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„Ich bin in China, weil ich glaube, dass hier ein Teil Automobilgeschichte geschrieben wird“, sagt Holger Klein. Seit 2018 ist der ehemalige McKinsey-Berater beim deutschen Automobilzulieferer ZF zuständig für die Region Asien-Pazifik. Das Unternehmen aus Friedrichshafen, das 1915 als Zahnradfabrik gegründet wurde, verkauft seine Produkte seit mehr als 40 Jahren in China, war jedoch wie viele andere westliche Unternehmen lange nur ein „schlafender Riese“ im Reich der Mitte.
„Viele Dinge passieren hier sehr schnell. Das ist eine Herausforderung. Da müssen wir sehr bescheiden sein“, sagt der 51-Jährige. Bei ZF sprächen sie in diesem Zusammenhang längst vom „China Speed“.
2018 erwirtschaftete der Konzern vom Bodensee in China einen Umsatz von mehr als sechs Milliarden Euro, den Großteil davon mit Antriebs- und Fahrwerktechnologie sowie mit Sicherheitstechnologie für Pkw und Nutzfahrzeuge. Die rasante Elektrifizierung, die zunehmende Vernetzung und die weitreichende Autonomie der Assistenzsysteme seien jedoch die großen Trends der nächsten Jahre, glaubt der promovierte Wirtschaftsingenieur. Firmen wie NIO und Xiaopeng würden schon heute in China das Auto neu denken. „Ich bewundere viele der Newcomer. Das sind durchaus tolle Autos. Da spielen Infotainment und Connectivity eine große Rolle und das ganz ohne Legacy. Weil sie eben nicht schon tausende Autos im Feld haben.“
Klein, der bei ZF auch die Geschäfte der Bereiche Pkw-Fahrwerktechnik und Aftermarket verantwortet, kam in den 90er-Jahren zum ersten Mal nach China, wo er unter anderem Shenzhen besuchte, das damals noch kaum der High-Tech-Metropole von heute glich. Seit zwei Jahren wohnt der 1970 in Mülheim an der Ruhr geborene Tech-Manager nun mit seiner Familie in Shanghai. Ein großer Unterschied zu seiner Zeit als Berater: „Wenn sie nicht nur rein- und rausfliegen, entwickeln sie ein tieferes Verständnis für Kultur, Land und Leute. Wenn man dort lebt, versteht man erst, was man nicht versteht“, sagt er lachend.
Um auf der Höhe der Entwicklungen zu bleiben, investiert ZF mittlerweile immer mehr in Mechatronik, mehr Software und mehr Hightech. „Dinge die mittlerweile integraler Teil des ZF-Portfolios sind“, wie Klein betont. Anfang des Jahres stellte er auf der Auto Shanghai die nächste Generation des ZF-Hochleistungsrechners vor, den ZF Pro AI. „Er ist der derzeit flexibelste, skalierbarste und leistungsstärkste Supercomputer der Welt für die Automobilindustrie“, betonte Klein bei der Präsentation. Er sei für jeden Fahrzeugtyp und für alle Stufen des automatisierten oder autonomen Fahrens geeignet und soll im Jahr 2024 in Serie gehen.
Die Ausweitung des China-Geschäfts ist ein wichtiges Ziel der ZF-Strategie „Next Generation Mobility“. „Covid hat diese Entwicklung noch beschleunigt, weil wir gesehen haben, wie fragil Lieferketten sind. Wir wollen 'local für local' produzieren, ein ehrgeiziges Ziel.“ Derzeit errichtet ZF sein drittes Forschungs- und Entwicklungszentrum in China, das 2023 eröffnen soll.
In China hat die Corona-Krise ZF eher genutzt als geschadet, auch weil das Unternehmen seine Popularität mit unkonventionellen Maßnahmen steigern konnte. Bereits im Mai 2020 hatte ZF angefangen, industriell Atemmasken zu produzieren – zuerst um Mitarbeiter zu schützen. Doch rasch wurde die Produktion ausgeweitet, sodass auch chinesische Bürger Masken erwerben konnten. Städte und Kommunen bedankten sich bei den Deutschen. „Das haben wir zur Perfektion getrieben. Typische Automobilisten“, sagt Holger Klein schmunzelnd. Fabian Peltsch
Fabian Peltsch
Journalist, Sinologe, Berlin/ Beijing
Interview