Es ist ein kalter Sonntagabend im Dezember, als sich ein Junge, augenscheinlich nicht älter als 15, in einem Wiener Untergeschoß am Boden zusammenkrümmt. Seine Arme hat er fest um den Kopf geschlungen, die Knie eng angewinkelt. Von weitem sieht er ein bisschen aus wie ein Igel. Die Menschen um ihn herum stört das nicht, der Großteil hat es wahrscheinlich gar nicht mitbekommen, schließlich haben fast alle die Augen zu. Außerdem ist der Junge nicht der einzige am Boden. Keine zwei Meter von ihm entfernt kniet ein Mann, die Hände in die Höhe gestreckt, den Kopf demütig gesenkt.
Die „Celebrations", also die wöchentlichen Gottesdienste, nimmt man beim ICF Wien ernst. An jenem Abend „worshippen" hier um die 70 Personen - wohlgemerkt zum zweiten Mal, schon am Vormittag fand eine erste Session statt. Am Eingang, flankiert von zwei Beachflags mit dem Schriftzug „Willkommen zuhause", wird man freundlich von einer jungen Frau begrüßt; Ein Mann führt Neulinge hinunter in den Keller. Der Raum, in dem die „Celebrations" stattfinden, ist dunkel, erhellt wird er allein durch die Lichtershow von der Bühne. Die Musik ist laut, die Stimmung aufgekratzt und würde am Rand kein großes weißes Kreuz stehen, könnte es sich auch um ein Clubbing-Event handeln, wären, ja, wären da nicht die Menschen am Boden.
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