Neulich war ich bei meinem Opa in Stuttgart. Opa wird bald 87. Seit ein paar Monaten macht ihn die Flüchtlingsfrage besonders ratlos. "Wo soll das denn hinführen?", fragt er, der selbst Krieg erlebt hat, dann. "Wir können doch nicht alle aufnehmen." Stimmt. Aber denen, die da sind, können wir zumindest mit weniger Vorurteilen begegnen und helfen, hier anzukommen.
An Hauptbahnhöfen begrüßen meine Freunde Flüchtlingsfamilien nach ihrer anstrengenden und gefährlichen Reise mit Applaus, stecken den Kindern Süßigkeiten zu, helfen ehrenamtlich bei der Erstversorgung und nehmen Flüchtlinge bei sich zu Hause auf: Julian organisiert Helfer in Wien, Jule Schlafplätze in Berlin und Caroline Abendessen ohne Schweinefleisch. Auch in den Medien herrscht eine Stimmung, die mich das erste Mal stolz werden lässt - stolz auf die Hilfsbereitschaft in diesem Land.
Wir sind entschieden, uns Rassisten wie in Heidenau, Freital und Facebook-Kommentaren entgegenzustellen. "Willkommenskultur" wurde in den vergangenen Wochen zu einem geflügelten Wort. Die Bundeskanzlerin, die kurz vorher noch dem Flüchtlingsmädchen Reem keinen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland versprechen wollte, war plötzlich Flüchtlingskanzlerin.
Die Flüchtlinge, das ist meine Generation.
Dann schlug die Stimmung wieder um, über Nacht wurden Grenzkontrollen zwischen Österreich und Deutschland eingeführt, die Bundesregierung verschärft das Asylrecht. Statt Willkommenskultur gibt es plötzlich wieder Bedenken, inwiefern Deutschland die große Anzahl an Flüchtlingen verkraften kann, wie sie am besten integriert und für den Arbeitsmarkt fit gemacht werden können. Es heißt jetzt: Jahrhundertaufgabe. Ein großer Teil der Menschen, die jetzt nach Deutschland kommen, sind in meinem Alter oder noch jünger. Vielleicht sollte ich mir deswegen mehr Gedanken machen als mein Opa. Die Flüchtlinge, das ist meine Generation. Wir sind mit dafür verantwortlich, dass diese Jahrhundertaufgabe gelingt.
Eine Freundin von mir ist gerade von ihrer Weltreise zurückgekehrt. Sie erinnert sich nicht nur an Sand zwischen ihren Zehen und das Rauschen der Wellen, sondern auch an die junge Frau, die verängstigt am Straßenrand den Daumen herausstreckte, um ihrem gewalttätigen Ehemann zu entkommen, an das blutig geschlagene Straßenkind und an den kleinen Jungen, dem sie Reis und Kaffee für seine Großmutter gekauft hat. Auf Facebook schreibt sie: "Jetzt gehe ich zurück nach Deutschland. Ich habe mit meiner Kreditkarte dafür gezahlt, während andere mit ihrem Leben bezahlen. Ich schäme mich, dass ich 24 Jahre dafür gebraucht habe, um zu verstehen, was für ein Glück ich habe, und dass mein europäischer Pass einfach nur beweist, dass ich in einer riesigen Gen-Lotterie gewonnen habe."
Das sollten wir nie vergessen.