Ab Montag steht das öffentliche Leben still, ein zweiter Teillockdown kommt, Restaurants, Bars und Clubs müssen wieder schließen, auch Kinos, Theater und Opernhäuser. Das letzte Wochenende vor dem erzwungenen Winterschlaf wird so zu einer besonderen Herausforderung für die Polizei und Ordnungsämter. Sie müssen an diesem Samstagabend die bestehenden Corona-Regeln, Abstand, Maskenpflicht, Sperrstunde, durchsetzen, während viele noch ein vorerst letztes Mal richtig feiern wollen. Auch für Gastronomen ist dieser Abend ein besonderer, sie machen das letzte Mal Umsatz, setzen ihre Hygienekonzepte auch an Halloween durch und wissen nicht, wann sie wieder öffnen dürfen. Das Protokoll einer Nacht in Berlin, München, Hamburg und Frankfurt
20 Polizisten stehen am Eingang der Fußgängerzone, ihre drei Busse und der Einsatzwagen sind vor dem Karlstor geparkt. Jeder Passant, der sich nicht an das Tragen der Masken hält, wird zurechtgewiesen, die Polizisten nehmen Personalien auf. Heute ist der letzte Samstag im Oktober, Halloween, ein Tag, um das Schrecklich-Schaurige zu feiern, doch in ist er vor allem eines: 18 Grad warm, schön und gemütlich. Zwischen Isartor und Karlstor schlendern so viele Menschen wie lange nicht durch die Münchner Fußgängerzone, Jugendliche, Ältere, vor den beliebten Geschäften erreichen die Anstehschlangen mehrere Meter, kaum ein Stuhl auf den Terrassen der Restaurants und Cafés bleibt frei. Der Eindruck, ein schwieriger Monat stünde bevor, entsteht hier nicht. Vielleicht will das an einem schönen Tag wie diesem auch niemand wahrhaben.
Doch dann wird die bayerische Gemütlichkeit für einen Moment gestört, im Zwischengeschoss der U-Bahn-Station prügeln sich Jugendliche. Die Polizisten, die bisher das Einhalten der Regeln kontrolliert haben, holen per Funk Unterstützung. Aus den Seitenstraßen kommen sie angelaufen, schnell sind es doppelt so viele, geschlossen hetzen sie zur Rolltreppe. Sie erwischen nur einen, er blutet an der Schläfe, der Mund-Nasen-Schutz wurde ihm weggerissen. Um die Szene herum stehen immer mehr Leute, sie sagen, mehrere hätten auf eine Person eingeschlagen. "Krass" sei das gewesen. Der Rest der Schläger ist verschwunden. Der Junge, höchstens 16 Jahre alt, wird befragt, er muss seinen Ausweis vorzeigen. Zehn Minuten später sind die Polizisten wieder über den Stachus verteilt.
18.46 Uhr, Opernplatz, Frankfurt: Schleuderspaß in Masken
Einsam steht ein Wachmann vorm leeren Kinderkarussell am Opernplatz. "Eigentlich hätten wir noch eine Woche gehabt, aber jetzt bauen wir ab. Zum Glück habe ich Reserven." Hier und da in der Innenstadt sind kleine Kirmesstationen aufgebaut. An ihren Eingängen warten Ordner mit Formularen. Am Goetheplatz beim Schleuderkarussell kreischen die Leute. Fast beruhigend, Menschenmengen kollektiv und öffentlich über etwas Banales kreischen zu hören. Herdenbanalität. Ein Schausteller geht reihum und erinnert an die Maskenpflicht, bevor der Schleuderspaß losgeht.
18.47 Uhr, Gärtnerplatz, München: Monsta statt Monster
Eine Gruppe von Menschen sitzt auf den Bänken am Gärtnerplatz, vielleicht zehn oder 15 Personen, College-Jacken, diejenigen, die Basecap tragen, haben den Schirm nach hinten gedreht. Sie hören ziemlich laut Monsta von Culcha Candela, haben Bier, Chips und Wodka Gorbatschow dabei. Verkleidet ist hier niemand, Monster gibt es nur in der Musikbox. Der runde Platz, den Politiker im Sommer "Corona-Hotspot" genannt und daraufhin ein Alkoholverbot ausgesprochen haben, ist ansonsten recht leer, obwohl es bestimmt noch 15 Grad hat. An einem Samstag ohne Pandemie und würden sich hier Hunderte Menschen tummeln. Heute verteilen sich nur wenige Rentner mit ihren Fahrrädern auf die übrigen Bänke. Vor ein paar Wochen noch war der Gärtnerplatz am Wochenende so voll, dass Menschen aus Kühltruhen kaltes Bier verkauft haben. Am letzten Oktobertag, zwei Stunden vor der Sperrstunde, ist hier kaum etwas los.
19.27 Uhr, auf der Zeil, Frankfurt: Wie in einem Film
Frankfurts größte Shoppingmeile ist gut, also tausendfach besucht. Hier verordnete die Stadt schon vor Wochen eine Maskenpflicht sogar im Freien. Ungefähr 50 Prozent halten sie ein. 30 davon halten sie ab der Nase für unnötig. Und die Polizei? Ist groß präsent, mit mehreren Mannschaftswagen herumrollend und zu Fuß patrouillierend. Immer mal wieder selektiv ermahnend, die Masken aufzuziehen. Ihre Körpersprache wirkt dabei manchmal strikt, manchmal fast entschuldigend. "Maske auf! Und Alkohol ist hier auch verboten!", rufen sie beispielsweise zwei Männer mittleren Alters zur Ordnung. Ein maskenloser Greis schaut ihnen gebannt dabei zu, ebenso der maskenlose Teenager, der nebenbei Chips futtert, als würde er einen Film glotzen.
20.12 Uhr, Glockenbachviertel, München: Alle wollen noch mal
Es ist nicht leicht, an diesem Abend einen freien Tisch in einem der Restaurants im Glockenbachviertel zu bekommen. Alle wollen noch einmal ausgehen, solange sie noch können. Der Kellner im mediterranen Restaurant läuft von Tisch zu Tisch und verkündet immer das Gleiche: "Wir machen jetzt die letzte Essensrunde. Wer noch etwas bestellen will: dann jetzt." Elf Minuten später wiederholt er seine Ansage, diesmal für Getränke. Um 20.40 Uhr verteilt er ungefragt die Rechnungen, geht von Tisch zu Tisch, es ginge nicht anders, sagt er. In München gilt die Sperrstunde bereits ab 21 Uhr. Und hier wird sie eingehalten, eine Minute nach neun Uhr wird die Musik abgestellt, der Kellner sagt zu einem Paar, das noch nicht aufgestanden ist: "Wenn wir eine Kontrolle haben, dann bekommen wir Stress." Vier Minuten später verlassen die letzten Gäste das Restaurant.
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