Felix Huesmann

Reporter im Hauptstadtbüro des RedaktionsNetzwerks Deutschland, Berlin

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„Anti-Impfpflicht-Demo" wird zum Schaulaufen von Verschwörungstheoretikern

Die „PFLICHT" passte nicht mehr drauf. Egal, Juliane aus Hannover zuckt die Achseln, ihr orangefarbenes T-Shirt signalisiert, dass sie an diesem Samstag an einer Demo teilnimmt. „IMPFEN IST SPAHNSINN", steht auf dem selbstgebastelten Plakat. „Nein zur Medizindiktatur" prangt auf einem anderen. Eine Frau mit oranger Mütze hat eine große Pappe dabei. „Wer die Wahrheit über das Impfen nicht kennt, ist unwissend. Wer sie kennt und für das Impfen plädiert, macht sich schuldig", steht darauf.


Von Nicola Kuhrt und Felix Huesmann.


Offiziell sind die Demonstranten wie Juliane nach Berlin gekommen, um gegen das Masernschutzgesetz von Gesundheitsminister Jens Spahn zu protestieren. Kinder, Betreuer in Kitas oder Lehrer müssen demnach bis Ende Juli 2021 Immunität gegen Masern nachweisen. Ungeimpfte Kinder dürfen anschließend nicht mehr in Kitas aufgenommen werden. Eltern von nicht geimpften Kindern drohen Bußgelder von bis zu 2.500 Euro.

Vor dem Brandenburger Tor versammeln sich an diesem Samstagmittag allerdings nur wenige, die lediglich gegen das Impfpflichtgesetz protestieren, das auch viele Experten kritisieren. Sie befürchten, dass in Folge seltener andere Impfungen in Anspruch genommen werden. Stattdessen sollte eine verstärkte aktive Aufklärung sowie die Einführung automatischer Impferinnerungssysteme umgesetzt werden. Impfungen in Kindergärten und Schulen sollten möglich werden.

Verschwörungstheoretiker mit Verbindungen in rechtsextreme Kreise dominieren die Demo

Viele Demonstranten vor Ort wollen eine tiefer gehende Kritik loswerden - und noch einiges mehr. „Impfungen haben krasse Nebenwirkungen, das sagt dir doch keiner", erklärt Juliane erhitzt. Ihre Kinder lasse sie jedenfalls nicht impfen. Die Nachbarin pflichtet ihr bei, es sei alles eine große Schweinerei. Verdienen an dem „ Gift" würden doch nur Pharmaindustrie und Ärzte.

Noch liegt der Gesetzentwurf zum Impfpflichtgesetz beim Bundesrat, der bis zum 20. September die Gelegenheit zur Stellungnahme hat. „Es sterben derzeit Tausende Menschen an Krankenhauskeimen, an Krebs und keiner macht etwas dagegen. Aber wenn ein Mensch im Jahr an Masern stirbt, will man gleich den Impfzwang rechtfertigen!", ruft Demo-Organisatorin Andrea Feuer der jubelnden Menge zu. Zusammen mit Daniela Gerlemann hat sie das „netzwerk impfentscheid Deutschland" gegründet. Sie beschreiben sich selbst als „besorgte Mütter", die im medizinischen Bereich tätig seien und die „Interessen der Zivilbevölkerung" vertreten.

Auf dem esoterischen „Akasha-Kongress", bei dem vergangenes Jahr in der Nähe von Köln Referenten auftraten, die unseriöse Krebstherapien bewarben und das wegen Gesundheitsgefahren verbotene Wundermittel MMS propagierten, warb Daniela Gerlemann bereits für Protest: „Die medizinische Selbstbestimmung ist in Gefahr" erklärt sie. In Europa und in vielen Ländern auf der Welt würden Impfzwänge durchgesetzt. „Verschwiegen werden natürlich die Schadwirkungen und alles, was an Nebenwirkungen da möglich ist".

Rapper singt „Bitte, bitte, impf sie nicht!"

Auf der Website des „netzwerk impfentscheid Deutschland" zum Berliner Demoaufruf ist zu lesen, dass man sich „für die freie Impfentscheidung in Deutschland" einsetze, die Redner verfolgten bei der Demonstration dasselbe Ziel: die „freie Impfentscheidung" zu erhalten. „Extreme und wissenschaftlich umstrittene Themen der Medizin sind nicht Gegenstand der Vereinsarbeit", heißt es in einer sehr vorsichtigen Distanzierung. Auch distanzieren sich Gerlemann und Feuer „von jeglichem politisch motivierten Extremismus" auf der Demo, rechtsextreme Strömungen hätten keinen Platz im Verein. Es würden „keinerlei politische Symbole oder Verherrlichung von Gewalt o.ä. geduldet". Doch die Realität an diesem Tag sieht anders aus. Tatsächlich wird die Demonstration von Verschwörungstheoretikern mit Verbindungen in rechtsextreme Kreise dominiert.

Ganz vorn dabei: Der Verschwörungstheorie-Rapper Wojna von der Duisburger Band „Die Bandbreite". Er steht auf einem zur Bühne umfunktionierten Miet-LKW, der mit orangefarbenen Ballons und Porträts dekoriert ist. Eines dieser Fotos zeigt den als Impfkritiker bekannten und dafür von manchen verehrten Robert F. Kennedy. Wojna spricht euphorisch zur den jubelnden Demonstranten, schätzungsweise 2000 sind nach Berlin gekommen. „Wir stehen alle hier für unser Recht auf medizinische Selbstbestimmung", ruft Wojna, natürlich wolle man niemandem seine Impfung nehmen. Später aber wird er dann mehrfach einen Song rappen, gerichtet an alle Eltern: „Bitte, bitte impft sie nicht, verabreicht ihnen nicht das Gift!"

Wojna, der mit bürgerlichem Namen Marcel Wojnarowicz heißt, begleitet über mehrere Stunden die Demo, moderiert die Reden von Impfgegnern aus Frankreich, Italien und Polen an und richtet immer wieder auch selbst das Wort an die Demonstranten und unbeteiligte Passanten.

Er ist nicht nur unter Impfgegnern bekannt. Seine Band „Die Bandbreite" tourt bereits seit Jahren landauf landab und spielt auf Veranstaltungen von Verschwörungstheoretikern und mitunter sogar Reichsbürgern - also Menschen, die die legitime Existenz der Bundesrepublik Deutschland bezweifeln und an den Fortbestand eines Deutschen Reichs glauben. In ihren Liedern bezeichnet die Band die Anschläge vom 11. September 2001 als von den USA „selbstgemacht" und behauptet, das HI-Virus sei von den USA als Kampfstoff entwickelt und verbreitet worden.

2012 trat die Band bei der Gründungsveranstaltung des sogenannten „Königreichs Deutschland" in der Lutherstadt Wittenberg auf: Der Geschäftsmann und Reichsbürger Peter Fitzek rief dort auf einem ehemaligen Krankenhausgelände seinen eigenen „Staat" aus und ließ sich zum König krönen.

Frau mit Totenkopfgesicht: Impfkritische Aufkleber verteilt

Auch der Autor und Verschwörungstheoretiker Heiko Schrang darf vor dem Brandenburger Tor eine Rede halten. Er gehört zu den „Stars" der deutschsprachigen Verschwörungsszene. Bücher veröffentlicht Schrang im Selbstverlag, Videos vor allem auf Youtube, wo er mehr als 140.000 Abonnenten hat. Darin geht es oft um Meditation, vor allem aber um angebliche Komplotte aus Politik, Medien und „Hochfinanz". In seinem Buch „Die Souveränitätslüge" behauptet Schrang etwa, Deutschland sei kein souveräner Staat, sondern immer noch besetzt und fremdgesteuert. In anderen Veröffentlichungen verbreitet er Verschwörungstheorien rund um die Anschläge auf das World Trade Center, bestreitet den menschlich gemachten Klimawandel und warnt vor „Chemtrails".

In seiner Rede in Berlin spricht Schrang ebenfalls nicht nur über die Impfpflicht. Er holt stattdessen weit aus. „Wir haben ein System-Problem", sagt Schrang. „Dieses System, da gehört noch mehr dazu. Hier ist die Zwangsimpfung, dann ist der Organraub auf der anderen Seite, dann ist es eine Zwangsgebühr GEZ." Anschließend fragt er die versammelten Demonstranten: „Wollt ihr euch das alles noch bieten lassen?" Die Menge antwortet mit lauten und enthusiastischen „Nein"- und „Buh"-Rufen und Pfiffen.

Liebich: Mobil machen per Telegram

Währenddessen verteilen offizielle Ordner der Demonstration „impfkritische" Aufkleber an die Demonstranten. Viele kleben sie sich selbst oder ihren Kindern an die Kleidung. Im Bauchladen, den eine Ordnerin in einer orangefarbenen Warnweste vor sich trägt, liegen jedoch nicht nur Aufkleber und Flugblätter der Demo-Organisatoren selbst. Sie verteilt auch Aufkleber, auf denen eine Frau mit Totenkopf-Gesicht zu sehen ist, die einem Mädchen eine Spritze verabreicht. Darunter steht der Aufruf: „Lass dich nicht impfen. Informier dich jetzt!"

Die Aufkleber stammen aus dem Onlineshop des Rechtsextremen Aktivisten und Geschäftsmanns Sven Liebich. Der organisiert vor allem in seiner Heimatstadt Halle an der Saale regelmäßige Kundgebungen und verkauft über das Internet T-Shirts und Aufkleber mit rassistischen und menschenverachtenden Inhalten. Über seinen Blog, Social-Media-Profile und Kanäle in der Messenger-App Telegram wurde Liebich in den vergangenen Jahren zu einer Art rechtsextremem „Influencer". Bei der Demonstration am Samstag läuft er als Teilnehmer mit, filmt und macht Fotos für seine Follower. Schon im Vorfeld der Demo rief er in seinem Telegram-Kanal zur Teilnahme auf.

Auch Heiko Schrang machte bereits im Vorfeld Werbung für die Demonstration. Am 10. September veröffentlichte er auf seiner Webseite und auf Youtube ein Interview mit der Demo-Organisatorin Andrea Feuer. Darin verbreiten die beiden nicht nur die vielfach widerlegte Behauptung des ehemaligen britischen Arztes Andrew Wakefield, Impfungen würden zu Autismus führen: Schrang warnt außerdem vor einer Diktatur, die durch eine Impfpflicht in Deutschland eingeführt werde. Das Interview veröffentlichte Schrang als Teil seiner Video-Reihe „SchrangTV - Talk". Einer seiner letzten „Talkgäste" war zuvor der österreichische Rechtsextremist und Chef der Identitären Bewegung, Martin Sellner. Die Identitäre Bewegung ist in mehreren europäischen Ländern aktiv und wird in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet.

Neben Schrang und Liebich warben noch weitere „Influencer" aus rechtsextremen und verschwörungstheoretischen Kreisen für die Demonstration. Darunter auch der ehemalige Berliner Grundschullehrer Nikolai Nerling. Nerling ist vor allem unter dem Pseudonym „Der Volkslehrer" bekannt und verlor seine Anstellung, weil er regelmäßig rechtsextreme und antisemitische Videos veröffentlichte. Nerling tritt auch auf Neonazi-Demonstrationen als Redner auf und unterstützt die mehrfach verurteilte Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck. Er ist mit seiner Kamera vor Ort. Vor dem Brandenburger Tor interviewt er mehrere Teilnehmer der Demonstration - darunter bekannte Rechtsextreme und „Reichsbürger" und den Demo-Redner Heiko Schrang .

Impfpflicht: Hauptsache Protest?

Auch der Verein „Ärzte für eine individuelle Impfentscheidung", der nach eigener Aussage ausdrücklich kein Zusammenschluss von Impfgegnern sein will, sondern für „die freie, individuelle Impfentscheidung nach differenzierter, umfassender und ergebnisoffener ärztlicher Beratung" einstehe, hatte auf seiner Website für die Demo des „freien impfentscheids" geworben. Dabei fanden sich auf der Website zur Demo zahlreiche Links zu impfkritischen Vereinen wie „Libertas und Sanitas". Dieser ist aus einem Zusammenschluss der beiden größten deutschen impfkritischen Organisationen AEGIS Deutschland und EFI Deutschland (Eltern für Impfaufklärung) hervorgegangen. Über den Link der österreichischen Impfgegnergemeinschaft AEGIS wiederum gelangte man zu Klagemauer TV, einem deutschsprachigen Online-Video-Angebot aus dem Umfeld der sektenähnlichen Vereinigung von Ivo Sasek aus der Schweiz. Auf Nachfrage von MedWatch, warum „Ärzte für eine individuelle Impfentscheidung" bei so einem Umfeld für die Berliner Demo werbe, verwies Steffen Rabe aus dem Vereinsvorstand auf eine Erklärung, in der man sich klar von derartigen Inhalten distanziere.

„Obwohl viele der Positionen und Aussagen der von den Veranstaltern zur weiteren Information und Lektüre empfohlenen Internetseiten und Verbände nicht mit unseren Auffassungen übereinstimmen, ihnen z.T. widersprechen, und dies voraussichtlich auch für die Beiträge einiger Rednerinnen und Redner dieser Demonstration gelten wird, halten wir in der aktuellen politischen Situation deutliche zivilgesellschaftliche Signale wie unsere Petition oder die jetzt geplante Demonstration für geboten und hochnotwendig.

Aber:

„Die nach Aussagen der Veranstalter primäre Botschaft aller Rednerinnen und Redner gegen eine Impfpflicht in Deutschland unterstützen wir uneingeschränkt."

Man mache daher auf diese Demo aufmerksam, und zeige, wo Interessierte außerhalb des eigenen Webangebotes und Verantwortungsbereichs Informationen finden, schreibt Rabe.

Am Samstagmittag ist der Hinweis auf die Protestaktion bereits kurz nach Start der Demo von der Website der „Ärzte für eine individuelle Impfentscheidung " verschwunden. Laut einer Sprecherin, weil die Veranstaltung ja nun beendet sei.

Fotos: Felix Huesmann und Nicola Kuhrt

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