Heute werden Bierliebhaber weltweit den 500sten Geburtstag des Reinheitsgebots feiern. Höchste Zeit es zu begraben, finden immer mehr Kritiker.
Dabei muss Craft Beer per se gar nicht gegen das Reinheitsgebot verstoßen. In der 1516 erlassenen bayrischen Landesverordnung bestimmte Herzog Wilhelm IV, dass „allein Gersten, Hopfen und Wasser verwendet und gebraucht werden sollen." Vorausgegangen waren diesem Erlass Beschwerden über schlechtes Bier, da gewiefte Brauer mit billigerem Bilsenkraut, Tollkirschen oder Sumpfporst ihre Produktionskosten senken wollten. Dass das älteste Lebensmittelgesetz der Welt noch heute besteht, geht vor allem auf bayrischen Druck zurück. 1918 machte das Königreich sein Verbleiben in der Weimarer Republik unter anderem von der Erhaltung des Reinheitsgebots abhängig. Und im vorläufigen Biergesetz der Bundesrepublik ließen sie lediglich Hefe als weiteren Rohstoff zu.
Droht der deutschen Bierkultur durch die neue Craft-Beer-Szene also ein Rückfall ins Mittelalter?
Überhaupt nicht, findet Thorsten Schoppe. Auf dem Craft-Beer-Festival schenkt auch er mit seinem zwölfprozentigen Vanilla Stout nicht das klassische gutbürgerliche Bier aus. „Da ist eine Menge Röstmalz drin und echte Vanilleschoten. Außerdem hat es diesen kaffeeartigen, leicht lakritzigen Charakter", erklärt Schoppe, als sei er nicht Brauer, sondern Sommelier. Dem Reinheitsgebot entspricht dieses Bier jedenfalls nicht. Das stört den Gesetzgeber aber in keinster Weise - dank der Ausnahmegenehmigung des Veterinärsamts.
Als Revolutionär sieht sich Schoppe nicht: „Ich geh nicht rum, missioniere Leute und sag denen, sie sollen mein Bier trinken, weil alle anderen scheiße schmecken." Der Mann mit dem Pferdeschwanz und muskelbepackten Oberarmen gilt in der Szene als Legende. Craft-Beer-Kenner grüßen ihn ehrfürchtig, während Nachwuchsbrauer für einen guten Rat Schlange stehen. Nach der Ausbildung in einer Braunschweiger Großbrauerei und einem Brauereistudium begann er bereits 2001, in seiner Kreuzberger Gasthausbrauerei an Bierkreationen zu tüfteln. Damals wurde das zwar noch nicht Craft Beer genannt, doch die Prinzipien sind geblieben: Unabhängigkeit von Großbrauereien, geringe Produktionsmengen und das Augenmerk auf die Braukunst als Handwerk.
Das Jubiläum ist für ihn kein Grund zum Feiern. Die Gesetzeslage um das Reinheitsgebot erschwert den Mikrobrauern nämlich den Verkauf ihrer Produkte. Zwar gibt es eine Sonderregelung für Gasthausbrauereien, wonach sie im Hause brauen und verkaufen dürfen, was sie wollen. „Doch sobald ich mein Bier in den Handel bringen möchte, brauche ich eine Ausnahmegenehmigung von der Lebensmittelaufsichtsbehörde", beklagt Schoppe. Die bürokratische Prozedur empfinden die Craftbrewer aus mehreren Gründen als benachteiligend. Weil die Produktionsmengen bei ihnen viel geringer sind als bei Großbrauereien, müssen sie trotz weniger Personal häufiger den Behördengang antreten. „Teilweise sprechen wir da von Chargen um die 500 Liter", sagt Schoppe. Er muss darauf vertrauen, dass ihm immer wieder eine Ausnahmegenehmigung bewilligt wird. Wegen dieser Rechtsunsicherheit hoffen er und seine Kollegen nach dem Jubiläumshype auf Reformen, damit das älteste Lebensmittelgesetz der Welt modifiziert wird.
700 Kilometer weiter südlich bekennt sich der Geschäftsführer der Allgäuer Brauerei Meckatzer Löwenbräu, Michael Weiß, erwartungsgemäß zum Reinheitsgebot: „Ich bin ein hundertprozentiger Verfechter von dem, was man innerhalb des Reinheitsgebots an ungeahnter Vielfalt brauen kann." Sein Familienunternehmen führt Weiß bereits in vierter Generation, die Brauerei Meckatzer existiert sogar seit 278 Jahren.
Trotz der Konkurrenz im Epizentrum der deutschen Braukunst, ist die Brauerei im Alpenvorland über die Jahrzehnte stetig gewachsen. Gut 170.000 Hektoliter brauen die 110 Mitarbeiter jährlich. Sie setzen dabei auf Qualitätszutaten und langwierige Brau- und Lagerverfahren. „Was wir hier machen, ist eigentlich Craftbrewing at its best", sagt Weiß schmunzelnd und steht auch deshalb der neuen Bierbewegung offen gegenüber. „Ich bin eigentlich verdammt froh, dass sich da jetzt etwas entwickelt und das Bewusstsein für die Qualität des Bieres nach oben treibt", sagt der langjährige Präsident des einflussreichen bayrischen Brauerbunds erfreut. Er ärgere sich schon seit Jahren über billig produzierte Industriebiere - trotz Reinheitsgebot. Weiß schwebt daher eine strengere Regelung vor, die nicht nur die Zutatenauswahl, sondern auch die Produktionsschritte umfasst. Dafür wäre er bereit, der Craft-Beer-Szene entgegenzukommen. „Für Reis, Mais oder gewisse Gewürze als Brau-Rohstoffe wäre ich offen", so der Allgäuer, „wenn dadurch im Gegenzug das Reinheitsgebot wieder zu einem richtigen Gütesiegel wird."
Mit dieser Lösung könnte auch Thorsten Schoppe leben. „Ich möchte einfach Rechtssicherheit für mein Unternehmen", sagt der 44-jährige, der sich über die wachsende Craft-Beer-Szene freut. Allein in Berlin und Brandenburg hat sich die Zahl der Brauereien seit dem Jahr 2000 auf 62 verdoppelt. Zusammen mit den Jungbrauern hofft Schoppe etwas Druck auf die etablierten Großbrauereien und die alten Regularien ausüben zu können. Das Reinheitsgebot sei schließlich kein unumstößliches 11. Gebot. Wer weiß, vielleicht wird bereits auf den 501sten Geburtstag nicht mehr mit normalem Pils, sondern mit einem Creme Brulee Stout angestoßen.
von Felix Hackenbruch
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