Von Fabienne Kinzelmann
Läuft alles wie geplant, ist es schon im Juni soweit: Der Break Even, die Gewinnschwelle, soll für Markus Bönig dann erreicht sein. Der Gründer des Start-ups Vitabook könnte dann zu Recht stolz sein - denn sein Unternehmen ist erst im Februar online gegangen. Vitabook ermöglicht es Patienten, ihre eigene digitale Krankenakte zu führen, Ärzten Zugriff auf andere Unterlagen zu gewähren, Medikamente vorzubestellen und Arzttermine online zu vereinbaren. Für den Patienten ist Vitabook kostenlos, das Start-up finanziert sich über Partnerschaften mit Apotheken.
Dem 40-jährigen Diplomkaufmann geht es vor allem um das Wohl der Patienten. Unerwünschte Wechselwirkungen von Medikamenten, die jährlich viele tausend Menschen ins Krankenhaus oder sogar ins Heim bringen, will Vitabook durch die transparente Aktenführung leichter verhindern. Sein soziales Unternehmertum ermöglichte Markus Bönig auch die nötige Anschubfinanzierung: Neben der Kfw beteiligte sich auch der Social Venture Fund an Vitabook. Insgesamt eine Million Euro sammelte Vitabook von beiden Investoren ein. Ein weiterer ethischer Investor: die 7×7 Unternehmensgruppe aus Bonn.
Medizinische Innovation wird gefördertDass die Gesundheitsbranche sich verändern muss, hat inzwischen auch die Politik erkannt. Mit dem geplanten eHealth-Gesetz, das Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe noch in diesem Jahr durchsetzen will, sollen nicht nur medizinische Anwendungen über die Gesundheitskarte ermöglicht, sondern auch weitere Gelder für medizinische Innovationen bereitgestellt werden.
Der Bundesverband Internetmedizin (BiM) fordert im geplanten Gesetz auch einen eindeutigen Bezug zum vorgesehenen Innovationsfonds mit jährlich verfügbaren 300 Millionen Euro. „Der Innovationsfonds ist eine große Chance für das deutsche Gesundheitssystem, internetmedizinische Versorgungsangebote weiterzuentwickeln, Sektorengrenzen zu überwinden und neue Versorgungsformen über die bestehende Regelversorgung weiterzuenwickeln", sagte BiM-Vorstand Markus Müschenich bei einer Anhörung des Gesundheitsministeriums zum Referentenentwurf des eHealth-Gesetzes Ende Februar.
Doch nicht erst mit dem Gesetz wird sich die Gesundheitsbranche wandeln. Schon jetzt zeigen Start-ups, wie der Weg aussehen könnte. Neben Vitabook sammeln sich im Bundesverband Internetmedizin weitere Gründungen, die das Gesundheitswesen verändern könnten. Erfolgsversprechend sind vor allem simple Anwendungen wie beispielsweise eine App, mit der man Muttermale fotografieren und per Ferndiagnose auf Hautkrebs prüfen lassen kann, aber auch Premium-Produkte. Mit dem mobilen EKG von Cardiogo sollen Vielreisende wie beispielsweise Manager angesprochen werden – ein Service, der knapp 200 Euro im Monat kostet.
Dass sich etwas ändern muss in der bisherigen Versorgung im Gesundheitsbereich, davon war auch Diplom-Kaufmann Bönig überzeugt. Der 40-Jährige forschte ein Jahr lang zu unerwünschten Wechselwirkungen von Medikamenten, bevor er beschloss, selbst Abhilfe zu schaffen. „Wir haben 300.000 Krankenhausaufenthalte im Jahr aufgrund der Wechselwirkungen“, sagt Bönig. Er ist sicher: Ein Viertel aller Heimeintritte ließe sich verhindern, wenn alle Akteure – Patient, Ärzte und Apotheker – Einsicht in die komplette Krankenakte und Übersicht über alle verordneten Medikamente hätten.
Nutzen sinnvoll, aber Patient zu faul
Statt einer Dissertation entwickelte Bönig ein Geschäftsmodell. Vor vier Jahren brachte er sein erstes Unternehmen an den Start: Ordermed setzte auf schnellere Medikamentenbestellung. Auch eine „Medikationskarte“ brachte Ordermed auf den Markt, auf der der Patient genau dokukmentieren sollte, was er wann wie eingenommen hat. Doch diese erwies sich nicht als praktikabel: Die Diskrepanz zwischen der von Nutzern durchaus aus sinnvoll eingestuften Karte und der persönlichen Faulheit war zu groß. Am Ende sei die Karte „nicht handlungsauslösend“ gewesen, so Bönig.
Trotzdem machten rund 500 Partneraphotheken und 40.000 Patienten bei Ordermed mit, 300.000 Medikamentenpackungen wurden über das Start-up abgewickelt. Der Erfolg zog aber auch Klagen nach sich, rund 21 juristische Auseinandersetzungen wegen Datenschutz und vermeintlicher Wettbewerbsverzerrung musste das junge Unternehmen bewältigen.
Dann fällte der Bundesgerichtshof (BGH) im November 2014 ein Urteil, dass sich als richtungsweisend für Bönig erwies: Ein Mediziner klagte gegen eine schlechte Bewertung auf der Arztempfehlungsplattform „Jameda“ – und verlor. Der BGH entschied, dass die Plattform-Interessen über der des Arztes stehen. Ein Urteil, dass sich Vitabook zu Nutzen machte.
Denn das BGH-Urteil versperrt Ärtzen und Apothekern im Prinzip die Möglichkeit, gegen ihre Listung bei Vitabook zu klagen. Deswegen musste das Start-up nicht alle Praxen und Apotheken einzeln fragen, ob sie dabei sein wollen, sondern konnte die Daten ohne Zustimmung in sein System übernehmen. „Wir haben Adressdaten gekauft und einfach das gesamte ambulante Gesundheitswesen in Vitabook eingepflegt“, sagt Markus Bönig. Im Zuge dessen wurde auch Ordermed in Vitabook integriert.
Das Fax-Gerät als Helfer der Innovation
Zentral für Bönig ist bei seinem Start-up die Arzt-Patientenbeziehung. Das, ist er sicher, sei das, was der Patient wirklich wolle und was im Zentrum des Unternehmens stehen müsse. Zu Eigen macht sich Vitabook deshalb ein System, das in allen deutschen Arztpraxen vorhanden ist und nicht erst aufwendig installiert werden muss: das Fax-Gerät. Wer über Vitabook einen Arzttermin vereinbaren will, sendet also im Grunde ein Fax an die Arztpraxis – mit Bitte um Bestätigung oder Absprache per Mail oder Telefon. Was immer man dem Arzt mitteilen möchte, ist auf diesem Weg ebenfalls möglich.
Das Prinzip funktioniert aber auch andersrum: Der Arzt kann unter Angabe der Versichertendaten des Patienten einfach Unterlagen in dessen Vitabook-Account hochladen, der Patient kann ihm außerdem mit Hilfe einer PIN Zugriff auf andere Unterlagen gewähren. Damit Vitabook den Patienten und Ärzten die Nutzung kostenlos anbieten kann, setzt das Unternehmen auf einen zahlungswilligeren Akteur: Apotheken. Zwar sind alle Apotheken automatisch integriert, doch sie können sich als sogenannte „Partnerapotheken“ registrieren lassen. Dadurch werden sie zum Beispiel im System höher gerankt – gegen Geld.
Bönig ist überzeugt, dass die Unternehmen in allen Preisklassen ihre Nutzer finden werden. Vitabook übernahm die Nutzer vom Vorgänger-Unternehmen Ordermed, monatlich kommen bis zu 5000 neue Anmeldungen hinzu. „Wo auch immer ich stehe, meine Krankenunterlagen für Dritte zugänglich machen: Vitabook kann im Prinzip jetzt schon das, was Gröhe mit dem neuen eHealth-Gesetz will“, sagt Bönig.
Der Patient muss Chef seiner Daten sein
Die größten Kritiker solcher Systeme sind in der Regel die Ärzte – der Deutsche Ärztetag hatte sich schon mehrfach erfolgreich gegen eine Elektronische Gesundheitskarte gewehrt, bevor sie 2011 eingeführt wurde. Die Aktion „Stoppt die E-Card“ beispielsweise zählte etliche Ärztegenossenschaften zu ihren Unterstützern. Ein Hauptaspekt der Kritik: der Datenschutz. Wenn Daten zentral gespeichert werden und irgendwann in die falschen Hände gelangen – beispielsweise in die des Arbeitgebers –, könne das negative Konsequenzen für den Patienten haben, so die Sorge der Gegner.
Zum Original