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Das Umbruchjahr 1933: Vom unpolitischen Fußballblatt zum linientreuen Medium

100 Jahre kicker bedeuten auch zwölf Jahre kicker unter dem Hakenkreuz. Schon kurz nach der Machtübernahme der Nazis wurde klar: Auch das Fußballblatt stellte sich in den Dienst der politischen Propaganda und half bei der Stabilisierung Hitlers Herrschaft.

Ausgabe des "Kicker" vom 31. Januar 1933, am Tag nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten. kicker

Diese Analyse des "Umbruchsjahres" 1933 ist der erste Teil einer umfassenderen Analyse zur Geschichte des kicker in der Zeit des Nationalsozialismus, die das Fachmagazin in seinem Jubiläumsjahr in Auftrag gegeben hat.

"Mit dem heutigen Tage ist der Begründer des Kicker, Herr Walther Bensemann, aus der Redaktion unseres Blattes ausgeschieden. Auf Wunsch des Herrn Bensemann veröffentlichen wir diese bedauerliche Notiz ohne jeden Kommentar", schrieb "Der Kicker" am 30. Mai 1933. Drei simple Zeilen auf den hinteren Seiten waren der einzige Abschiedsgruß für den Gründer, langjährigen Chefredakteur und wohl bekanntesten Sportjournalisten seiner Zeit. Bensemann war bereits Ende März in die Schweiz geflohen.

Mit dem heutigen Tage ist der Begründer des Kicker, Herr Walther Bensemann, aus der Redaktion unseres Blattes ausgeschieden. Auf Wunsch des Herrn Bensemann veröffentlichen wir diese bedauerliche Notiz ohne jeden Kommentar.

Auszug aus der Kicker-Ausgabe vom 30. Mai 1933

Dieses schnelle, unvermittelte Ende im Taumel des Anfangs zeigt die technokratische Kälte, die für die nächsten zwölf Jahre prägend wurde. Ob es dabei tatsächlich Bensemanns eigener Wunsch war, eher Druck von oben oder eine Initiative der Redaktion, ist aus heutiger Sicht nicht mehr abschließend zu ergründen. Inwieweit sein Nürnberger Verleger Max Willmy seinen Rückzug beeinflusst hat, wird noch zu untersuchen sein. Bensemann musste Willmy schon vor der Machtergreifung aus finanziellen Gründen am Eigentum des Kicker beteiligen, später entpuppte sich der Verleger als strammer Nazi. Unzweifelhaft bleibt aber, warum Bensemann im Frühjahr 1933 ging oder gehen musste: Als Bürger jüdischer Abstammung, als Kosmopolit, war er im "neuen" Deutschland nicht mehr erwünscht.

So schnell wie Bensemann die Flucht ergriff, so schnell lief auch der Wandel von einem relativ unpolitischen Fußballblatt zu einem linientreuen Medium. Bereits in den ersten Monaten nach der Machtübernahme durch die Nazis wurde dies deutlich sichtbar. Die letzten seiner bekannten "Glossen" veröffentlichte Bensemann am 28. März 1933, die mit nur einer Seite vergleichsweise kurz ausfielen. Im Fettdruck veröffentlichte das Blatt in derselben Ausgabe den Dank des Deutschen Reichsausschusses für Leibesübungen (DRA) an den neuen Reichskanzler Adolf Hitler für seine Erklärungen "über die Bedeutung von Turnen und Sport für den Wiederaufbau deutscher Volkskraft und die Stärkung nationalen Empfindens", die er "in begeisternden und hinreißenden Worten ausgesprochen" hatte, sowie die Selbstverpflichtung des DRA "alle seine Kräfte [...] zur Wahrung deutscher Jugendkraft, Stärkung nationaler Gesinnung, zur Erziehung eines wehrhaften Geschlechts" einzusetzen. Mitte April druckte der Kicker eine Erklärung 16 großer süddeutscher Fußballvereine auf der ersten Seite ab. Die Vereine, darunter einige spätere Meister, betonen ihre Bereitschaft, mit der NS-Regierung zusammenzuarbeiten. Und: "Sie sind gewillt, in Fülle dieser Mitarbeit alle Folgerungen, insbesondere in der Frage der Entfernung der Juden aus den Sportvereinen, zu ziehen."

Vorauseilend gehorsam ins NS-System

Mit dem Ausscheiden Bensemanns übernahm der damals 30-jährige Hanns-Joachim Müllenbach die Führungsposition im Kicker. Der langjährige Zögling und Weggefährte Bensemanns war bereits seit der Gründung des Magazins im Jahr 1920 in der Redaktion tätig. Müllenbach vollzog umgehend einen radikalen Kurswechsel. Innerhalb weniger Wochen wurden bisherige Grundprinzipien der redaktionellen Arbeit über Bord geworfen und sich in vorauseilendem Gehorsam an die neuen Machthaber angedient. Bis Anfang 1933 waren im Kicker Kommentierungen einzelner politischer Machtwechsel noch völlig verpönt. Der neue NS-Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten dagegen wurde nun nach seiner Ernennung umgehend mit den größten Lobeshymnen bedacht. So feierte Müllenbach den SA-Mann nach seinem ersten großen öffentlichen Auftritt beim Finale um die Deutsche Meisterschaft im Juni 1933 als "vollkommene Persönlichkeit", "perfekten Gentlemen" und "harten, stahlharten Kämpfer". Dazu durfte der Funktionär auf der Titelseite mit Hakenkreuzbinde großformatig vor dem neuen Meister Fortuna Düsseldorf voranschreiten.

Nur drei Monate später wurde Adolf Hitler in einem ganzseitigen Portraitfoto auf der ersten Seite abgebildet. Im folgenden Leitartikel über den Reichsparteitag der NSDAP in Nürnberg bejubelte Müllenbach "die Kämpfer des Dritten Reiches" und den "Gleichschritt der in endlosen Gliedern darhermarschierenden braunen und schwarzen Kolonnen" in der Stadt. Dass sich sein Blatt damit endgültig von jeder sportbezogenen Berichterstattung löste und unmittelbare NS-Propaganda ins Heft aufnahm, bekannte er sogar ganz offen: "Es ist bisher nicht die Aufgabe und nicht die Art einer Sportzeitung gewesen, auf Dinge des öffentlichen Lebens überzugehen. Allein die neue Zeit verlangt es. Der neue Geist ist auch im sportlichen Geschehen eingezogen; er ist geboren aus dem Geist heraus, dessen herrlichste Auswirkung, diese Tage des Nürnberger Reichsparteitages 1933, wir erleben durften".

Ein weiterer Höhepunkt dieses Wandlungsprozesses war schließlich im November 1933 die Veröffentlichung eines expliziten Wahlaufrufs für die Nazis. Anlässlich der nur noch scheindemokratischen Reichstagswahl rief der Kicker auf der ersten Seite dazu auf: "Unser deutscher Sport erkennt seine Mission, seine Pflicht. Wir alle gehen am 12. November geschlossen an die Urne mit einem überzeugten und freudigen: Ja!"

Inwieweit solche Aufrufe tatsächlicher ideologischer Begeisterung der Chefredaktion entsprangen oder auch eine Form des Opportunismus waren, um dem Verlag eine führende Stellung im neuen Staat zu sichern - das kann auf Basis der vorliegenden Auswertungen (noch) nicht beantwortet werden. Sicher ist jedoch bereits: Mit seiner Berichterstattung diente der Kicker dem NS-System von Beginn an gleich auf zweierlei Weise.

Zum einen halfen der früh einsetzende Hitlerkult und die Glorifizierung weiterer NS-Persönlichkeiten frühzeitig dabei, das NS-System bereits zu einem Zeitpunkt zu stabilisieren, als noch nicht von einer etablierten und alle Lebensbereiche beherrschenden Diktatur gesprochen werden konnte. Bis zur Einführung des Reichsschriftleitergesetzes am 1. Januar 1934 besaßen Zeitungen auch im NS-System noch gewisse Handlungsspielräume. Von der Kicker-Chefredaktion wurden diese offensichtlich nicht genutzt.

Jüdische Fußballer und Arbeiter-Klubs werden aus der "Volksgemeinschaft" vertrieben

Zum anderen trug der Kicker auch zur Stabilisierung der neuen "arisierten Volksgemeinschaft" bei. Geradezu spielerisch wurde der deutschen Bevölkerung in einem vermeintlich unpolitischen Bereich deutlich gemacht, wer von nun an noch zur Volksgemeinschaft zählte und wer nicht mehr. Zwar fällt für die erste Phase nach der NS-Machtübernahme auf, dass sich in der "eigentlichen" Fußballberichterstattung noch keine Anzeichen für Propaganda finden. Schmähungen oder Herabsetzungen des Gegners bei Länderspielen gab es zum Beispiel nicht. Dafür finden sich aber auch praktisch keine Zeilen mehr für all diejenigen, die zu dieser "Fußball-Volksgemeinschaft" nicht mehr dazu gehören durften: Kein Wort mehr ist über die zigtausend jüdischen Fußballer zu lesen, die ähnlich wie Bensemann den deutschen Fußball bis 1933 entscheidend prägten und nun der offenen Verfolgung ausgesetzt waren. Und die ebenfalls verfolgten Arbeiterfußballer und ihre Klubs verhöhnt Chefredakteur Müllenbach sogar ganz direkt: "Jetzt hat das letzte Stündchen dieser Vereine geschlagen, niemand weint ihnen eine Träne nach."

Mit seinem vorauseilenden Gehorsam ist der Kicker im Jahr 1933 keine Ausnahme, sondern eher der Regelfall für große Teile der deutschen Gesellschaft. Und dennoch bleibt es überraschend, wie schnell sogar ein zuvor in weiten Teilen unpolitisches Fachmedium auf die Linie der neuen nationalsozialistischen Regierung einschwenkt. Es zeigt auch, dass Sport und Fußball sich sehr schnell und wirksam selbst in politische Propaganda-Systeme einbinden und eingebunden werden können.

Fabian Dilger, Lorenz Peiffer, Henry Wahlig

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