Da ist Can, vielleicht drei oder vier Jahre alt, mit verwuschelten Haaren. Oder hier, diesmal mit etwa sechs, Can geht gerade in die erste Klasse. Und dort, ganz rechts, das Foto einer glücklichen Familie: Can und sein großer Bruder stehen vorne, seine Mutter und sein Vater legen ihnen ihre Hände auf die Schultern. Hasan und Sibel Leyla, die Eltern des 2016 ermordeten 14-jährigen Can, sitzen in ihrem Wohnzimmer im Norden Münchens und sagen: "Wir wussten von Anfang an, dass das kein Amoklauf war." Sie haben in ihre Wohnung eingeladen, um über ihren Sohn zu sprechen. Und über die Ungerechtigkeit, die ihnen und den anderen Angehörigen seitdem widerfahren ist. Can ist auch fünf Jahre nach seinem Tod allgegenwärtig, überall in der Wohnung hängen Fotos von ihm. Auf dem TV-Board im Wohnzimmer stehen zwei Pokale. Can ging auf eine Sportschule in Unterhaching, spielte für einen Fußballverein. "Er hatte nur Fußball im Kopf", sagt Hasan Leyla. Auf der Tür zu Cans altem Kinderzimmer hängt, wie aus der Zeit gehoben, dessen ausgeschnittene Silhouette. Hasan Leyla sagt: "Neun Opfer, neun Ausländer, das kann doch kein Zufall sein."
Am 22. Juli 2016 erschießt ein 18-Jähriger am Olympia-Einkaufszentrum in München neun Menschen: Armela, Sabina, Sevda, Selçuk, Janos Roberto, Hüseyin, Dijamant, Guiliano-Josef und Can. Fast alle hatten eine Migrationsgeschichte. Viele Indizien deuteten auf einen rassistischen Hintergrund der Tat hin: Auf Handyvideos ist zu hören, wie der Täter "scheiß Türken" schrie, die Tat verübte er am fünften Jahrestag der Anschläge in Oslo und Utøya. Dokumente, die die Beamt*innen auf seinem Computer fanden, deuteten darauf hin, dass der Täter von München den rechtsextremen Täter von Utøya verehrte. In Internetforen war er vernetzt mit Rechtsradikalen.