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Einfach mal stillhalten

„Du begibst dich nun in komplette Stille. Spüre beim Ausatmen, wie du jegliche Anspannung loslässt und deinen Körper der Schwerkraft überlässt.“ Übungen, bei denen Pädagogen vor zehn Jahren noch als Esoterik-Fuzzis belächelt wurden, sind mittlerweile erfolgreich in Schulen angekommen. Die HBLWM Annahof in Lehen etwa hat es einem engagierten Religionslehrer zu verdanken, dass es neben Lernstress und Grüppchenbildung seit neun Jahren auch einen „Meditationspavillion“ gibt, in den sich überlastete SchülerInnen zurückziehen können.


Denn der kleine Pavillion, der als Schuppen für Gartengeräte genutzt wurde, war in den Augen von Georg Haigermoser ein idealer Ruheort für die Annahof-Schüler. Ziel der Meditationszeit ist es, den Alltag für eine bestimmte Zeit zu verlassen und sich von dem Gefühl innerer Unruhe zu lösen. Durch die Rückbesinnung auf sich selbst und die Umwelt wird neue Kraft und Ruhe getankt. Während bei uns noch häufig darüber gelacht wird, ist Meditation in vielen Weltreligionen ein grundlegender Faktor – sie bedeutet schließlich die Versenkung in einen tieferen Bewusstseinszustand. Denn obwohl Meditation ein geistiger Vorgang ist, wird auch der Körper tiefgreifend beeinflusst. Nach wenigen Minuten stellt sich ein Zustand tiefer Entspannung ein: das Herz bekommt eine Verschnaufpause, das Gehirns arbeitet effektiver, alle mit dem vegetativen Nervensystem verbundenen Körperfunktionen normalisieren sich (Blutdruck, Stresshormone, Atemfrequenz). „Heutzutage ist es wichtig, dass man seine Ressourcen richtig nutzen kann“, sagt Religionslehrer Haigermoser, seines Zeichens ausgebildeter Meditationsleiter. „Meditation kann das Fundament sein, das dafür sorgt, dass einen die Alltagssorgen nicht so leicht umschmeißen.“ Simpel aber wahr: Stille ist die Grundvoraussetzung für Konzentration. Die während der Meditation erfahrene Ruhe ist etwa doppelt so tief wie im Schlaf. Aber kommt die Entspannungstechnik bei den Schülern überhaupt an? „Ja“, meint die ehemalige Annahof-Schülerin Sarah Adamek: „Es haben alle interessiert mitgemacht. Wir hatten teilweise Schultage, die zehneinhalb Stunden gedauert haben, da war das Meditieren eine entspannende Abwechslung“.


Die Frequenz der Stille


Pädagogen klagen über aggressive, unkonzentrierte und gereizte Kinder. Bei der Suche nach den Ursachen beißt sich die Katze in den Schwanz: sind die Medien schuld, die die Kleinen Reiz-überfluten? Ist der Leistungsdruck zu hoch und der Familienstress zu viel? In einem temporeichen, aktiven Leben mit all seinen Anforderungen fällt es schwer, einfach mal stillzuhalten. Die innere "Gründung" fehlt, dafür nimmt die Frustration zu: Sinn- und Zukunftsfragen bei Schülern und Lehrern sind die Folge. Auch wenn es in der Schule hektisch ist: „die Schüler müssen trotzdem Raum für Selbstbesinnung bekommen. Dafür brauchen sie Ruhe und die Anleitung, mit sich selbst in Kontakt zu treten", meint Qigong-Lehrerin und Autorin Vera Kaltwasser. Die meisten Bildungssysteme sind aber nicht in der Lage, darauf einzugehen. Gerade wenn dann zu Hause auch noch ein ruhiger Pol fehlt, können die Kinder lernen, sich selbst ein solcher zu sein.


Das Jahrtausende alte Wissen aus dem Himalaja steht schon seit geraumer Zeit auf den Prüfstand der modernen Wissenschaft. Nach wie vor wird erforscht, wie sich Meditation neurobiologisch auswirkt. Dass sich etwas verändert, ist Fakt. Die Vorgänge spielen sich vor allem im anterioren cingulären Kortex (ACC) ab. Diese Gehirnregion ist daran beteiligt, Konflikte zu erkennen und aufzulösen. In der frühkindlichen Entwicklung führt eine zunehmende Vernetzung des ACC dazu, dass Kinder ihre Emotionen und Handlungen besser kontrollieren können. Schäden in dieser Hirnregion können unter anderem Aufmerksamkeitsstörungen und Depressionen auslösen. Bei EEG-Ableitungen von Meditierenden traten verstärkt synchrone Gammawellen auf, die im 40-Hertz-Rhythmus schwingen, der "Frequenz der Stille". Die Entspannungstechnik ist aber nicht nur für Junge optimal: es gibt Hinweise darauf, dass regelmäßiges Meditieren den altersbedingten Abbau des Hirns verzögert.