Fabian Mechtel

Automobiljournalist, Frankfurt

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Artikel

Der mächtige Driftwinkel des Mercedes-Hooligan

Die erste Kurve, das erste bisschen Gas, und schon passiert es: Dichter Rauch steigt aus dem Radhaus, der Driftwinkel ist mächtig. Feuer hat er unbestritten, dieser Mercedes-Benz S 65 AMG. Kontrolle darüber nicht wirklich.

Aber das ist egal. Dieses Auto hat verchromte Zähne und matten Lack. Dieses Coupé ist das ideale Auto für jene, denen ein 600er Coupé zu diskret ist und beim S 63 AMG schlicht vier Zylinder fehlen. Also für Geltungsbedürftige mit viel zu viel Geld.

AMG schraubt alles in seinen V12-Zweitürer, was gut und teuer ist. Und was sich finden lässt. Künstlerische Lederarbeiten, pechschwarzen Klavierlack. Dazu gibt es Carbon, matten Chrom, Swarovski-Steine und automatisch gespendetes Parfüm. Dabei ist gerade Letzteres völlig überflüssig, riecht es doch meist leicht süßlich nach verbranntem Gummi.

Denn der S65 ist ein Hooligan. Wer es darauf anlegt, der hat schon auf der eigenen Auffahrt kein Profil von den Reifen. Einfach das ESP ausschalten, Fuß leicht auf die Bremse - und Gas! Ein Ruck geht durch die Karosserie, das Biturbofauchen wächst zu einem Sturm heran - und schon ward das schöne Heck mit den Renault-Laguna-Leuchten nicht mehr gesehen.

Übrigens darf man nicht schockiert sein, wenn man nach der ersten Fahrt vermeintliche Lackfehler am hinteren Karosserieübergang zur Stoßstange auszumachen scheint. Es sind keine. Es ist bloß der vaporisierte Goodyear Eagle, der sich in der Fuge niedergeschlagen hat.

Das ESP-Lämpchen brennt fast durch

Normal fahren kann man im S 65 Coupé nicht wirklich. Sollte man auch nicht, denn wenn man es gemütlich angehen wollte, dann hätte auch der 500er gereicht. Hier aber, im Märchenland von 1000 und begrenzten Newtonmetern, musst man immer voll draufstehen.

Es grunzt, es schnaubt, es poltert und knarrt. 630 PS wollen ausbrechen, mit roher Gewalt. Nur mit Mühe sind sie im Zaum zu halten, weshalb wohl auch nach kurzer Zeit schon die gewaltigen Kühler wabernd heiße Luft durch den Hemdkragen pumpen.

Gut die Hälfte der Abwärme dürfte allerdings auch auf die ESP-Schaltkreise zurückzuführen sein, solange man sie denn angeschaltet lässt. Konstant bemüht sich die Regelelektronik um Schadensbegrenzung. Das Lämpchen scheint beinahe durchzubrennen vor lauter Aktivität. Und doch liegt hier der Hund begraben: Die 65er AMG-Variante ist auch im Coupé zu viel.

Mit aktiviertem ESP ergibt es überhaupt keinen Sinn, es sei denn, man muss der Welt zeigen, dass man der Welt etwas zeigen muss. Ohne deaktiviertes ESP ergibt es aber auch nicht unbedingt mehr Sinn, denn es gibt tatsächlich Angenehmeres, als ständig einen aus dem Ruder gelaufenen Fünfmeter-Zweitonner wieder auf Spur zu bringen.

Daher unsere eindringliche Bitte: Gebt diesem S 65 AMG die famose Neungang-Automatik und dazu 4Matic. Er braucht es. Dann lassen wir auch die verchromte Zahnspange durchgehen. Denn dann ist er ein rattenscharfes Auto.

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