Ist die islamfeindliche Bewegung Pegida am Ende? Selbst wenn: Der Hass auf Muslime gehört in Dresden längst zum Alltag. Ein Besuch bei Menschen, die zum Beten in den Keller gehen.
Wer sich in Dresden auf die Suche danach macht, was Zehntausende Bürger der Stadt als "Islamisierung" bezeichnen, landet in einem maroden Bungalow. Versteckt zwischen Krankenhaus und gläsernem Volkswagen-Prachtbau. Früher trafen sich hier einmal Fußballer nach dem Spiel zum Biertrinken. Heute beten hier Dresdner Muslime, hinter dem hellgrün von der Fassade bröckelndem Putz. "Bildungs- und Kulturzentrum" steht am Schild neben der Kunststofftür. Stünde hier auch nicht ein arabisch klingender Name, man würde nicht ahnen, dass es sich um eine Moschee handelt.
Vier paar Schuhe stehen im Holzregal am Ende der Kellertreppe. Dahinter kniet Samy Ibrahim auf der weinroten Auslegware und redet mit leiser Stimme. Über die Angst, die ihn und die anderen Muslime der Stadt nicht loslässt. Selbst hier nicht, im Keller der Marwa Elsherbiny-Moschee. "Unfreundlicher" seien die Menschen geworden, seit in Dresden regelmäßig Tausende gegen Migranten und Muslime auf die Straße gehen, erklärt Ibrahim zurückhaltend und stellt eine Schüssel mit Keksen auf den Tisch. "Montags ist ein stressiger Tag für uns."
15 Jahre ist es her, dass Ibrahim aus Ägypten nach Sachsen zog. Ein paar Sprüche, finstere Blicke auf der Straße habe es immer einmal geben. Doch erst seit Beginn der Pegida-Kundgebungen fühle er sich bedroht. Drei Kinder hat er. Die holt er jetzt immer mit dem Auto von der Schule ab. In einer Ecke des kleinen Raums sitzt der Imam der Moschee. Und liest versunken in den Suren des Koran.
Bis zu 600 Gläubige beten maximal in der Moschee. Doch an diesem Montagabend ist das Schuhregal immer noch fast leer, obwohl gleich das Abendgebet anfängt. "Wir haben jeden Montag die letzten beiden Gebete am Tag abgesagt. Das war eine Vorsichtsmaßnahme zum Schutz der Leute, die zu uns kommen", erklärt Ibrahim.
"Kaffee oder Tee", fragt ein älterer Mann, während Ibrahim auf seinem Handy das Bild eines Bekannten heraussucht. Am 12. Januar war es, als der Tag für einen Freund im Krankenhaus endete. Es war der Tag, an dem nach Polizeiangaben 25 000 Menschen in Dresden gegen die "Islamisierung" demonstrierten, als der 27-jährige Walid M. von fünf Männern in Bomberjacke nach Zigaretten gefragt wurde. Als der Libyer der Bitte nicht gleich nachkam, hätten sie ihn mit einer heißen Flüssigkeit übergossen. Ibrahim erzählt die Geschichte so beiläufig, als gehörten solche Übergriffe einfach dazu, wenn man als Muslim in Dresden lebt. Sie tun es.
Das ARD-Magazin "Report Mainz" hat Zahlen von Presseberichten, Polizeimeldungen und Chroniken der Regionalen Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie (RAA) ausgewertet. Demnach hat sich die Zahl rassistisch motivierter Übergriffe seit der ersten Pegida-Kundgebung gegenüber dem Vorjahreszeitraum mehr als verdoppelt.
In erschreckender Regelmäßigkeit werden in Dresden mittlerweile Migranten angegriffen: Am 16. Januar werden im Stadtteil Gorbitz zwei syrische Flüchtlinge von einem Mann mit einem Messer bedroht. Am selben Tag bepöbeln und treten Unbekannte einen Mann aus Libyen. Am 17. Januar versuchen mehrere Männer, die Tür zur Wohnung eines Flüchtlings einzutreten. "Wir bringen euch um", rufen sie dabei. Zwei Tage später beleidigen und bedrohen Unbekannte zwei Asylsuchende aus Libyen. Am 25. Januar wird erneut ein libyscher Flüchtling angegriffen. An einer Straßenbahnhaltestelle in der Dresdner Innenstadt wird er von vier Männern geschlagen. Einer zeigt dabei den Hitlergruß und ruft "Ausländer raus!".
Im Keller der Marwa El-Sherbiny- Moschee wackelt der Wasserkocher hinter der Abdeckplane. Kaffee schwarz? Milch? Zucker? "Probier mal den Kuchen", fordert Ibrahim auf. Nichts erinnert hier an das Bild vom gewaltbereiten Muslim, das nicht nur auf Pegida-Kundgebungen beschworen wird. Auch hier war man entsetzt über die Anschläge auf die französische Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo. Auch sie haben den Anschlag öffentlich verurteilt. Dass nun sogar Ministerpräsident Tillich gesagt hat, dass der Islam nicht zu Sachsen gehöre, beunruhigt Ibrahim: "Wohin gehören wir dann, wenn nicht hier hin?"
2000 Muslime leben in Dresden. Öffentlich sichtbare Symbole muslimischen Lebens sucht man in der Stadt vergebens. Kein Minarett, keine Kuppel, keine glänzenden Tafeln mit Koransuren. Drei Moscheen gibt es in der Stadt. Dem Namen nach. In Wahrheit handelt es sich bei allen um sogenannte Hinterhofmoscheen. Vor der Mehrheitsgesellschaft verborgene Funktionsräume mit abgenutzter Auslegware.
Um zu erfahren, wohin die Stigmatisierung von Muslimen im Ex-tremfall führen kann, reicht ein Blick neben die Eingangstür der Moschee. Der Name von Marwa El-Sherbiny steht dort in orangefarbenen Buchstaben am Plastikschild. Die aus Ägypten stammende Apothekerin war im August 2008 von einem Mann in Dresden als "Islamistin" und "Terroristin" beschimpft worden. Als ein Gericht ihn zu einer Geldstrafe verurteilte, tötete er die im dritten Monat schwangere El-Sherbiny noch im Gerichtssaal mit 18 Messerstichen. Als ihr Ehemann ihr zu Hilfe eilte, schoss ein Polizist. Nicht auf den Täter, sondern auf El-Sherbinys Mann, weil er den Ägypter für den Angreifer hielt.
Schon damals zögerten Politiker wochenlang, den Fall öffentlich zu verurteilen, sich dazu zu bekennen, dass in ihrer Stadt eine Frau wegen ihrer Religion ermordet wurde. Als eine Bürgerinitiative im Jahr darauf den Fall zum Anlass nahm, um mit einem Denkmal auf den Alltagsrassismus in der Stadt aufmerksam zu machen, zerstörten Unbekannte die Skulpturen.
"Überall liest man davon, dass die Ängste dieser Pegida-Leute ernst genommen werden müssten, aber wer nimmt unsere Ängste ernst?", fragt Ibrahim. Auf der roten Auslegware haben mittlerweile zwei weitere Gläubige Platz genommen, als ein über das ganze Gesicht strahlendes Pärchen den Raum betritt. Als sich die Frau ein Tuch über die Haare legt, ruft einer der Männer "Lass das, das brauchst du doch nicht". Sie tut es trotzdem.
"Das sind Andrea und Wolfram, die gehören nicht zu Pegida", sagt Ibrahim und lacht. Das Ehepaar kommt regelmäßig in den Keller. "Wir kamen letztes Jahr zum Tag der offenen Moschee und wurden mit offenen Armen empfangen", erzählt Andrea, setzt sich auf den freien Plastikstuhl neben Ibrahim und legt zwei Packungen Tee auf den Tisch. Wieder werden Hände geschüttelt, Kekse gereicht, gelacht. Schnell kommt das Gespräch auf Pegida.
"Ich bin vor 20 Jahren aus Köln nach Dresden gekommen. Bei mir im Haus war alles dabei. Alles kunterbunt", erzählt Andrea. Ihren ersten Muslim habe sie in der Schule kennengelernt: "Der war Perser und saß am Tisch neben mir. Für mich ist das völlig normal." In Dresden hingegen sei "alles ganz deutsch". Woher der Hass auf Muslime komme, können auch sie nicht erklären. Ja, auch sie hätten Bekannte, die zu den Pegida-Kundgebungen gehen, sagt Wolfram: "Aber das sind Menschen, die sich nicht öffnen. Die meisten wollen nicht darüber reden."
"Weil wir die Minderheit sind, wir sind eben die einfachsten Opfer", ruft ein Mann aus der Teeküche hinter der Plastikplane herüber, als Ibrahim Kaffee nachgießt. In Köln, Berlin oder Frankfurt am Main habe Pegida keinen Erfolg, "weil sie dort seit Generationen mit Muslimen als Freunden und Nachbarn zusammenleben", sagt Ibrahim. "Die Leute hier haben nichts mit Muslimen zu tun, und das ist das Problem."
Im Holzregal am Ende der Kellertreppe steht mittlerweile ein knappes Dutzend Schuhe. Wieder demonstrieren in Dresden an diesem Montagabend 20 000 Menschen. Doch diesmal nicht gegen die vermeintliche Islamisierung, sondern gegen Pegida. Ob er auch dorthin gehe? "Nein lieber nicht, es ist sicherer hier", antwortet Ibrahim. Ob er schon einmalüberlegt habe wegzuziehen? "Ja, nicht nur ich", sagt er mit sanfter Stimme und beeilt sich zu ergänzen: "Wir hoffen, das es irgendwann zu Ende ist."
Seine Hoffnung erfüllt sich nicht. Drei Tage nach diesem Besuch prangen islamfeindliche Parolen am hellgrünen Putz seiner Keller-Moschee.