Felix Huesmann

Reporter im Hauptstadtbüro des RedaktionsNetzwerks Deutschland, Berlin

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Artikel

Türkische Propaganda mit journalistischem Anstrich

Der türkische Staat mischt nun in der deutschen Medienlandschaft mit. Am Montag hat die türkische Rundfunkgesellschaft TRT das deutschsprachige Newsportal TRT Deutsch gestartet. Vieles deutet darauf hin, dass sich damit neben den russischen Seiten RT Deutsch und Sputnik ein weiterer Propagandakanal eines autoritär regierten Staates in Deutschland etabliert.

„Wir durchleuchten aktuelle Ereignisse aus verschiedenen Perspektiven und legen alternative Themen auf den Tisch, die in den Mainstream-Medien kaum Beachtung finden", heißt es in einem knappen Vorstellungstext, mit dem der Start der „Betaphase" von TRT Deutsch am 13. Januar verkündet wurde. Und: „Mit gut recherchierten Fakten, interessanten Interviews, spannenden Reportagen und Videobeiträgen aus der ganzen Welt tragen wir zur Meinungsvielfalt bei." Die Seite will sich demnach als „als anspruchsvolle und vertrauenswürdige Informationsquelle" in der deutschen Medienlandschaft etablieren. Auch eine Art politischer Selbstverortung liefert die Newsplattform mit:

„Dabei positionieren wir uns ganz klar gegen Rechtsradikalismus und Islamophobie sowie gegen jegliche Form von Diskriminierung. Wir setzen uns für eine plurale, freiheitlich-demokratische Gesellschaft ein."

Kohleausstieg und Kaffee

Statt „spannenden Reportagen" über Themen abseits des „Mainstreams" springt in der ersten Woche jedoch vor allem eine Fülle von Agenturmeldungen ins Auge. „Organspende: Abgeordnete stimmen für den Entwurf der Grünen", titelte TRT Deutsch am Donnerstag etwa über einer dpa-Meldung zu einem Thema, über das wohl nahezu alle angeblichen deutschen „Mainstream-Medien" ebenfalls berichtet haben. Andere Überschriften der vergangenen Tage lauteten: „Ostseefischer mit leeren Netzen" (dpa); „Kohleausstieg ist beschlossen - Fahrplan steht" (dpa); „USA und China wollen Teilabkommen unterschreiben - Strafzölle bleiben" (dpa); „Jacobs - Traditionsmarke aus Bremen wird 125" (dpa).

Vor allem über Themen, die die Türkei betreffen, schrieb die TRT-Redaktion bislang selbst. So etwa über die libyschen Friedensverhandlungen unter Beteiligung Erdoğans, die Festnahme von Journalisten der staatlichen türkischen Nachrichtenagentur Anadolu in Ägypten und ein Stuttgarter Urteil gegen ein PKK-Mitglied in Deutschland.

Im Meinungs-Ressort setzen sich Autoren mit der Zukunft Annegret Kramp-Karrenbauers und der Großen Koalition auseinander, mit der Eskalation der Spannungen zwischen dem Iran und den USA und mit dem im November zum Oberbürgermeister von Hannover gewählten Belit Onay. Der österreichische Politikwissenschaftler Ferit Hafez widmet sich christdemokratisch angeführten Kopftuchdebatten und die ehemalige österreichische Nationalratsabgeordnete Martha Bißmann verreißt die frisch gestartete türkis-grüne Regierungskoalition in Wien.

Dominanz der Regierungsparteien

TRT Deutsch ist der jüngste Ableger der öffentlich-rechtlichen Rundfunkgesellschaft der Türkei. Dort stehen die TRT-Sender aufgrund ihrer Nähe zur Erdoğan-Regierung immer wieder in der Kritik. Wie parteiisch TRT ist, zeigte vor allem die Wahlkampfberichterstattung der Radio- und Fernsehsender in den vergangenen Jahren immer wieder. Vor der Präsidentschaftswahl 2018 erhielten Erdoğans AKP und ihr Bündnispartner, die ultranationalistische MHP, ein Vielfaches der Sendezeit aller Oppositionsparteien, wie eine Untersuchung zweier oppositioneller Mitglieder des Obersten Rundfunk- und Fernsehrats der Türkei (RTÜK) zeigte. Die Kommission fungiert als Regulierungsbehörde für den privaten Rundfunk und setzt sich aus Politikern von Regierung und Opposition zusammen.

In einem mehr als dreiwöchigen Untersuchungszeitraum im Mai 2018 erhielten AKP und MHP demnach mehr als 31 Stunden Sendezeit in der TRT-Berichterstattung, die größte Oppositionspartei CHP hingegen nicht einmal 40 Minuten. Die prokurdische HDP sei überhaupt nicht erwähnt worden. Die Berichterstattung mehrerer regierungsnaher Privatsender ergab der Untersuchung zufolge ein ähnliches Bild.

Schon vor der Präsidentschaftswahl 2014 hatten sich die Oppositions-Mitglieder des Rundfunk- und Fernsehrats über das extreme Missverhältnis in der Berichterstattung der TRT-Sender beschwert.

Rote Linien

Die deutsche TRT-Redaktion bestreitet auf unsere Anfrage, dass es Vorgaben der türkischen Regierung, oder anderer staatlicher Stellen in der Türkei für die Berichterstattung und Kommentierung gebe. „Die inhaltliche Ausrichtung unserer Arbeit bestimmen wir selber in unserer Redaktion", heißt es in der nicht namentlich unterzeichneten Antwort. Der Fokus der Redaktion liege „primär auf den Geschehnissen in Deutschland und im restlichen deutschsprachigen Raum. Dennoch beziehen wir auch die Türkei mit ein, wenn relevante oder wichtige Ereignisse vorliegen. Das ist auch im Interesse der Deutschtürken, die sich mit der Türkei verbunden fühlen." Die Redaktion habe die Verpflichtung, „objektiv und unparteiisch" zu sein, beachte als Teil des türkischen öffentlich rechtlichen Rundfunks aber „selbstverständlich die roten Linien der Türkei. Beispielsweise sind Terrororganisationen wie PKK und FETÖ auch von uns als solche einzustufen." Als FETÖ, kurz für „Fethullahistische Terrororganisation", bezeichnet die türkische Regierung die Anhänger des ehemaligen Erdoğan-Weggefährten Fethullah Gülen, die sie für den gescheiterten Putschversuch im Jahr 2016 verantwortlich macht.

Wie sich die türkische Regierungslinie in der Berichterstattung von TRT Deutsch niederschlägt, zeigt der kurze Bericht über den Stuttgarter PKK-Prozess. Darin ist von rund 40.000 Menschen die Rede, deren Tod die PKK zu verantworten habe, „darunter Frauen, Kinder und Kleinkinder". Mit über 40.000 wird in der Regel die Gesamtzahl derer angegeben, die in dem seit Jahrzehnten währenden bewaffneten Konflikt zwischen PKK und türkischem Staat ums Leben gekommen sind. Darunter auch zahlreiche Kämpfer der PKK selbst, sowie tausende zivile Opfer auf kurdischer Seite, die durch Angriffe des türkischen Militärs getötet wurden. Eine Mitverantwortung des türkischen Staates für den bewaffneten Konflikt und dessen Opfer wird jedoch weder von der türkischen Regierung, noch offenbar von TRT Deutsch anerkannt.

Die TRT-Deutsch-Redaktion sitzt in bester Berliner Lage, nur einen Steinwurf vom Bundestag entfernt, im Haus der Bundespressekonferenz. Fünf Etagen über dem großen Konferenzsaal, in dem sich regelmäßig RegierungssprecherInnen und MinisterInnen den Fragen von JournalistInnen stellen, haben das neue Newsportal wie auch die Muttergesellschaft TRT ihr Büro. Auf der selben Etage sitzen auch die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu und knapp 30 andere deutsche und internationale Medien.

Chefredakteur des Newsportals ist Kaan Elbir, der zuvor für die deutsch- und englischsprachigen Angebote der AKP-nahen türkischen Zeitung „Daily Sabah" gearbeitet hat. Auch TRT Deutsch-Redakteur Burak Altun arbeitete zuvor für „Daily Sabah". Ein weiterer Redakteur, Ali Özkök, arbeitete mindestens bis April 2019 für die russische Propagandaseite RT-Deutsch. Auf Twitter postete Özkök im Dezember ein Foto, das ihn, Elbir und Altun sowie weitere Personen gemeinsam mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zeigt. Der Besuch als Teil des neuen TRT Deutsch-Teams sei ihm eine Ehre gewesen, schrieb er dazu.

It was an honor for me to visit as part of the new #TRTDeutsch team #Turkey🇹🇷 President #Erdogan. pic.twitter.com/AL8CINypUF

- Ali Özkök (@Ozkok_A) December 10, 2019

Wie viele Personen bei TRT Deutsch beschäftigt sind, wollte die Redaktion auf Anfrage nicht verraten, teilte aber mit, das Projekt sei mit einer überschaubaren Mitarbeiterzahl gestartet, die wachsen solle. Man profitiere zwar vom globalen TRT-Netzwerk; die „Arbeit entsteht aber in der Berliner Redaktion." Zumindest was die Arbeit der Redaktion in den Sozialen Medien angeht, gibt es jedoch Grund für Zweifel daran: Alle 21 Personen, die die Facebookseite von TRT Deutsch verwalten, haben laut Seitentransparenz-Angaben des Sozialen Netzwerks die Türkei als ihren Hauptwohnsitz angegeben.

Die lange Geschichte von TRT Deutsch

Der Start von TRT Deutsch wurde im Oktober 2019 offiziell angekündigt. Deutschsprachige Inhalte für das Internet produziert der türkische Staatssender jedoch schon seit mindestens elf Jahren. Die Domain trtdeutsch.com hatte TRT bereits im Jahr 2008 registriert und mindestens seit 2009 auch für ein deutschsprachiges Online-Nachrichtenangebot genutzt. Statt eines eigenen Newsportals nutzte TRT dafür in den darauffolgenden Jahren jedoch Unterseiten auf seiner sonst türkischsprachigen Website. Dort finden sich mittlerweile Nachrichtenangebote in rund drei Dutzend Sprachen.

Auch die heute genutzte TRT-Deutsch-Facebookseite existiert bereits seit Januar 2010 und wurde bis Juni 2018 für die Verbreitung der deutschsprachigen Artikel genutzt. Davon ist heute jedoch nichts mehr zu sehen. Bevor die Facebookseite für das neu gestartete Newsportal reaktiviert wurde, wurden dort alle vorherigen Posts gelöscht. Alle Links auf deutschsprachige TRT-Artikel aus diesen Jahren werden auf die neue TRT Deutsch-Startseite weitergeleitet. Die Artikel wurden offenbar ebenso wie die zugehörigen Facebook-Posts gelöscht.

Mithilfe eines Social-Media-Analysetools lässt sich jedoch ein Blick in die Historie der Facebookkseite werfen. Auch die gelöschten Posts lassen sich so anzeigen. Insgesamt veröffentlichte TRT Deutsch dort zwischen 2010 und 2018 mehr als 15.000 Links zu Artikeln. Nur wenige der Artikelseiten lassen sich heute noch anhand von archivierten Kopien ansehen. Das Post-Archiv zeigt jedoch die Überschriften und Beschreibungen der veröffentlichten Artikel an und gewährt so einen Einblick in die bisherige deutschsprachige Arbeit von TRT. (Hier gibt es die Artikelüberschriften und -beschreibungen als CSV-Datei zum Nachlesen.)

Zum Stichwort „Armenien" finden sich darin zum Beispiel wiederholt Kritik an der Armenien-Resolution des Bundestags, ein Interview mit einem deutschen Genozid-Leugner und mehrere Überschriften, in denen der Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich als „armenische Behauptung" bezeichnet wird.

„Erdoğans Propaganda-Arm"

Seit 2015 hat der Staatssender seine Bemühungen um internationalen Einfluss durch den englischsprachigen Nachrichtensender TRT World massiv ausgebaut. Der Sender ist 24 Stunden täglich per Satellit und im Internet zu empfangen. Dazu gehört außerdem ein Newsportal, an dem sich TRT Deutsch nun auch optisch orientiert.

Auch der internationale Sender steht aufgrund seiner Nähe zur türkischen Regierung immer wieder in der Kritik. Nach dem gescheiterten Putschversuch im Jahr 2016 verließen mehr als 30 internationale JournalistInnen den Sender - aufgrund von „Sicherheitsbedenken", wie TRT World-Geschäftsführer Ibrahim Eren im Interview mit „ Sabah Daily" erklärte. Einer dieser ehemaligen Mitarbeiter sagte dem US-Nachrichtenmagazin „Newsweek" hingegen: „Ich bin gegangen, weil klar wurde, dass es nach dem gescheiterten Putsch nicht mehr möglich war, über die Geschichte in der Türkei objektiv zu berichten."

Im November 2019 warnte der Geschäftsführer des „Middle East Media Research Institute" (MEMRI), Steven Stalinsky, in einem Gastbeitrag in der „Washington Post" vor TRT World. ExpertInnen, AkademikerInnen, AktivistInnen und JournalistInnen sollten nicht unbedarft als InterviewpartnerInnen in den Programmen des Senders auftreten, appellierte er. Den Sender bezeichnete er als Erdoğans Propaganda-Arm.

Stalinsky machte das beispielhaft an der Berichterstattung über den türkischen Einmarsch in Nordostsyrien fest, den die türkische Regierung als „Operation Peace Spring" betitelt hatte. In den Wochen seit Beginn der Militäroperation habe TRT World „einen stetigen Strom enthusiastischer Berichterstattung geliefert, darunter Politiker und Prominente, die die Militäroffensive lobten, türkische Zivilisten, die ihren Patriotismus zeigten, türkische Minderheiten und syrische Flüchtlinge, die die Invasion unterstützten, sowie zahlreiche Regierungsbeamte, die diese Politik propagierten."

Kritische Berichterstattung über den Einmarsch wurde in der Türkei zur gleichen Zeit unter Strafe gestellt; Journalisten, die von der Regierungslinie abwichen, wurden zuerst festgenommen und anschließend mit einer Ausreisesperre belegt.

Die von TRT World produzierten Inhalte zielten „weitgehend darauf ab, die Wahrnehmung eines internationalen englischsprachigen Publikums zugunsten der innen- und außenpolitischen Ziele der Regierung Erdoğan zu beeinflussen", schlussfolgerte Nahostexperte Steven Stalinsky.

Ein Geistesbruder von RT Deutsch

Die internationalen TRT-Ableger unterstehen ebenso wie ihre russischen Pendants einer autoritären Staatsführung, die Pressefreiheit eher als zu bekämpfendes Übel denn als elementaren Bestandteil der gesellschaftlichen Ordnung ansieht.

Auch die Mittel, mit denen beide Staaten gegen kritische Stimmen vorgehen, ähneln sich. Über staatlich organisierte Trollkampagnen Russlands ist viel bekannt. Deniz Yücel berichtete bereits 2016 in der „Welt" über gehackte Dokumente, die zeigten: Auch die türkische Regierung verfolgte bereits seit der Zeit der Gezi-Proteste 2013 eine ähnliche Strategie. Die Dokumente stammten aus dem E-Mail-Account von Erdoğans Schwiegersohn Berat Albayrak und wurden von der Hackergruppe Redhack erbeutet. Unter anderem wegen der Berichterstattung über diese gehackten E-Mails wurde Yücel 2017 in der Türkei verhaftet.

Auch wenn TRT Deutsch erklärt, sich „für eine plurale, freiheitlich-demokratische Gesellschaft" einzusetzen: Es gibt keinen Grund zu der Annahme, diese Plattform werde zur Ausnahme im staatlichen türkischen Mediensystem werden, und frei und ohne Rücksicht auf die Haltung der Regierung in Ankara berichten.

Viel mehr deutet alles darauf hin, dass TRT Deutsch zu einem Geistesbruder von RT Deutsch mit einer anderen Zielgruppen-Demographie wird. Zwischen dpa-Meldungen von der Stange wird es TRT Deutsch wohl vor allem um eins gehen: Der Sichtweise der Türkei - und das heißt: der türkischen Regierung, und das heißt: Recep Tayyip Erdoğans - Gehör zu verschaffen.

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