Eva Goldschald

Freie Journalistin und Autorin

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Geiles Fett - DUMMY - Das Gesellschaftsmagazin

Schatz, kannst du bitte vor dem Sex noch zwei Burger essen. Zu Besuch bei Feedern, die dicke Körper einfach anmachen

Von Eva Goldschald

„Es gibt große Neuigkeiten und zwar schon seit April: Ich wiege jetzt über 100 Kilo!!!!!!!"

Die Reaktion auf diesen Status: 73 Likes und fünf Kommentare. Superhase74 findet das klasse, Prinz_2000 würde gern mehr darüber erfahren, und Eastdutch fragt, ob sie wieder zugenommen habe.

Sie heißt Luisa: 22 Jahre, 1,68 Meter groß, mittlerweile 115 Kilo. Die, die kommentieren, sind andere Mitglieder bei Feabie. Ein Netzwerk, auf dem Luisa seit gut vier Jahren so etwas führt wie ein Abnehmtagebuch in die entgegengesetzte Richtung. Luisa zelebriert jedes Kilo. Das war nicht immer so. Kurz nach dem Abitur fühlte sie sich mit 65 Kilo unwohl. „Ich habe viel gegessen und genascht, keinen Sport mehr gemacht, aber überhaupt nicht gemocht, wie sich mein Körper dadurch veränderte."

Erst als sich die junge Frau mit den Themen Body Positivity und Feeding beschäftigte, begann sie, ihr Gewicht ganz gut zu finden. „Ich fühle mich heute sehr, sehr weiblich und sinnlich mit meiner Körperfülle, den runden Hüften, den dicken Oberschenkeln und meinem großen, schweren Busen. Am allerbesten fühlen sich die Pfunde am Bauch an. Es ist geil, auf dem Sofa zu sitzen und zu spüren, wie mein Bauch weich und schwer auf den Oberschenkeln liegt oder sogar das Sofa berührt, wenn ich die Beine breit mache." Seit Herbst 2019 nimmt Luisa bewusst zu.

In sozialen Netzwerken namens Feabie oder Grommr treffen sich Fettliebhaber wie Luisa virtuell. Statt ihres Gesichtes zeigen die Menschen dort ihre dicken Körper. Sie unterstützen sich gegenseitig beim Zunehmen, posten Bilder, die zeigen, wie dick der Bauch oder die Busen geworden sind, und verlieben sich manchmal ineinander. Fast 100.000 Mitglieder auf diesen Netzwerken bezeichnen sich als Feeder, Feedee, Fat Admirer oder BBW/BBM (Big Beautiful Woman/Man).

Feeding ist eine sexuelle Subkultur, die Gewichtszunahme und übermäßiges Essen zelebriert. Der Begriff „Feeder" wird abgeleitet vom englischen Verb „to feed" und heißt übersetzt „füttern". In der Regel gibt es einen Feeder, also eine Person, die füttert, und einen Feedee, eine Person, die gefüttert wird. Deutliches Übergewicht gilt als sexuell attraktiv. Feeding ist gleichzeitig Vorspiel, passiert während des Sex oder als Belohnung danach. Für manche Feeder und Feedees ist Essen so intim, dass es undenkbar wäre, beim ersten Date in ein Restaurant zu gehen. Das fühle sich an, als müsse man sich vor fremden Menschen komplett entkleiden.

Luisa ist Feedee. Ihren schlanken, sportlichen Freund lernte sie über das Netzwerk kennen. Manchmal füttert er sie vor dem Sex, bekocht sie, bringt Lieblingspralinen oder Snacks für zwischendurch mit. „Mittlerweile hängt mein Bauch so sehr, dass er meinen Intimbereich verdeckt und mein Freund ihn hochheben muss. Das ist einfach ein megageiles, dekadentes Gefühl."

In der Sexualwissenschaft spielt Feeding laut Psychotherapeutin Vivienne Jückstock keine besondere Rolle. „Im klinischen Bereich der Sexualtherapie taucht das Feeding kaum bis gar nicht auf. Auch aktuelle sexualwissenschaftliche Untersuchungen zu dem Thema sind mir nicht bekannt." Suchmaschinen liefern nur eine Handvoll passender Ergebnisse. Stattdessen stößt man auf Themen wie Babys stillen oder Tiere füttern. Klar, Feeding hängt mit körperlicher Nähe zusammen. Wir alle wurden als Kind gefüttert, lassen uns im Restaurant gegenseitig probieren, und irgendwann füttern wir vielleicht unsere Eltern. Aus evolutionsbiologischer Sicht ist Küssen eine Weiterentwicklung des Fütterns. Zumindest bei Vögeln, die ihre Beute mundgerecht zerteilen und Schnabel an Schnabel an ihre Küken weitergeben. Halten wir also fest: Gefüttert werden normalerweise nur die, die es selbst nicht können. Und dann hat es in der Regel nichts mit Sex zu tun. Außer eben, jemand denkt dabei an den Fetisch Feeden. Es gibt Fälle, bei denen das ohne Einwilligung passiert und der Feeder den Feedee psychisch oder physisch missbraucht, indem er die Person ständig animiert zu essen. Das kann so weit gehen, dass der Feedee sich ohne fremde Hilfe nicht mehr bewegen kann. Es gibt aber auch Mitglieder bei Feabie, die genau solche Fantasien erregen. Einer gesteht: „Wäre es finanziell möglich, würde ich mein Leben komplett der Mast hingeben und mich tagein, tagaus mästen lassen, ohne die Räumlichkeiten zu verlassen. So lange, bis ich bewegungsunfähig bin oder sterbe."

Weil solche sexuellen Neigungen nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen, werden sie meist als krankhaft oder problematisch angesehen. Die Fat-Acceptance-Bewegung, die gegen die Diskriminierung dicker Menschen kämpft, akzeptierte allerdings zunächst das Feeding. Heute grenzt sie sich jedoch davon ab und bezeichnet es teilweise als pathologisch.

Auch in der Kultur wird die sexuelle Spielart thematisiert: Die thüringische Dark-Metal-Band Eisregen griff das Thema Feeding im Lied „Zauberelefant" auf. Es erzählt von einer Frau, die zu Tode gemästet wird. Eine ähnliche Geschichte wird in dem australischen Horrorfilm „Feed - friss und stirb!" dargestellt, in dem ein Polizist einen fetischistischen Mörder jagt.

Für Daniel ist Feeding Leidenschaft, zu der niemand gezwungen werden soll. Solche Horrorfilme würden nicht seiner Realität entsprechen. Der Schweizer ist wie Luisa manchmal bei Feabie unterwegs. Zusätzlich veröffentlicht er Videos und Texte über Feeding auf YouTube und seiner eigenen Webseite unter dem Pseudonym Rubens Feeder. Daniel steht darauf, andere zu mästen und auch selbst fett zu werden. Er ist zugleich Feeder und Feedee. Vor zehn Jahren zog er vom Bodensee in die Vereinigten Staaten - in das Land, in dem über 73 Prozent der Erwachsenen übergewichtig sind. In seinen Videos geht es immer um dasselbe: essen und seine dicke Wampe in die Kamera halten. Dabei filmt er sich meist von unten. Sein Bauch wirkt so wie ein riesiger Ballon, der Kopf mit der Glatze wie eine Miniaturausgabe davon. Er atmet absichtlich hörbar und schnell, während er mit beiden Händen den Bauch von unten anhebt. Das Fett bewegt sich träge nach oben und fällt schwer und schwabbelig herunter, wenn er wieder loslässt. Unterhalb des Bauchnabels zeichnen sich lilarote Dehnungsstreifen ab. Immer wieder klatscht er mit seiner riesigen Hand flach auf den Bauch. Für eines seiner Videos schrieb Daniel verschiedene Wörter auf seine nackte Wampe. Da steht im unteren Teil „Schürze", rechts neben dem Bauchnabel „Fett-Tunnel" mit einem Pfeil, der auf den Bauchnabel zeigt. Im oberen Bereich „Bauch aufblasen". Im Text unter dem Video die Erklärung dazu: „Stellt euch vor, ich wäre in einem Fettlabor. Die Worte auf meinem Bauch zeigen die verschiedenen Aspekte des Fetterwerdens. Ich wünschte, ihr Feeder wärt hier und würdet mir helfen, richtig schnell fett zu werden. So fett, dass mein Bauchnabel breiter und tiefer wird, ein Tunnel umgeben von Fett."

Daniel sagt, sein Leben drehe sich permanent darum, dicker zu werden. Weil er von Natur aus eher schlank wäre, hilft er mit spezieller Nahrung nach. Dafür mischt er Butter mit Öl und trinkt es flüssig oder verrührt es mit Paniermehl und Zucker zu einer Art Teig. Das, wovor sich viele ekeln, törnt Daniel unglaublich an. Er erzählt von zwei Typen Mensch beim Feeding. Jene, die gern qualitativ gut essen, und jene, die essen, um zuzunehmen. Dabei kommt es weniger darauf an, ob das Essen tatsächlich schmeckt. Obwohl sich Daniel als Gourmetkoch bezeichnet, ist Essen für ihn eher Zweck. Es dient dazu, seinen Körper zu mästen.

„Mich hat es schon als Kind fasziniert, wenn Menschen in Trickfilmen wie ein Ballon aufgeblasen wurden. Bewusst geworden ist mir mein Fetisch, als ich eine Szene aus dem Film ‚Charlie und die Schokoladenfabrik' sah." Sie zeigt ein kleines Mädchen, das einen Kaugummi schluckt. Daraufhin bläst sich ihr zierlicher Körper auf, und ihre Haut verfärbt sich wie eine lila Blaubeere. Auf seiner Webseite gibt Daniel Tipps, wie sich solche Fantasien in die Tat umsetzen lassen. Einer davon ist das Mästen mit einem Schlauch, wie bei Gänsen bei der Stopflebermast. Dazu führt der Feeder einen Schlauch in die Speiseröhre des Feedee. Für die ersten Male empfiehlt Daniel nur Wasser, als Eingewöhnung. Danach kippt man nach Belieben Butter, Öl, fettigen Brei mit Erdnussbutter in den Schlauch. Hauptsache, der Magen wird richtig voll. „Diese Art von Feeding ist sehr extrem, ich habe das nur ein paar Mal gemacht. Man muss sich gut auskennen, um sich nicht zu verletzen."

Bilder, wie er andere füttert oder gefüttert wird - Daniels Gehirn ist wie eine Antenne, die permanent extreme Fantasien empfängt. „Ich arbeite als Ingenieur, baue Informatiksysteme und Cluster. Das ist ein Witz dagegen, was die Natur schafft. Ich sehe mich als Bewunderer des weiblichen Körpers und stelle mir vor, alles Schöne, die Brüste, der Bauch und der Hintern, würden immer weiterwachsen."

Das war nicht immer so. Als Daniel anfing, Texte über Weight Gaining, zu Deutsch Gewichtszunahme, zu schreiben, war er schockiert von sich und von dem, was ihn anmacht. Doch je mehr er in der Szene auf Gleichgesinnte traf, desto offener wurde er. Am liebsten wäre ihm heute eine Partnerin, die seine Vorlieben teilt und bei der auch noch das Zwischenmenschliche passt. Da hatte er sich von den USA mehr erhofft. Anstatt seine große Liebe zu finden, stieß er bei Feabie jedoch auf Frauen, die nur angemeldet waren, um kostenlos Essen abzugreifen.

Das Internet erlaubt es Menschen wie Daniel oder Luisa, in einem geschützten Kreis Gleichgesinnter das zu tun, was sie antörnt: extrem viel und alles Erdenkliche zu essen, ohne schlechtes Gewissen. Eine Grenze gibt es dann aber doch - zumindest für Luisa und ihren Freund: „So mit Mitte oder Ende dreißig werde ich versuchen, aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr als neunzig Kilo zu wiegen." Schlank möchte Luisa aber auf keinen Fall werden. Dafür ist ihr hemmungsloses Essen zu wichtig, zu befriedigend und zu sinnlich. Die zusätzlichen Kilos sieht sie nicht als Strafe für den Genuss, sondern als Belohnung: „Essen und Sex sind zwei völlig natürliche Dinge, die zwei besten im Leben. Wieso also verzichten?"

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