Felix Huesmann

Reporter im Hauptstadtbüro des RedaktionsNetzwerks Deutschland, Berlin

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Verschwörungstheorien und Nazi-Vergleiche: Corona-Demo in Berlin

Berlin. Die Polizei ist dieses Mal früher dran, als in den vergangenen Wochen. Schon am Mittag sperren Einsatzhundertschaften aus mehreren Bundesländern den Rosa-Luxemburg-Platz vor der Volksbühne in Berlin-Mitte weiträumig ab. Hunderte Gegner der verordneten Corona-Schutzmaßnahmen wollen hier erneut unangemeldet demonstrieren. Als sich am Nachmittag immer mehr Menschen um die Absperrungen drängen, fordert die Polizei sie mit Lautsprecherdurchsagen dazu auf, sich zu entfernen - weil sie gegen die "Eindämmungsmaßnahmenverordnung" verstoßen.

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Vergleiche mit dem Nationalsozialismus

Auf den sogenannten "Hygiene-Demos" versammeln sich seit dem 28. März jeden Samstag Anhänger von Verschwörungstheorien, Leugner der Gefahren durch das Coronavirus und immer wieder auch bekannte Rechtsextreme. Einige Meter abseits der Polizeiabsperrung hält ein Mann ein Schild in die Luft, auf dem "Stoppt die Ermächtigungsgesetze - Kein neues 1933" steht. "Ich bin hier, weil ich gegen die diktatorischen Maßnahmen demonstriere", erklärt er. "Gegen die Aufhebung sämtlicher Grundrechte, der ersten 20 Artikel unseres Grundgesetzes." Die Infektionsschutzmaßnahmen hält er für überzogen, das Coronavirus für "so gefährlich wie eine Grippe".

Dieser Demonstrant vergleicht die Corona-Schutzmaßnahmen mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten. © Quelle: Felix Huesmann

Wenige Meter weiter steht ein Mann um die 70, er hat sich ein Schild auf den Rücken gebunden, warnt vor einem angeblich drohenden "Chip-Zwang" und einer "Elektronischen Sklavenfessel". Im Minutentakt fordern Polizisten die Demonstranten auf, zumindest den Mindestabstand von 1,50 Metern einzuhalten, immer wieder führen sie anschließend Einzelpersonen ab, um deren Personalien festzustellen. Auf der anderen Seite des Sperrbereich steht der brandenburgische AfD-Landtagsabgeordnete Lars Günther. Er beschwert sich über die Polizisten, die die Abstandsregelungen durchsetzen und Platzverweise erteilen, und versucht, eine spontane Demonstration anzumelden.

17 Gegendemonstranten vor der Volksbühne

Direkt vor dem Eingang der Volksbühne, inmitten der Polizeiabsperrungen, findet derweil auch eine angemeldete Kundgebung statt: Gegen die "Hygiene-Demos" der Verschwörungstheoretiker. "Die Verhältnismäßigkeit von Infektionsschutzverordnungen und die Einschränkung von Grundrechten sind zu hinterfragen und zu kritisieren. Kein Verständnis haben wir für Menschen und Gruppierungen, die das mit Rechtsextremen, Faschistinnen und Neurechten auf die Straße tragen", spricht ein Redner dort in ein kleines Megaphon.

20 Gegendemonstranten dürfen hier zusammenkommen. "Nach meinem letzten Kenntnisstand, haben sich 17 versammelt", sagt ein Polizeisprecher. Auch das Theater positioniert sich: "Solidarität" steht auf einem großen Banner an der Fassade der Volksbühne, "Leave No One Behind" auf einem anderen - eine Aufforderung, die Flüchtlinge in den griechischen Lagern nicht zu vergessen. Auch einige Anwohner haben Transparente aus Fenstern und an Balkone umliegender Häuser gehängt, ganz nach dem Motto "Wir sind nicht eure Kulisse", wie auf einem von ihnen steht.

"Nationalismus ist das Virus" steht auf dem Schild eines Gegendemonstranten. © Quelle: Felix Huesmann

Der Platz vor der Volksbühne in Berlin-Mitte hat sich seit Ende März zu einem Epizentrum selbsternannter "Corona-Rebellen" entwickelt. Die Gründer des Vereins "Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand", der zu den "Hygiene-Demos" aufruft, haben sich zuvor in der kapitalismuskritischen Berliner Kunst- und Kulturszene einen Namen gemacht. Ihre Protestaktionen zogen jedoch von Beginn an zunehmend Rechtsextreme an.

Der Berliner Videoblogger Nikolai Nerling, der wegen der Leugnung des Holocausts verurteilt wurde, nahm mehrfach an den Kundgebungen teil, eine Vielzahl rechter und rechtsextremer Online-Aktivisten und "Alternativmedien" berichtete wohlwollend über das Geschehen. An der letzten Protestaktion im April nahmen auch der Berliner AfD-Abgeordnete Gunnar Lindemann und der ehemalige NPD-Europaabgeordnete Udo Voigt teil. Auch Anhänger der "QAnon"-Verschwörungstheorie nahmen mehrfach an den Protesten teil.

5G, Impfzwang, Bill Gates - eine bunte Mischung an Verschwörungstheorien

Die Szene der selbsternannten "Corona-Rebellen" organisiert sich vor allem über das Internet. In der Messenger-App Telegram sind in den vergangenen Wochen weit mehr als ein Dutzend Landes- und Ortsgruppen entstanden, in denen die Demonstranten sich verabreden, Demonstrationen planen und diskutieren. In einer überregionalen Chatgruppe wird etwa ein Flugblatt zum ausdrucken und verteilen verbreitet, auf dem behauptet wird, die Corona-Pandemie erwirke, "dass Menschen gegen ihren Willen geimpft und zugleich gechipt" werden können, und sei ein möglicher Vorwand für eine Abschaffung des Bargelds.

Eine Kommentatorin in der Gruppe wittert zudem eine Verschwörung gegen die Demonstranten: "Es wird berichtet, dass morgen bezahlte Aggressoren eingeschleust werden, um die Polizei anzugreifen und unsere Befreiungsbewegung in ein schlechtes Licht zu stellen", schreibt sie. In einer kleineren "Arbeitsgruppe" der "Corona-Rebellen" verbreitet eine Nutzerin ein Video, in dem dem Microsoft-Gründer Bill Gates unterstellt wird, er wolle durch Impfungen die Weltbevölkerung reduzieren. In einer weiteren Gruppe verbreiten Nutzer Verschwörungstheorien über einen angeblichen Zusammenhang zwischen 5G-Mobilfunk und dem neuartigen Coronavirus.

Diese skurrile Mischung unterschiedlicher Verschwörungstheorien prägte in den vergangenen Wochen auch das Bild der "Hygiene-Demos" in Berlin und ihrer Nachahmer in mehreren deutschen Städten. Sie funktioniert als Kitt, der Rechtsextreme gemeinsam mit Menschen demonstrieren lässt, die sich selbst eher als linke oder liberale Oppositionelle sehen. Eine gefährliche Mischung, wie der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Georg Maier, jüngst warnte. Er sagte dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): "Vieles erinnert an die Reichsbürger. Die haben wir anfangs ebenfalls belächelt, bis sich ihre Ansichten verbreitet und sich einige irgendwann bewaffnet haben."

RND

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