Felix Huesmann

Reporter im Hauptstadtbüro des RedaktionsNetzwerks Deutschland, Berlin

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Artikel

Den Blick auf die Welt weiten - mit rechtsradikalen Blogs?

Fast 170.000 Euro hat das Medien-Startup „The Buzzard" bislang mit einer Crowdfunding-Kampagne eingenommen. Es geht um die Rettung „unserer Demokratie". Die sei in Gefahr, heißt es gleich im ersten Satz des Crowdfunding-Werbevideos. „Populisten bestimmen den Diskurs", heißt es weiter. „Extremisten gewinnen an Macht, weil sie mit einfachen Antworten überzeugen." Es folgt eine Warnung vor Filterblasen, vor Algorithmen, die bestimmen, was wir sehen und lesen. Und schließlich die Lösung: „The Buzzard".

Das Startup rund um die Gründer und Geschäftsführer Dario Nassal und Felix Friedrich hat eine App entwickelt, mit der es für einen Diskurswandel sorgen will. Das funktioniert in etwa so: Zu einer kontroversen Frage (zum Beispiel: „Sollten wir uns in der EU mehr gegen Flüchtlinge abschotten?") sucht das „Buzzard"-Team mehrere Artikel, in denen verschiedene Positionen vertreten werden. Von links bis rechts, von Massenmedien bis zu kleinen Blogs und „Alternativmedien". Die Artikel werden verlinkt und auf der Buzzard-Plattform zusammengefasst, außerdem werden die politischen Positionen der verlinkten Websites und AutorInnen steckbriefartig eingeordnet. Den LeserInnen soll das helfen, sich vielfältig zu informieren und Andersdenkende zu verstehen. In den Worten von „Buzzard"-Gründer Felix Friedrich:

„Mit Buzzard bekommst du einen ganz neuen Zugang zur Nachrichtenwelt. Eine App, die deinen Blick weitet für Perspektiven des ganzen Meinungsspektrums."

Sie soll im Frühjahr 2020 starten, genug Geld dafür hat das Unternehmen gesammelt. Ein Blick auf den „Buzzard"-Prototypen, der noch bis August dieses Jahres mit aktuellen Debatten bestückt wurde, gibt jedoch bereits einen Vorgeschmack. Die Plattform ist schon 2017 online gegangen. Seitdem wurden dort Debattenbeiträge zu mehr als 100 Themen empfohlen.

Rechtsextreme Blogs auf Augenhöhe

Vor allem für die Auswahl der dort empfohlenen Quellen steht „The Buzzard" jetzt in der Kritik. Eine der ersten auf der Plattform veröffentlichten Debatten drehte sich im April 2017 um die Frage: „Wäre Marine Le Pen eine gute französische Präsidentin?" Die Präsidentschaftswahl in Frankreich stand vor der Tür, die Politikerin des rechtsextremen „Rassemblement National" hatte realistische Chancen, die Wahl zu gewinnen. Um „beide Seiten" der Debatte abzubilden, empfahl „The Buzzard" einerseits einen Artikel des US-Onlinemediums VOX, in dem erklärt wird, wie Le Pen versucht, ihre rechtsextreme Partei zu „entdämonisieren". Und andererseits einen Text des rechtsextremen und islamfeindlichen Blogs „PI-News", in dem die Autorin zu der Schlussfolgerung kommt, Le Pen nehme die Ängste der Franzosen ernst und Medien wie die „Zeit" würden sie in ein falsches Licht rücken.

Die tiefgehende VOX-Analyse steht plötzlich auf Augenhöhe mit einem deutschsprachigen Zentralorgan rassistischer und islamfeindlicher Niedertracht, mit einem Blog, das Propaganda statt Berichterstattung betreibt und immer wieder Falschmeldungen verbreitet.

Seit wenigen Tagen wird vor allem diese Buzzard-Leseempfehlung auf Twitter heftig diskutiert. Einigen prominente Medienschaffende haben das Unternehmen bei seinem Crowdfunding unterstützt. Richard Gutjahr wird auf der „Buzzard"-Seite ebenso als Unterstützer gelistet wie die ARD-Journalistin Natalie Amiri, der „Spiegel"-Autor Markus Feldenkirchen und der „Focus"-Kolumnist Jan Fleischhauer.

Seit Mittwoch hat „The Buzzard" jedoch mehrere UnterstützerInnen verloren. So etwa die freie Journalistin und Kolumnistin Hatice Akyün, den „Tagesspiegel"-Korrespondenten Matthias Meisner und den ehemaligen CDU-Generalsekretär (und Twitter-Influencer) Ruprecht Polenz. Von der bisherigen Arbeitsweise des Startups waren sie offenbar überrascht. Auch die Journalistin Özlem Topçu zog ihre Unterstützung am Donnerstag zurück und erklärte, „The Buzzard" habe ihr Vertrauen verspielt.

Ich habe gesehen, dass @TheBuzzardOrg PI-News als Quelle für eine Debatte nutzt. Dieses Blog ist eine islamfeindliche und rechtspopulistische Plattform. Ich kann aus diesem Grund meine Unterstützung nicht mehr aufrechterhalten und distanziere mich von @TheBuzzardOrg pic.twitter.com/m0Ivvq7pCp

- Hatice Akyün (@hatice_akyun) December 11, 2019

Mit Seiten,die Rassismus, Menschenverachtung und Verschwörungstheorien verbreiten? Vertrauen verspielt. Ich ziehe definitiv und endgültig meine Unterstützung zurück.

- Özlem Topçu (@OezlemTopcu) December 12, 2019

Als Reaktion auf die Kritik erklärte Buzzard-Geschäftsführer Dario Nassal auf Twitter, man habe mit der Empfehlung des rechtsextremen Blogbeitrags zeigen wollen, „wie das Narrativ von Rechtspopulisten funktioniert. Es mag sein, dass uns das in diesem Fall nicht gelungen ist." Der Fall ist jedoch kein Einzelfall.

Parallel zu den Debattenbeiträgen um Marine Le Pen wurde im April 2017 auch ein Pro- und Contra-Paket zu Emmanuel Macron veröffentlicht. Gegen den heutigen französischen Präsidenten ließ „The Buzzard" das Blog „American Everyman" ins Feld ziehen. Im empfohlenen Beitrag der mittlerweile offline genommenen Internetseite wird Macron als das „handgefertigte Werkzeug der neoliberalen globalistischen Eliten" bezeichnet. Daneben finden sich auf der Seite (die noch über das Internet-Archiv abrufbar ist) diverse Verschwörungstheorien etwa über 9/11 und die rechtsextremen Anschläge von Anders Behring Breivik.

Erst im Mai 2019 empfahl „The Buzzard" einen Artikel der rechtsradikalen Seite „Journalistenwatch" zu der Frage, ob eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung gut für Europa ist.

Ebenfalls empfohlen wurden unter anderem das „Alt Right"-Medium Breitbart, die russischen Staatsmedien RT und Sputnik, die Verschwörungstheorie-lastige Seite „Rubikon" und das Blog der rechten Publizistin und Falschmeldungsverbreiterin Vera Lengsfeld.

Zweifelhafte Einordnungen

An der bisherigen „Buzzard"-Arbeitsweise irritiert nicht nur die Auswahl der Quellen. Auch die politischen Einordnungen der verlinkten Seiten und AutorInnen werfen Fragen auf. Über das rechtsextreme „PI-News" heißt es beispielsweise: „Der Blog ‚Politically Incorrect' bezeichnet sich als ‚proamerikanisch' und ‚proisraelisch' sowie gegen den ‚Mainstream' und eine ‚Islamisierung Europas' gerichtet und setzt sich nach eigenen Angaben für das ‚Grundgesetz und Menschenrechte' ein, welche er ‚aufgrund der immer mehr um sich greifenden Ideologie des Multikulturalismus' bedroht sieht." Statt einer kritischen Einordnung anhand nachvollziehbarer Kriterien wurde sich offenbar auf die Selbstbeschreibung verlassen. Die politische Position der Autorin wird als „islamkritisch, rechtspopulistisch" eingestuft.

Über das vollständig vom Kreml kontrollierte russische Staatsmedium RT heißt es an anderer Stelle: „Wie der gesamte Sender ist auch der deutsche Ableger wegen seiner einseitigen Berichterstattung und seiner propagandistischen Nähe zum Kreml umstritten."

Über Rubikon schreibt „The Buzzard" lediglich: „Das RUBIKON-Magazin sieht sich als Informationsplattform abseits des Mainstreams - für die kritische Masse."

Erstmal mit dem Beirat reden

Während der „Prototyp" von den Buzzard-Machern vor wenigen Tagen noch aktiv als transparenter Einblick beworben wurde, „welche Medien mit aufgenommen werden können", erklärt Dario Nassal nach der massiven Kritik und einigen zurückgezogenen Unterstützungen, dass es in Zukunft doch anders weitergehen soll und man in der Vergangenheit Fehler gemacht habe. Der Prototyp sei „nicht repräsentativ für die Arbeit, die wir in den nächsten Jahren machen werden", teilt er auf Übermedien-Anfrage mit.

„Wir distanzieren uns von allen Medien und Medienmachern, die rechtsextreme Tendenzen haben und menschenverachtende Äußerungen tätigen", schreibt er. „Hier ist die Grenze für Meinungsvielfalt in jedem Fall erreicht."

Warum in der Vergangenheit dennoch Beiträge rechtsextremer Medien empfohlen wurden, erklärt er so:

„Grundsätzlich finden wir es schwierig, zu schnell Quellen pauschal auszuschließen, wenn man den Wert der Perspektivenvielfalt und der Diskursabbildung als Ziel verfolgt. Das könnte schnell zu einer Spirale der Zensur führen, wenn man erst einmal anfängt erste Quellen komplett auszugrenzen."

Sie hätten sich stattdessen bislang dafür entschieden, „auf Textbasis zu entscheiden, ob die Perspektiven unseren Maßstäben entsprechen und zum Beispiel keine volkshetzerischen, menschenverachtenden oder rassistischen Äußerungen enthalten. Das bedeutet: Texte jeweils einzeln zu prüfen, anstatt eine rote Flagge für ein ganzes Medium zu vergeben."

Dario Nassal erklärt auch, warum 2017 die Wahl auf den „PI-News"-Text fiel:

„Wir hatten den Text damals ausgewählt, weil er eine anhand von Textbeispielen und Argumenten vorgetragene Medienkritik enthält, insbesondere gegenüber der ‚Zeit', die zu verstehen hilft, warum viele Franzosen, die Front National wählen, sich ungerecht behandelt fühlen: Diese Menschen empfinden es als ungerecht, dass man Le Pen unterstellt, sie schüre Angst."

Den „Journalistenwatch"-Artikel im Mai 2019 hätten sie ausgewählt, „um zu zeigen mit welchem Narrativ und welchen Argumenten Menschen am rechtsextremen Rand der Gesellschaft gegen die Arbeitslosenversicherung wettern."

Bei der neuen „Buzzard"-Version solle es nun „ein neues Prüfverfahren von Quellen insgesamt" geben. Wie das aussehen soll, ist bislang jedoch unklar. Welche Medien künftig ausgeschlossen werden, solle in den kommenden Wochen „gemeinsam mit dem Beirat und der Community" entschieden werden. Gemeint ist der journalistische Beirat des Unternehmens, der besetzt, aber bislang noch nicht zusammengekommen ist. Die Mitglieder Richard Gutjahr und „Zeit Online"-Chefredakteurin Maria Exner kündigten als Reaktion auf die massive Kritik auf Twitter bereits Diskussionsbedarf an. Die freie Journalistin Anett Selle verabschiedete sich nicht nur aus dem Beirat, sondern entzog „The Buzzard" ebenfalls ihre Unterstützung. Sie habe es vorab zur Bedingung für ihre Unterstützung gemacht, dass keine „Quellen, die Hetze & Unwahrheiten verbreiten" gestreut werden, schrieb sie. „Das wurde mir versichert. Lol."

Ich ziehe meine Unterstützung von Buzzard zurück. Mir sehr wichtig: Ich habe kollegialen Vertrauensvorschuss gegeben & dachte, ich teile ein tolles Projekt mit euch - und euch nicht gut informiert. Sondern schlecht. Das tut mir am meisten leid. Verspreche, habe draus gelernt. 3/3

- Anett Selle (@anettselle) December 12, 2019

Das soll sich ändern

Bereits beschlossene Sache: Die empfohlenen Meinungsbeiträge sollen künftig auf die „faktische Richtigkeit der Kernthesen" überprüft werden. „Wir setzen auch auf die Crowd, die uns bei diesem Vorhaben unterstützt und fragliche Faktenlage in der Zukunft kennzeichnen können soll", teilt Dario Nassal mit.

Auch die verlinkten Seiten insgesamt sollen demnach künftig überprüft und eingeordnet werden: „Wer finanziert das Angebot? Welche Menschen stecken hinter der Seite? Gibt es außerhalb des empfohlenen Beitrags hetzerische Inhalte?" Ob Seiten dann im Zweifelsfall mit einer Warnung versehen oder pauschal ausgeschlossen werden, solle gemeinsam mit dem Beirat entschieden werden. Bei der Einordnung der Seiten und AutorInnen wollen sich die „Buzzard"-Macher laut Dario Nassal außerdem künftig nicht mehr auf beschönigende Selbstbeschreibungen verlassen.

Erst das Geld, dann das Konzept

Festzuhalten bleibt: „The Buzzard" hat es nach zweieinhalb Jahren laufenden Betriebs des Prototyps nicht geschafft, ein funktionierendes Konzept für den Umgang mit rechtsextremen, rassistischen und verschwörungstheoretischen Seiten zu entwickeln.

Erst nach einigen öffentlichen Auftritten, einer sehr erfolgreichen Crowdfunding-Kampagne und einer Flut aus Kritik und Distanzierungen soll das nun gemeinsam mit dem vorab offenbar unzureichend über das Projekt informierten journalistischen Beirat ausgearbeitet werden.

Gelungener als das Konzept ist die „Buzzard"-PR: Das Startup hat es geschafft, Medienprofis als UnterstützerInnen zu gewinnen, die es offenbar versäumt haben, sich ein Bild davon zu machen, für was sie da eigentlich werben.

Was den professionellen und kritischen Umgang mit Quellen umso dringender macht: Mit ihrer App wollen die Buzzard-Macher ab dem Frühjahr auch SchülerInnen erreichen. In mehreren Bundesländern haben Unternehmen bereits kostenlose „Buzzard"-Zugangsberechtigungen für alle SchülerInnen und LehrerInnen des Landes gesponsert.

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