hielt erstmal weiter an. Aber das ist auch eine Aufgabe eines guten A&Rs: Du musst die Firma überzeugen, dass dein Signing nicht nur der heiße Scheiß für Journalisten, Insider und Szene-Leute ist, sondern breitere Schichten begeistern kann. „Bambule" war diesbezüglich ein echter Glücksfall. Das war ein dichtes, bemerkenswertes Album - eine echte Initialzündung für deutschen Rap. Auf der anderen Seite hatte es durchaus aus populäre Titel - das war nicht bloß Szene-HipHop, man wollte ein großes Publikum erreichen. Jan Delay hat ja später immer wieder bewiesen, dass er diesen Pop-Instinkt hat. Auch wenn er mit seinen Soul- und Rock-Sachen teilweise sehr experimentierfreudig war. Man mekrt einfach, dass da richtiger Dampf dahintersteckt - seine zwei Kumpels von den Beginnern konnten da später kaum mehr mitziehen. Daraus resultierte letztendlich auch seine Solo-Karriere. Aber damals war „Bambule" das Beste, was auf den Markt kommen konnte. In vielerlei Hinsicht. Das ist tatsächlich auch ein Stück meiner A&R-Laufbahn, auf das ich wirklich stolz bin.
Im gleichen Interview haben die Beginner erzählt, Sie hätten versucht, ihnen Kinderchöre und mehr Radiotauglichkeit unterzujubeln. Gab es ihrerseits überhaupt so konkrete inhaltliche oder musikalische Vorgaben?
Das waren keine Vorgaben, wir haben sehr viel diskutiert. Ich habe immer wieder meinen Senf dazugegeben. Viele Vorschläge sind ja auch als Katalysator zu verstehen - das sollte man nicht für bare Münze nehmen. Meistens handelt es sich um Anregungen dazu, die gewohnten Bahnen zu verlassen und neue Möglichkeiten auszuloten. „Liebes Lied" ist ja auch ein so ein liebenswürdiges Statement gewesen, weil die Beginner eben auf diese Vorschläge reagiert haben. Ich war damals ja auch kein Elder Statesmen - ich war Mitte 30. Ich habe denen HipHop nicht erklärt, weil ich das auch gar nicht konnte. Ich habe aber immer wieder provokante Einwürfe gemacht, das hat gut funktioniert - der Ball ging immer hin und her. Ich erinnere mich auch daran, wie ich damals der ZEIT ein Interview gegeben habe. In dem Artikel habe ich die These aufgestellt, dass die Zeit reif für deutschsprachigen HipHop und aber auch vorhersehbar ist, dass es hier eine Phase der Breitenwirkung und Verflachungen geben wird. Das war damals relativ gewagt, weil der Boom gerade erst anfing. Wenn man sich aber mit den Zyklen von musikalischen Moden und Gernes innerhalb der Musikindustrie auseinandersetzt, war es vollkommen klar, dass das passieren würde. Dafür wurde ich von den Beginnern sehr kritisiert: „Was redest du da für einen Scheiß? Wir machen hier jetzt unser Ding und das bleibt für immer so!" Man hatte damals noch sehr hohe Erwartungen an das gerade entdeckte und frische Genre HipHop.
„Man hat fast schon das Gefühl, dass man nur mit dem Finger schnippen muss, um in die Hitparade zu kommen.", sagte Denyo in einem Interview im Jahr 2000. Wie haben sie den HipHop-Boom der 2000er als Label-Mensch wahrgenommen? Diese Zeit wird heute oftmals in einem leicht negativen Ton mit „Goldgräber-Stimmung" beschrieben.
Jein, es war sicher nicht so krass wie in den USA. Aber in der Sekunde, in der wir bemerkten, dass sich da was tut und junge Menschen darauf viel stärker reagieren, als auf die ausgelutschten Rock- und Pop-Formeln, haben wir das im Auge behalten. Das war einfach frisch und sehr aufregend, wie jedes Musikgenre am Anfang. Der Reiz des Ungewohnten. Als die Beginner und andere Projekte funktioniert haben, gab es aber innerhalb der Industrie tatsächlich eine kleine Goldgräber-Stimmung. Da wurde dann quasi alles unter Vertrag genommen, was irgendwo gekräucht und gefläucht hat. Das ist immer der Beginn des Sell-Outs. Man erinnere sich nur an die Neue Deutsche Welle. Am Anfang standen Bands wie Fehlfarben oder DAF, plötzlich hatte man dann auch Marcus - ausgestattet mit Verträgen, die zum Teil auch viel zu teuer bezahlt wurden. Aber ich muss sagen, dass die Beginner und auch Buback sich geschäftlich von Beginn an sehr clever verhalten haben.
Der kommerzielle Einbruch erfolgte recht schnell in den Jahren 2001/2002. Wenn sie das prophezeit haben, warum hat dann Niemand auf Sie gehört?
Man muss den Beweis ja immer erst erbringen. Als A&R darf man nie zu früh dran sein, dann verpufft deine Idee oder bleibt stecken. Im Vorfeld zu den Beginnern gab es ja auch durchaus interessante Acts, ich erinnere mich an Advanced Chemistry. Das ist mit Hinblick auf das neue Beginner-Album sicher kein Zufall. (lacht) Aber „Fremd im eigenen Land" fand ich zu meiner Zeit als Rundfunk-Redakteur wirklich spannend.
Ich habe Dynamite Deluxe abgelehnt. Ich bin sozusagen der A&R, der die Stones unter Vertrag genommen, aber die Beatles abgelehnt hat.
Haben Sie in Hamburg das Umfeld und die Entwicklung der Mongo Clikke und Eimsbush auch aus einer anderen Perspektive wahrgenommen, als aus einer Büro-A&R-Sicht?
Ich wollte nie der österreichische HipHop-A&R in Hamburg sein. Ich habe das alles schon weiterhin verfolgt, aber versucht immer auf Qualität zu achten. Mir erschienen viele frühe Gehversuche, wie die Stieber Twins zum Beispiel, nicht so wahnsinnig prickelnd. Aber viele Sachen haben mich auch als Beobachter zum Staunen gebracht: der Tobi & das Bo oder Fettes Brot mit „Nordisch by Nature", das war einfach witzig. Ich habe als A&R aber auch Fehler gemacht. Zum Beispiel habe ich Dynamite Deluxe abgelehnt. Die Beginner kamen damit an und haben gesagt: „Du musst die unter Vertrag nehmen!" Aus irgendeinem Grund, ich weiß nicht mehr genau warum, habe ich das nicht getan. Ich bin sozusagen der A&R, der die Stones unter Vertrag genommen, aber die Beatles abgelehnt hat. (Gelächter) Aber so ist das halt. Man hat ja auch viel zu tun mit seinen Acts - die Beginner haben viel Zeit und Energie gekostet. Man kann sich da nur mit einer Hand voll Acts beschäftigen. Vielleicht waren mir Dynamite Deluxe und Samy auch zu nah am Umfeld der Absoluten Beginner - im Sinne von „not more of the same". Der nächste Schritt war für mich Seeed, da war ich aber schon in Berlin.
Zu „Bambule" erschien auch „Boombule", ein Remix-Album...
Das war meine Idee. Für eine goldene Schallplatte brauchte man damals 250.000 verkaufte Alben. Nachdem sich „Bambule", meiner Erinnerung nach, irgendwo zwischen 180.000 und 210.000 Einheiten eingependelt hatte, fand ich es damals eine feine Sache, wenn wir mit einem Remix-Album auf Gold hin abverkaufen. Die Regel war damals so, dass ein Remix-Album, also die Stücke eines Albums nochmal bearbeitet, zu den Verkäufen der eigentlichen LP zählten - ich weiß gar nicht, ob das heute noch so ist. „Boombule" wurde als eine Wurmfortsatz zu „Bambule" geboren - da gab es auch sehr tolle Remixe drauf. 2001 oder so haben wir die goldene Schallplatte dann dafür bekommen. Ich erinnere mich noch an die Feier am Hamburger Funkturm. Das war auch ein kommerzielles Statement.
Hat sich das denn finanziell gelohnt? Es sollen fertige Remixe, u.a. von Westbam, den Stereo MCs oder auch Marley Marl nicht einmal verwendet worden sein - das dürften zu dieser Zeit Produktionskosten im fünfstelligen Bereich gewesen sein. Wann wäre die Notbremse von Label-Seite gezogen worden?
Im fünfstelligen Bereich war ja gar nicht so schlimm. „Boombule" hat wohl um die 80.000 bis 100.000 Stück verkauft, damit spielt man das ja locker wieder ein. Aber ja, es gab auf meinen Wunsch, aber auch auf Wunsch der Beginner, Remixe internationaler Künstler. Die Beginner hatten hier die Endauswahl und waren bei einigen Sachen auch ein wenig enttäuscht. Diese Remixe wurden dann nicht genommen. Wobei es lustig wäre, die mal als Downloads oder so zu veröffentlichen. Andere standen von vornherein fest. Ich erinnere mich an „Liebes Lied (DJ DSL Remix)", zum Beispiel. Natürlich wurde dafür auch im näheren Umfeld der Beginner nach Remixen gefragt. Wir haben am Ende circa zwanzig Remixe in Auftrag geben und die besten 13 sind dann auf der Platte gelandet.
Wie haben Sie die Karriere der Beginner weiterverfolgt? Empfinden Sie eine Art väterlichen Stolz, wenn Sie Jan Delay heute auf den größten Bühnen in Deutschland stehen sehen?
Es klingt vielleicht etwas anmaßend, aber „väterlicher Stolz" trifft in gewisser Weise zu. Ich verfolge das mit sehr viel Vergnügen und auch sehr viel Respekt. MCA wurde ja dann von Universal gekauft und im Jahr 2000 zog ich von Hamburg nach Berlin. Die Beginner sind dann zu Motor Music verfrachtet worden, zu dem Tim Renner. Da wurde das natürlich mit Freude weitergeführt. Wobei das zweite Major-Album „Blast Action Heros" nicht mehr so gut lief, aber es war ein gutes und respektables Album.
Naja, immerhin war es das erste deutsche Rap-Album, das auf Platz Eins der deutschen Charts eingestiegen ist.
Der Einstieg war klar. Das ist sicher auch eine historische Benchmark, aber in absoluten Zahlen denke ich nicht, dass es so viel verkauft hat wie „Bambule". Die genauen Zahlen kenne ich hier aber auch nicht. Ein Flop war es aber nicht. (lacht) Da war ich aber nur noch am Rande involviert.
Welche Erwarungen haben Sie denn an das neue Album?
Natürlich habe ich mir die neuen Singles und Snippets auf YouTube angesehen und bekomme über Facebook oder Newsletter immer den aktuellen Stand mit. In ein paar Wochen sind Sie auch wieder in Wien und ich werde sie wahrscheinlich auch treffen. Ich merke, dass „Advanced Chemistry" ein interessanter Fall ist. Einerseits nehmen sie auf ihre Wurzeln Bezug und fahren einen retrospektiven bis sentimentalen Sound. Andererseits versuchen sie auch ein Statement zur heutigen Szene zu setzen. Das ist schon witzig. Für mich ist das ein Teil meiner Lebensgeschichte, der nicht so schnell vergangen ist, wie wahrscheinlich für Szene-Leute. Manche von denen waren da noch nicht mal geboren, für die ist das Jahr 2000 schon tiefste Vergangenheit. Der Versuch der Beginner Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu verknüpfen, ist sehr gewagt und spannend. Ich habe hohe Erwartungen, ich freue mich auf das Album.
Warum haben sie später nur noch wenig mit HipHop zu tun gehabt? Lag das an der Veränderung der Atmosphäre, auch durch Aggro Berlin, oder an einer reinen Interessenverlagerung?
Beides. Ich habe immer versucht, nicht nur in einem Genre festzustecken. Ich habe mir jetzt nicht die Kappe verkehrtherum aufgesetzt und so getan, als wäre ich der geborene HipHop-A&R. Das haben aber lustigerweise viele meiner Kollegen getan, die so szenemäßig unterwegs waren. Viele Leute aus der HipHop-Szene haben das als Anmaßung empfunden - eine Art Camoflage-A&R. Sowas habe ich nie getan. Ich komme auch aus einer ganz andere Richtung, eher aus dem Rock- und Pop-Bereich. Ich habe mich auch schon immer im Dance- und Elektro-Bereich umgeschaut, da kann man schon aus Zeitgründen nicht alles im HipHop mitverfolgen. Mit Aggro und dem Aufstieg von Gangster-Rap hat sich die Szene allerdings auch sehr drastisch und vor allem sehr schnell verwandelt. Das war mir schlichtweg unsympathisch.
Sie sind auch Autor und haben die Bücher „AustroPop" und „WienPop" geschrieben. Verfolgen Sie die aktuelle Wiener HipHop-Szene um Crack Ignaz, Yung Hurn oder die Berg Money Gang und was halten Sie davon?
Das kriege ich sehr wohl mit, weil ich mit den Leuten hier in Wien immer zu tun habe. Ich finde das teilweise ganz toll. Yung Hurn verkörpert für mich den neuen Punk. Diese ganze Cloud-Rap-Geschichte entzieht sich den gelernten und herkömmlichen kommerziellen Kriterien vollkommen. Das sind Statements einer Jugendkultur, die ich in ihrer Dreistigkeit und offensiven Lässigkeit unglaublich spannend finde - auch wenn es selbst mir als Wiener gar nicht so leicht fällt, diesen Acts auf die Spur zu kommen.