Fabian Peltsch

Journalist, Sinologe, Berlin/ Beijing

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The Wandering Earth II: Special Effects und Propaganda

Seit dem Kinostart wird der Film als kultureller Meilenstein gefeiert – besonders in den Staatsmedien. Wie schon zuvor in der Filmreihe „Wolf Warrior“, können politisch aufmerksame Zuschauer aus dem zweiten Teil von „Wandering Earth“ viel über das chinesische Selbstverständnis erfahren.

Kurz nachdem das Licht angegangen ist, springt ein Mann von seinem Sitz und brüllt in den Kinosaal, als habe gerade sein Lieblings-Fußballteam ein Tor geschossen: „Ich möchte verkünden: ‚Wandering Earth‚ ist genial! Chinas Science-Fiction ist genial! Die Chinesen sind genial!!!“ Einige Kinogänger reagieren mit verhaltenem Klatschen. Andere greifen sich angesichts der bizarren Szene an den Kopf. Ein Video des Ausbruchs geht kurze Zeit später im Internet viral.

Der Clip bringt die patriotische Euphorie auf den Punkt, mit der die Chinesen „The Wandering Earth II“ seit Wochen als kulturellen Meilenstein feiern. Der Grundtenor: Mit dem knapp dreistündigen Science-Fiction-Epos, das seit seinem Start am 22. Januar mehr als eine halbe Milliarde US-Dollar eingespielt hat, habe Regisseur Frant Gwo Chinas Filmindustrie endlich aus dem Schatten Hollywoods herauskatapultiert. „The Wandering Earth II“, ein Prequel des gleichnamigen Films aus dem Jahr 2019, sei qualitativ besser als Avatar und Star Wars, schreiben User auf Social-Media-Kanälen wie Weibo. Und, wie Chinas Staatsmedien nicht müde werden zu betonen: der Blockbuster erzählt die Geschichte von „globalen Visionen und chinesischer Weisheit“.

China will die Menschheit retten

Die Handlung des Films, der nur noch lose auf der gleichnamigen Kurzgeschichte von Bestseller-Autor Liu Cixin („Die Drei Sonnen“) basiert, ist schnell erzählt: Eine sich rapide ausdehnende Sonne droht die Erde zu verschlingen. Eine „Vereinte Weltregierung“, die aus den UN hervorgegangen ist, sucht gemeinsam nach einer Lösung – kann sich jedoch aufgrund von zwischenstaatlichen Konflikten nicht einigen. Die US-Amerikaner tendieren dazu, die menschliche Zivilisation vor ihrer Vernichtung als digitales Gedächtnis in eine Cloud hochzuladen.

China plädiert für das „Moving Mountain“-Projekt, das die Erde mithilfe gigantischer Antriebswerke aus dem Sonnensystem schleudern will. „Eine Zivilisation ohne Menschen ist bedeutungslos“, erklären die Chinesen. Und sie können den Rest der Welt schließlich mit Herzblut und technokratischen Machbarkeitsstudien von der Idee einer „wandernden Erde“ überzeugen.

In „Wandering Earth II“ spielen einige der bekanntesten Schauspieler Asiens mit, darunter Andy Lau (m.) und Wu Jing (r.), der bereits in der Propagandaproduktion „Wolf Warrior“ die Hauptrolle spielte.

Kollektivismus statt Heldentum einzelner

Der Film zeige eine Welt, in der nicht ein einzelner Held die Welt rettet, sondern „die Menschen in Zeiten überwältigender Krisen als Team zusammenarbeiten“, wie ein Gastautor in der staatlichen Global Times schreibt. „Die internationale Einheit und Solidarität“ in „Wandering Earth II“ entsprächen „Chinas aktueller Haltung und Herangehensweise in einer Welt des Wandels“. Auch Fu Ruoqing, der ausführende Produzent des Films, betont die „chinesischen Werte“ des Films. Fu zitiert Xi Jinpings Begriff einer „geteilten Zukunft für die Menschheit„, um die es in dem Film tatsächlich gehe.

Auch technologisch spiegele der Film den Aufschwung Chinas zur Weltmacht, heißt es in den lobenden Kritiken der Staatspresse. Regisseur Gwo habe sich von den Fortschritten in Chinas Tech-Sektor inspirieren lassen, erklärt etwa die People’s Daily. Die J-20, Chinas modernstes Tarnkappenflugzeug, spielt in dem Film eine wichtige Rolle bei der Abwehr von Saboteuren. Auch andere von Peking definierte Schlüsseltechnologien finden prominent Platz in der Handlung, etwa Quantencomputing oder Exoskelett-Anzüge. Letztere werden angeblich bereits von chinesischen Soldaten im unwegsamen Himalaya-Gebirge eingesetzt.

Ein gigantischer Weltraumfahrstuhl, der das von den Chinesen propagierte „Mountain Projekt“ vorantreiben soll, wird im Film nach Libreville verlegt, einer Stadt im zentralafrikanischen Gabun, die Chinas Außenminister Qin Gang erst im Januar besuchte, um für mehr Zusammenarbeit zu werben. Viele „führende Industrieunternehmen in China“, darunter die China Aerospace Science and Industry Corporation (CASIC) und die China State Shipbuilding Corporation (CSTC), würden unermüdlich dazu beizutragen, „Science Fiction in die Realität umzusetzen“, schreibt die Global Times.

„Propagandaprojekt der Kommunistischen Partei“

Eine der Figuren, ein Diplomat, bei dem sogar die USA Rat suchen, ist dem 1976 verstorbenen Premierminister Zhou Enlai nachempfunden. Und auch die ausländischen Helden im Film sind eher Russen als US-Amerikaner. Die Reise der wandernden Erde dauert am Ende 2.500 Jahre. Auch in der fernen Zukunft prangt noch das Emblem der Kommunistischen Partei Chinas an den Uniformen. „Ich betrachte ‚The Wandering Earth‘ als ein Propagandaprojekt der Kommunistischen Partei, die Schriftsteller wie Liu Cixin benutzt, um Nationalismus und Autoritarismus im Science-Fiction-Genre zu verpacken“, sagte der in Deutschland lebende chinesische Schriftsteller Liao Yiwu gegenüber Radio Free Asia.

Kein Wunder also, dass das Propagandaministerium, aber auch Chinas Patrioten im Netz Kritik an dem Film nicht auf die leichte Schulter nehmen. Eine nur mäßig begeisterte Rezension in der New York Times sorgte schon für Entrüstungsstürme. „Dass China in Zukunft die gesamte Menschheit anführen wird, löst bei den antichinesischen Kräften große Panik aus“, schreibt ein Nutzer auf Weibo. Der viel gelesene Film-Blog Yingshi Zongyi Jun 影视综艺君 auf Weibo verkündet: „Wenn der Feind Angst bekommt, heißt das, dass wir etwas richtig machen. Unser Kulturexport war erfolgreich.“ Der Beitrag erhielt mehr als 120.000 Likes.

Kann der Film in westlichen Kinos bestehen?

Auch englische Filmkritikseiten wie IMDB und Rotten Tomatoes sind voll von User-Kommentaren, die den Film als „historisches“ Meisterwerk und „besten Science-Fiction-Film des Jahrhunderts“ feiern. Patriotismus und Propaganda gehen hier wie so oft ineinander über. Was die Special Effects angeht, kann es „The Wandering Earth II“ allerdings tatsächlich mit Hollywood aufnehmen.

Westliche Zuschauer dürften von dem wenig subtilen Nationalismus chinesischer Prägung aber eher abgeschreckt werden, auch wenn die Staatspropaganda „Wandering Earth II“ bereits als großen Erfolg in Großbritannien, Australien und Nordamerika feiert. Dass der Film überhaupt so ein globales Release bekommt – Südafrika und Russland folgen im Frühjahr -, zeigt, wie viel Hoffnung der Staat in ihn setzt. Die Kinosäle außerhalb Chinas dürften unterdessen jedoch vor allem von Auslandschinesen besucht werden.

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