Emotion wiegt schwerer als Fakten
Expertin Eva Werner analysiert, wie es zum Shitstorm gegen Adidas kam
Vo n M i c h a e l a S c h n e i d e r
Mit Verwunderung blickte Krisenkommunikati-onsexpertin Eva Werner auf Adidas. Denn: Eine „Vogel-Strauß-Taktik“ hält die Geschäftsführerin der Achterknoten GmbH in Krisen für besonders fatal. Der Konzern mit Firmensitz in Herzogenaurach hatte Ende März den vorübergehenden Miet-zahlungsstopp angekündigt. Was mit Hilfs-programmen konform ging, sorgte in sozialen Medien für massive Empörung. Darauf ru-derte der Sportartikelhersteller zurück und entschuldigte sich. Den Shitstorm im Netz ignorierte er weiter.
Die einstige DJV-Pressereferentin Eva Werner (45), lehrt seit März 2019 Krisenkommunikation an der TH Nürnberg.
Adidas hat nicht unbedingt für positive Schlagzeilen gesorgt. Wie schauen Sie darauf als Expertin für Krisenkommunikation?
Eva Werner: Ich bin verwundert, dass ein so großes Unternehmen wie Adidas so offensichtliche Kommunikationsfehler macht. Am Ende hat es sich entschuldigt und die Mietzahlun-
gen wieder aufgenommen, aber viel zu spät. Ein kommunikatives No-Go für mich war: Unter einem Eintrag auf Facebook zu einer Logoänderung standen tausende wütende Kommen-
tare, doch eine Unternehmensreaktion blieb aus. Die Marketingkampagnen liefen gleichzeitig einfach weiter.
Wie erklären Sie sich dieses scheinbare Ignorieren?
Vielleicht ist das eine Art Old-School-Denke. Ich war vor einem guten Jahrzehnt in einem Krisenkommunikationsseminar, damals wurde tatsächlich noch gesagt: ‚Naja, wenn‘s nicht
allzu schlimm ist, warten Sie doch erstmal ab.‘ Das funktioniert im heutigen Social-Media-Zeitalter nicht mehr, weil sich Dinge extrem schnell hochschaukeln. Ein Shitstorm nimmt viel schneller ganz andere Ausmaße an. Man muss schnell, empathisch und mit Fingerspitzengefühl reagieren, sobald
man das Gefühl hat, daraus könnte etwas Größeres werden. Auch andere Firmen wie H&M hatten angekündigt, die Mietzahlungen vorübergehend einzustellen. Ein so massiver Shitstorm blieb aber aus.
Warum?
Wahrscheinlich liegt es daran, dass Adidas ein besonders gutes Image hatte. H&M zum Beispiel hatte schon zuvor den Stempel einer Billigmarke. Adidas dagegen wurde als beliebteste Marke im Social Web und beste europäische Unternehmensmarke ausgezeichnet. Dadurch war die Enttäuschung nun vermutlich besonders groß.
Wie erleben Sie Unternehmenskommunikation seit Beginn der Pandemie im Allgemeinen?
Ich habe schon Artikel gelesen, in denen stand, Corona sei keine Zeit für Marketing.
Das sehe ich anders, aber: Jetzt, in der Pandemie, muss man sehr genau und individuell
prüfen, wie man sein Marketing weiterführt. Einige positive Beispiele: Audi hatte sein Logo
verändert und die Ringe auseinandergezogen
mit der Kernaussage „Keep distance“. Die Brauerei Augustiner hat den Pächtern ihrer
Gaststätten die Pacht erlassen für die Zeit der Schließung. Sixt hat Ärzten und Pflegepersonal kostenloses Carsharing angeboten.
Sie sagen: Eine gute Krisenkommunikation beginnt intern ...
Kernaufgabe einer guten Krisenkommunikation ist ein empathischer Umgang mit den Mitarbeiter*innen. Das ist ganz essenziell, auch wenn man es von außen nicht sieht. Am
Ende spiegelt sich der Mitarbeiterumgang gerade in der Krise dann doch nach außen.
Gibt es einen „Kommunikations-Fahrplan durch die Krise“?
Man muss mit allen Fakten, sobald man sie kennt, komplett auf den Tisch. Damit gibt es einen großen Knall und man kann schnell wieder nach vorne schauen. Bevor eine
Meldung an die Öffentlichkeit geht, sei es zwei oder drei Minuten früher, müssen die Mitarbeiter*innen intern informiert werden. Seien Sie als Unternehmen in der Krise ehr-
lich, empathisch, schnell, trotzdem korrekt und auch anpassungsfähig, wie wir es etwa bei Virologe Christian Drosten erleben, der sagt: Gewisse Dinge habe er zunächst anders eingeschätzt, weil ihm Fakten fehlten. Und man muss es schaffen, Verständnis zu erzeugen, etwa durch Storytelling. Sobald die Öffentlichkeit eine Firma als Schurken wahrnimmt, ist es schwer, das wieder umzukehren.
Eva Werner.
Hinter der Recherche
Gern hätten wir Adidas die Möglichkeit gege-
ben, sich selbst zu äußern. Aus der Abteilung
„adidas Corporate Communication“ erreichte
die Redaktion aber folgende Antwort: „Vielen
Dank für (...) Ihr Interesse an unseren Erfahrun-
gen mit der Kommunikation in der Pandemie-
zeit. Leider müssen wir Ihnen aus Zeitgründen
absagen (...).“