Einen Tag, nachdem ihr Mann von Scheidung sprach, meldete sich Sabine Meyer, 53, bei einer Erotik-Plattform an. Nach 30 Jahren Ehe. Bei secret.de stieß sie auf Tom*, 33. Mit ihm trifft sie sich nun fast jeden Samstag. Der Sex ist hemmungslos, virtuos, "auf jeden Fall nicht normal", sagt Sabine und lacht wie ein Teenager. Sie hat eine kurvige Figur, Pagenschnitt und trägt dezentes Make-up. "Männer ab 18" hatte sie sich in ihrem Profil gewünscht - und sofort bekommen. "Es hat mich total gewundert, dass die Interesse haben." Bei ihren Ausflügen ins Netz hat Sabine beobachtet, dass sich gerade etwas gewaltig verschiebt. Dass immer mehr junge Männer auf Frauen stehen, die älter sind als sie selbst. Frauen, die im Erotiksprech MILF oder GILF genannt werden (Mother I' d like to fuck, Grandma I'd like to fuck).
Eine Randerscheinung, die sich zum Modell der Zukunft entwickelt. In jeder fünften Ehe ist sie älter als er, so das Statistische Bundesamt, bald gilt das wohl für jede vierte. Still und heimlich kommt diese Partnerschaftskonstellation in der Gesellschaft an, und zwar ohne Trommelwirbel - im Gegensatz zu anderen von der "Norm" abweichenden Paaren.
Das klassische Ideal hieß lange: er älter, sie jünger. Hat es sich überlebt? Frauen sind, das zeigen nun mal die Fakten, tatsächlich das stärkere Geschlecht. Besonders jene Ende 40, Anfang 50. Sie werden gesünder älter als die Männer, haben gelernt, sich im Job durchzusetzen und oft noch die Mutterrolle gewuppt. Sie sind sportlich, sie lieben Bücher. Und: Sie sehen mit Ende 40 aus wie ihre Mutter mit 30.
Eine Kontinentalverschiebung im Geschlechterverhältnis: Sah es in der Vergangenheit eher so aus, als würden nur mächtige Frauen sich einen jüngeren Mann gönnen (Katharina die Große, Madonna), suchen jüngere Männer heute ganz bewusst die Nähe älterer Frauen. Weil sie sich aufgehoben fühlen, die Unabhängigkeit der Partnerin genießen (auch die finanzielle) oder weil es im Bett gut klappt. Sexualtherapeuten bewerten dieses Duo als sehr sinnvoll, denn beider Libidokurven träfen sich deutlich öfter als bei anderen Konstellationen. Sein Hormonhaushalt sinkt ab Mitte 20, ihrer steigt bis 40. Hinzu komme, wie es der renommierte Sexualforscher Volkmar Sigusch sagt, "dass heutzutage junge Männer in den westlichen Kulturen nicht selten sexuell verunsichert sind und lieber den Schmusekater als den Karnickelbock abgeben". Die Konstellation "Erwachsene, starke Frau und junger Mann" hält Sigusch für "sexualkulturell perfekt".
Auch Paarcoach Eric Hegmann hat inzwischen in seinen Beratungsstunden Pärchen sitzen, bei denen sie älter ist. Auf Rockkonzerten hat er "attraktive Fünfzigjährige gesehen, die mit einer Zwanzigjährigen, die bei H&M bauchfrei kauft, mithalten können". Ohnehin seien es die Frauen, die entscheiden, ob eine Beziehung zustande kommt. "Frauen wählen, Männer lassen sich wählen." Eric Hegmann beobachtet, dass Männer sich in alle Richtungen ausprobieren, auch mit älteren Frauen. "Von denen können sie lernen, die wollen nicht nur shoppen."