Fabienne Kinzelmann

Redaktorin Internationale Wirtschaft, Zürich

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Kommt ein Tierarzt geflogen

Steffen Kappelmann stand im Stau, als er endlich ankam, war die Kuh schon tot. Seine Konsequenz: Er kaufte sich einen ultraleichten Tragschrauber und ist damit Deutschlands einziger fliegender Tierarzt. Aber noch darf er nicht überall landen.

Steffen Kappelmann zieht die Plastikplane von den Rotorblättern, dann schlüpft er in einen winddichten Overall, setzt Helm und Brille auf und rollt in seinem weinroten Ultraleichtflieger auf den Acker. Gerade mal fünf Minuten dauert es, dann ist Kappelmann in der Luft. Er zieht den Tragschrauber hoch und dreht ein paar gemütliche Runden über die Felder. "Macht Spaß, oder?", fragt der 41-jährige und legt sich in die Kurve, über ihm surren die Rotorblätter mit dem Wind. Unten bleiben Spaziergänger und Jogger stehen und schauen neugierig dem ungewöhnlichen Fluggerät nach, auf dem in dicken weißen Lettern "Tierarzt" prangt.

Veterinär Steffen Kappelmann hat sich auf Rindvieh spezialisiert und betreut Höfe im Umkreis von 30 Kilometern. Seine Praxis liegt bei Stuttgart, der Stauhauptstadt Deutschlands. Da ist es oft praktisch, wenn Kappelmann auf den Tragschrauber zurückgreifen kann: Wenn er zu spät kommt, kann das Tiere das Leben kosten.

Genau das passierte vor knapp zehn Jahren. Gerade impfte er Pferde, als ihn ein Notruf erreichte. Eine Schwergeburt, ob er schnell kommen könne? Kappelmann klemmte sich hinters Steuer, doch als er nach über einer Stunde mit seinem Auto auf dem 30 Kilometer entfernten Hof eintraf, war das Kalb bereits tot. "Danach habe ich immer wieder durchgerechnet, wie viel mich das Fliegen kosten würde", erinnert sich Kappelmann. Seine Frau hielt ihn für verrückt, als er anfing, sich jede freie Minute mit Hubschraubermodellen und Kostenkalkulationen zu beschäftigen.

Heute ist ist Kappelmann laut Bundesverband praktizierender Tierärzte der einzige "fliegende Tierarzt" Deutschlands. Seit 2009 besitzt Steffen Kappelmann die Privatpilotenlizenz für Hubschrauber, gut 25.000 Euro hat ihn die Ausbildung gekostet. Den gebrauchten Zweisitzer - 260 Kilogramm leicht, 100 PS, Vier-Zylinder - übernahm er für 46.000 Euro. Das Sportgerät ähnelt einem Hubschrauber, der Rotor eines Tragschraubers dreht sich jedoch frei im Fahrtwind. Ungefähr alle zwei Wochen fliegt Kappelmann damit eine größere Runde auf die entlegenen Höfe, eine Autostunde legt er damit in nur 20 Minuten zurück.

"Da fliegt grade was am Küchenfenster vorbei"

Unter seinen Kunden war er anfangs eine Attraktion. "Als ich das erste Mal auf einem Hof gelandet bin, stand die ganze Bauernfamilie zum Gucken da", sagt Kappelmann. Ein anderes Mal lief die Oma von Hofbesitzern ganz aufgeregt nach draußen - da sei eben etwas am Küchenfenster vorbeigeflogen.

Steffen Kappelmann liebt das Fliegen, im letzten Jahr ist er mit seinem Tragschrauber sogar bis nach Kiel geflogen. Seine Frau - ebenfalls Tierärztin - akzeptiert sein Hobby mittlerweile, nur die beiden Kinder dürfen aus Sicherheitsgründen nicht mit dem Papa in die Luft. Kappelmann fliegt bewusst nicht täglich, das Gesetz erlaubt ihm maximal 50 Flüge im Jahr. Und weil er nur die Privatpilotenlizenz besitzt, darf der Tierarzt nicht überall starten und landen.

50 Meter braucht er ungefähr als Startstrecke, zehn Meter als Landerollstrecke. Die Bauern müssen ihm eine solches Flurstück freigeben, außerdem muss das zuständige Regierungspräsidium zustimmen. Nur für 27 Höfe hat Kappelmann bislang die Erlaubnis. Sollten sich Anwohner beschweren, kann ihm diese auch jederzeit entzogen werden. Auch deshalb will Kappelmann bald die Berufspilotenlizenz erwerben: "Dann kann ich mir selbst raussuchen, was ich zum Starten und Landen für geeignet halte."

"Da isch heut Morgen was über dich im Radio gewesen, gell?"

Im Winter ist es oft zu kalt und dunstig zum Fliegen. Dann nimmt Kappelmann lieber das Auto, um die Höfe zu besuchen, so auch diesmal. "Da isch doch heut Morgen was über dich im Radio gewesen, gell?", begrüßt ihn eine Bäuerin in breitem Schwäbisch, bevor es zu den Patienten geht. Steffen Kappelmann zieht sich einen Plastikschutz bis über die Schulter, bevor er die Kühe mit einem Ultraschallgerät rektal untersucht. Auf dem nächsten Hof stehen Besamungen an. Dafür entnimmt Kappelmann vorbereitete Spermaröhrchen aus einem Behälter mit flüssigem Stickstoff und steckt sie sich nach dem Auftauen in die Stiefel und den Kragen, "damit sie warm bleiben". In seinem Berufsalltag kann eben nicht alles so lässig und glamourös sein wie das Fliegen.

KarriereSPIEGEL-Autorin Fabienne Kinzelmann (Jahrgang 1992) studiert in Dresden Philosophie und Katholische Theologie im interdisziplinären Kontext und arbeitet neben ihrem Studium als freie Journalistin.

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