"Ach Mist, 's tropft!" Peter Maile, 53, greift zur Rohrzange, stellt das Maul ein und dreht eine Muffe zwischen zwei Rohren fest. Unterwegs auf der Großbaustelle Stuttgart 21: Der Mann in Arbeiterkluft weiß, was zu tun ist, wenn "der Hahne wackelt". Der Wasserkran tropft nicht mehr. Er steckt die Zange weg, denn sein Job ist eigentlich ein anderer: Maile ist Seelsorger für alle, die auf Deutschlands größter Bahn-Baustelle arbeiten. Vor seiner Weihe zum Diakon war er Heizungsinstallateur.
Vor genau vier Jahren begannen hier am Hauptbahnhof die Proteste, Monate später zielte die Polizei mit Wasserwerfern auf Demonstranten. Das war vor Mailes Zeit. Er ist erst seit zwei Jahren dabei und sagt: "Politik interessiert mich nicht. In der Bibel steht nichts über Stuttgart 21, aber viel über Gerechtigkeit. Ich kümmere mich um die Menschen."
Das sind rund 2000 Tunnelbauer, Ingenieure, Baggerfahrer, Kaufmänner, Kranführer - alle, die auf den 14 Baustellen zwischen Innenstadt und Schwäbischer Alb arbeiten. Heute ist Maile im Fildertunnel, der zum Flughafen führt. Laut ist es hier unten: Ein Bagger bricht Gestein heraus, ein Radlader transportiert es ab, Spritzbüffel tragen Beton auf. Maile ist schon seit 6 Uhr unterwegs. "Ich will mich nicht von den Arbeitern unterscheiden", sagt er.
Mit seinem knallorangenen Schutzanzug, dem gelben Helm und den schweren Sicherheitsstiefeln sieht er selbst aus wie ein Betongießer, Elektriker oder Schlosser. Aber nur er hat für jede Baustelle einen Ausweis. Damit er schnell helfen kann, wenn es irgendwo hakt: Gibt es Ärger mit Kollegen? Hat jemand Angst um seinen Job, liegt vielleicht ein Arbeiter krank im Wohncontainer? Dann kauft Maile eine Genesungskarte, alle Kollegen unterschreiben.
"Viele sind ausgebrannt und unglaublich einsam"
Hier unten, wo die Sonne niemals scheint, treiben vor allem Wanderarbeiter aus Süd- und Osteuropa Tunnel in den Berg. Zehn Tage am Stück, zwölf Stunden täglich. Dann vier Tage frei, bis es wieder runtergeht ins künstliche Licht, mit Staubmasken vorm Gesicht und Stöpseln in den Ohren. Viel gesprochen wird nicht. Aber manchmal bricht es aus einem Arbeiter heraus. Frühstückspause. Ein Betonbauer drückt seine Zigarette aus, geht auf Maile zu, stammelt: "Meine Frau hat Multiple Sklerose." Maile hört erst mal zu.
Oft scheitert ein Gespräch an der Verständigung mit polnischen Tunnelbauern, türkischen Eisenbiegern oder ungarischen Lkw-Fahrern. Dann bleibt zunächst nur eins: mit anpacken und schweigen. Das schafft Vertrauen, schweißt zusammen. Deswegen hat der Seelsorger am Morgen zusammen mit einem Arbeiter Bodenplatten verschraubt. Später wird er einen ehrenamtlichen Dolmetscher in einer Kirchengemeinde suchen.
Maile ist Gottesmann und Kumpel. "Manche fragen mich nur, wo der nächste Puff ist. Da kann und will ich nicht helfen. Ich sage nur: Denkt an eure Frauen", erzählt er ernst. "Viele Männer sind ausgebrannt, unglaublich einsam." Nach der Schicht gehen die Arbeiter in Wohncontainer, wo niemand auf sie wartet - keine Familie, keine Freunde.
"Ich bin eine Mischung aus Betriebsrat, Freizeitanimateur, Seelsorger und Kollege", beschreibt Diakon Maile seinen Beruf. Als die katholische Kirche vor zwei Jahren den Job ausschrieb, stand in der Anzeige, es gebe in ganz Deutschland keine vergleichbare Stelle. Heute ist Maile bei Muslimen und Christen nur "der Peter" - der Grillfeste und Stadtführungen organisiert und sauer wird, wenn jemand sich nicht an Absprachen hält.
Arbeiten, zuhören, reden
"Der Peter" hört zu, wenn eine Beziehung zerbricht, verhandelt mit Chefs über Lohn, vermittelt bei zu vielen Überstunden. Gelernt hat er das alles vom Leben: Maile machte nach der Schule eine Heizungsbauerlehre, arbeitete dann als Heimerzieher, kümmerte sich lange um Obdachlose, saß auch im Vorstand der Landesarbeitsgemeinschaft Hospiz. Vor 18 Jahren wurde der Familienvater zum Diakon geweiht: "Damals verunglückte bei uns in der Fabrik ein Kollege. Da dachte ich, du musst deinem Leben einen Sinn geben."
Das hat ihn stark gemacht. Einmal brach ein Baggerfahrer mit einem Herzinfarkt in seiner Unterkunft zusammen. Der Projektleiter rief verzweifelt Maile an. Der Seelsorger buchte ein Hotelzimmer für die Witwe und suchte ein Bestattungsunternehmen. Und als die Frau spätabends kam, begleitete Maile sie in die Leichenhalle. Der Tote lag in einem Notsarg, schlicht, aber würdevoll.
Im Fildertunnel bohrt gerade eine riesige Maschine zwei Röhren ins Gestein. Vier Kilometer sind schon geschafft, am Ende werden sie je 9468 Meter lang sein. Maile grüßt die Arbeiter mit Namen, erkundigt sich nach ihren Familien, überbringt Grüße von Kollegen. Immer wenn eine neue Etappe beginnt, lädt der Diakon zur Anschlagsfeier ein. Ist ein Ziel erreicht, gibt es einen "Durchschlagsgottesdienst".
Dann zieht der Malocher Maile seine Kluft aus und der Gottesmann Maile sein Kirchengewand mit Stola an. Er betet für die Bauarbeiter, die sich hier unten verletzt haben, und bittet die Heilige Barbara um Schutz. Die Patronin der Bergleute und Sprengmeister ist die einzige Frau, die die Männer hier unten akzeptieren. Viele sind davon überzeugt, dass Frauen Unglück bringen. Aberglaube gehört zur Arbeit. Aber die gesegnete Statue an jedem Tunneleingang, die bedeutet Glück. Die darf bleiben.