Fabian Peltsch

Journalist, Sinologe, Berlin/ Beijing

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Artikel

Modellsoldat für die neue Ära

Kaum eine Propagandakampagne hat die Zeiten so standhaft überdauert wie jene von Lei Feng. 60 Jahre nach dem Tod des hilfsbereiten Modellsoldaten will Chinas Staatschef Xi Jinping dessen Stern heller denn je leuchten lassen. Die jungen Chinesen lässt das ziemlich kalt.

Im März vor 60 Jahren sprach Mao Zedong einen jungen Chinesen in der Staatszeitung People’s Daily heilig. Das Volk, so Mao, müsse fortan von „Genosse Lei Feng lernen“, der als junger Traktorfahrer und Soldat der Volksbefreiungsarmee ein knappes Jahr zuvor von einem Telefonmast erschlagen worden war. Lei Fengs Selbstlosigkeit gegenüber seinen Genossen und sein revolutionärer Geist seien vorbildlich gewesen, erklärte Mao. Die Tagebücher des 22-Jährigen, die posthum veröffentlicht wurden, erklärte die Partei bald darauf zur Pflichtlektüre. Die von Mao gefeierte Aufopferungsbereitschaft Lei Fengs spiegelt sich dort in Sätzen wider wie diesem: „Ich habe nur einen Wunsch in meinem Herzen. Ich will mich mit ganzem Herzen der Partei, dem Sozialismus und dem Kommunismus widmen.“

Auch Fotos aus dem Leben des Modellsoldaten kamen in Umlauf. Dort sah man den Waisenjungen zum Beispiel, wie er in einer Arbeitspause im perfekt ausgeleuchteten Führerhaus eines Lastwagens die Schriften Maos studiert. In einem Museum in Lei Fengs Wahlheimat Fushun kann man heute unter Glas seine Sandalen und seine Zahnbürste bestaunen.

Wie inszeniert: Lei Feng studiert mit offensichtlichem Genuss die Schriften Mao Zedongs.

Sinologen zweifeln jedoch, ob der junge Mann so wirklich existiert hat. Sagen dürfe man das in China jedoch bis heute nicht, erklärt Robert Weatherley, Politikwissenschaftler der Cambridge University, der sich intensiv mit Lei Fengs Rolle als Propagandainstrument auseinandergesetzt hat. „Die Menschen in China glauben, dass er existierte. Aber die meisten glauben nicht an den Inhalt seiner Tagebücher, weil sie wissen, dass sie höchstwahrscheinlich von der KPCh nach Leis Tod geschrieben wurden“, erklärt Weatherley China.Table.

Xi will Lei Feng neues Leben einhauchen

60 Jahre nach seinem angeblichen Ableben will die Partei ihrem altgedienten Role Model einmal mehr Leben einhauchen. Vor wenigen Wochen zitierten Chinas Staatsmedien Xi Jinping mit den Worten, es sei wichtiger denn je, Lei Feng „tief zu verstehen, damit sein Geist in der neuen Ära noch heller leuchtet“. Zum offiziellen „Lernen von Lei Feng-Tag“ (学雷锋纪念日) am 5. März erschien in China eine neue Briefmarkenserie mit seinem Konterfei. Ein neues Musical ist in Arbeit, das die Stationen seines kurzen Lebens einmal mehr Revue passieren lässt. In Shenzhen und der Inneren Mongolei gingen Lei-Feng-Busse auf die Straße, die mit seinen Bildern und Sprüchen ausgekleidet waren.

Flankiert wurde das Ganze von unzähligen Artikeln in den Staatsmedien. Diese porträtierten sogar einen in China lebenden Studenten aus Bangladesh, der eine „Lei Feng International Volunteer Association“ gegründet hatte, um den Lei Feng-Spirit „weltweit zu verbreiten“. Auch zahlreiche Schulen und Gemeinden zollten dem Modellsoldaten mit Feierlichkeiten und Wohltätigkeitsaktionen Tribut. In der Stadt Shangrao in Jiangxi schossen einige Schüler dabei übers Ziel hinaus, indem sie einen „roten Treuetanz“ im Aufzug der Roten Garden aufführten. Nicht nur älteren Chinesen dürften bei alldem ungute Erinnerungen hochgekommen sein.

Lei Feng-Kult: Seltsame Blüten

Mitunter treibt der Lei-Feng-Kult derweil eher seltsame Blüten: 2019 dekorierte eine Filiale der uramerikanischen Fastfood-Kette KFC in Lei Fengs Heimatstadt Changsha ihre Wände mit einem Best-Of aus dessen Leben, inklusive Tagebuchauszügen und Cartoon-Aufstellern. 2014 hatten Bilder eines jungen Lei-Feng-Fanatikers die Runde gemacht, der mehrere Schönheitsoperationen auf sich genommen hatte, um seinem Idol möglichst ähnlich zu sehen.

Doch wie konnte diese altbackene Propagandafigur überhaupt so lange überdauern? „Lei hat im Laufe der Jahre unzählige Comebacks erlebt“, sagt Weatherley, der gerade an einem Buch über Lei Fengs Einfluss arbeitet. „In der Regel kamen diese Comebacks dann, wenn die Zentralregierung das Gefühl hatte, dass das moralische Gefüge der chinesischen Gesellschaft im Niedergang begriffen ist und einen ’sozialistischen, altruistischen‘ Impuls benötigt.“

Kampagnen als moralische Stütze für ein brüchiges Gefüge

Die erste Lei-Feng-Kampagne begann denn auch, als sich China von Maos desaströsem „Großen Sprung nach Vorn“ und der daraus resultierenden Hungersnot erholen musste. Und auch kurz nach den Tiananmen-Demonstrationen von 1989 habe die KP Lei Feng aus der Mottenkiste geholt. „Aber niemand auf der Straße nahm dies besonders ernst“, sagt Weatherley.

Auch die jungen Menschen, die im vergangenen Winter mit Din-A4-Papier gegen Pekings harte Hand demonstrierten, dürften gegenüber Lei Fengs moralischer Strahlkraft eher immun sein. Und unpolitische Chinesen in ihrem Alter nehmen sich heute ohnehin eher Live-Streamer zum Vorbild als hilfsbereite Traktorfahrer. „Ich glaube nicht, dass die Regierung noch viel Vertrauen in die Macht von Lei Feng hat“, resümiert denn auch Weatherley. „Ich denke, Lei Feng ist vor allem eine Erinnerung an die Menschen, dass Chinas Regierung eine sozialistische Regierung ist – etwas, das man nach mehr als 40 Jahren Wirtschaftsreformen leicht vergisst.“

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