Fabienne Kinzelmann

Redaktorin Internationale Wirtschaft, Zürich

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Artikel

Er gehört zu ihr

Hannes und Claudia lernen sich beim Fasching kennen, fünf Jahre später heiraten sie. Zu diesem Zeitpunkt schlafen sie längst nicht mehr miteinander: Claudia möchte nicht. Es dauert, bis sie herausfindet, warum sie keine Lust verspürt: Sie möchte ein Mann sein. Hannes bleibt an ihrer Seite.


Manchmal fragt sich Hannes, ob er es hätte wissen können. Vielleicht, als Claudia anfing, öfter seine Pullover zu tragen als ihre eigenen. Sie kleidet sich männlich, Make-up oder hohe Schuhe sind an ihr nie zu sehen. Wer denn der junge Mann an seiner Seite gewesen sei, wurde er mal von einem Kollegen gefragt. Gefallen hat Hannes das nicht. Klar, sagt er, wäre er lieber für die hübsche Frau an seiner Seite bewundert worden.

Hannes, heute 34, lernt die vier Jahre jüngere Claudia 2003 in Zittau kennen. Er hat sein BWL-Studium abgebrochen, studiert Wirtschaftsmathematik, sie Wirtschaftsingenieurwesen. Beim Hallenfasching eines Studentenvereins sieht er sie in ihren Armeehosen mit den aufgesetzten Seitentaschen. Nicht sein Typ Frau eigentlich, aber dafür mag er ihren Humor. Stark wirkt sie, das imponiert ihm. In den Wochen danach ist Hannes oft in Claudias WG. Er, der bunte Hund im städtischen Kneipenleben, der das Studium innerlich schon begraben hat. Und sie, die Organisierte.

Hannes heult sich bei ihr über seine Ex-Freundin aus und gibt Claudia Nachhilfe in Statistik. Als er sein Studium endgültig für gescheitert erklärt, ist aus dem anfänglichen Geplänkel längst eine feste Beziehung geworden. "Den Partner fürs Leben an der Uni zu finden reichte auch", erzählt Hannes heute.

Er wollte Kinder, sie nicht

Der Pfarrer, der Hannes schon getauft und konfirmiert hat, traut ihn und Claudia 2008. Beim Vorgespräch bittet Claudia darum, einen Teil im Trauritus auszulassen: Künftige Kinder möchte sie nicht bejahen. Der Pfarrer schaut Hannes an. Ob sie sicher seien? Ja, hat Hannes gesagt. Gemeint hat er: Wir einigen uns schon noch.

Hannes ist in einer kirchlich geprägten Familie aufgewachsen, christliche Werte haben immer eine Rolle gespielt. Er hat selbst viele Geschwister, und es kommt ihm wie ein Bruch eines unausgesprochenen Generationenvertrags vor, eigene Kinder auszuschließen.

Als sie heiraten, schlafen Hannes und Claudia schon nicht mehr miteinander. Das habe schon anderthalb Jahre nach Beginn der Beziehung einfach aufgehört, erinnert sich Hannes. Schade hätte er das gefunden. Denn es sei ja etwas sehr Schönes, mit einer Frau zu schlafen. An seinen Gefühlen für Claudia habe das nichts geändert.

Vor über zwei Jahren will Claudia selbst rausfinden, was mit ihr los ist. Sie vermutet, asexuell zu sein. Sie sucht eine Sexualtherapeutin auf. Hannes begleitet sie. Doch mit der Therapeutin kommen beide nicht zurecht. Claudia begreift langsam, warum sie sich in typisch weiblichen Klamotten unwohl fühlt, warum sie keine Erregung mehr verspürt, wenn Hannes sie streichelt.

Treue trotz Enthaltsamkeit

Als Hannes es vor rund drei Jahren erfährt, hat Claudia ungeheure Angst, dass er sich von ihr trennt. Die Frau, ein Transmann. Welcher Ehemann würde das ertragen?

Hannes bleibt. Wie es funktioniert, sagt Hannes, könne er niemandem erklären. Viele Monate braucht er, um zu realisieren, was Claudias Coming-out bedeutet. Was bedeutet es für mich als Mann, einen Mann zur Frau zu haben? Was bedeutet es für meinen Umgang mit Claudia, dass sie sich als Mann fühlt? Was kommt auf uns zu?

Auch wenn es ihm nicht immer leicht fällt, seine Frau als Mann zu sehen, versucht er, sie zu unterstützen. Seine Kleidung verschwindet ohnehin schon schnell in Claudias Schrank. Er kauft ihr Boxershorts. Das Bild von einer sehr weiblichen Claudia im Hochzeitskleid verschwindet aus dem Wohnzimmer. Den Platz neben seinem Foto schmückt nun ein Stofftier-Eberkopf.

Und der Sex? Fehlt der nicht? "Ich partizipiere wunderbar an der Porno-Industrie", sagt Hannes und lacht verschmitzt. Er liebt Claudia, trotzdem sieht er sich als heterosexuell. Claudia habe ihm auch angeboten, er dürfe mit einer Frau schlafen, wenn er das möchte. Der Sex mit ihr fehlt ihm, aber es ändert nichts daran, dass er in Claudia den Menschen sieht, mit dem er sein Leben verbringen will. Mit jemand anderem zu schlafen, kommt darum erst einmal nicht in Frage. "Irgendwann mal vielleicht", sagt Hannes. Es klingt, als habe er auch Angst, dass das die Situation eher verkomplizieren könnte als erleichtern.

"Du bist kein Kerl"

Hannes und Claudia reden viel miteinander, geben sich gegenseitig Rückhalt. Claudia ist durch Hannes auch zum Glauben gekommen, mittlerweile promoviert sie in Theologie. In einem Gegensatz stünden der christliche Glaube und die Transsexualität nicht, findet Hannes.

Seit Anfang des Jahres outet sich Claudia nach und nach im Freundeskreis. Die Reaktionen: neugierig und anerkennend. Das bestärkt Hannes, sich richtig entschieden zu haben. In guten wie in schlechten Zeiten - das gilt für die Ehe, und Hannes hat das Credo verinnerlicht. Er ticke oft willkürlich, was die Ehe angehe jedoch dogmatisch, sagt er von sich selbst.

Auf einer Feier hat er sich einmal versehentlich im Ton vergriffen. Sie wollte nicht, dass er noch ein Bier trinkt. "Du bist kein Kerl, du verstehst das nicht", hat er patzig geantwortet. Das hat Claudia verletzt. Hannes schwor sich, das nie wieder zu tun. Er will lernen, sie voll und ganz als Mann zu sehen.



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