Eric Hegmann

Chefredakteur, Paarberater, Hamburg

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Bindungsangst: "Eigentlich möchte ich keine Beziehung ..."

„Eigentlich möchte ich gerade keine Beziehung" - Was mit diesem Seufzer beginnt, endet häufig in einem Vorschlag: „Aber wir könnten Freunde sein UND Sex haben, Freundschaft Plus." Oder Mingles. Oder Friends with Benefits. Welcher Begriff für eine unverbindliche Affäre anstelle einer monogamen Beziehung auch immer gerade schick und angesagt ist.

Wer das sagt, begründet seinen Wunsch nach Freiraum meist mit „der alten Beziehung, die noch nicht verarbeitet wurde" oder „weil ich so verletzt wurde und Angst habe, wieder verletzt zu werden". Garniert mit einer emotionalen Geschichte und traurigen Augen. Zum Knuddeln eigentlich. Aber besser ist: Finger weg!


Dies sind die Gründe für Bindungsangst

Männer (aber auch Frauen), die solche offenen Beziehungsmodelle führen wollen, haben in den meisten Fällen vor allem Angst. Furcht vor Nähe, vor Verpflichtung, vor Bindung, vor einer erneuten Trennung. Die ist ihnen aber nicht immer bewusst. Viele von ihnen fühlen sich sogar permanent auf der Suche nach DER Traumpartnerin - sie haben sie nur bisher nicht gefunden.


Irgendwas ist immer. Für die Zeit dazwischen käme aber durchaus eine lockere Beziehung / Affäre / Freundschaft Plus in Frage. Also eine Übergangsbeziehung mit einer Übergangspartnerin. Das ist wahrlich kein bequem wirkender Platz zwischen zwei Stühlen. Dennoch lassen sich viele Frauen darauf ein. Sie hoffen, sie würden den Mann helfen, heilen, überzeugen können - kurz: ihn in sich verliebt machen. Aber leider, das wird fast nie etwas.


Bindungsangst ist komplex, weil die Bindungshaltung in der frühkindlichen Phase entwickelt wird. Erhält ein Kind Zuneigung und Aufmerksamkeit und fühlt sich sicher, dann wird es sich durch Nähe kaum bedroht fühlen. Wer jedoch erlebt hat, dass Gefühle erst einmal verdient werden müssen, wird in Beziehungen eher ängstlich sein. Und vermeidend sind später die, die fürchten, in einer Partnerschaft sich aufgeben zu müssen und zuwenig Raum für eigene persönliche Entfaltung und Entwicklung zu erhalten.

 

Mit Argumenten lässt sich Bindungsangst nicht weg"sprechen" oder zerreden. Es braucht vielmehr positive Erlebnisse, um die Furcht zu überwinden. Nicht nur eines oder zwei während der ersten Wochen der Kennenlernphase, sondern immer wieder welche, meist über Jahre hinweg. Viele Frauen interpretieren vermeidendes Verhalten jedoch als Unfähigkeit, sich zu entscheiden. Sie fühlen sich angespornt, nun besonders viel in diesen Mann und die mögliche Beziehung mit ihm zu investieren. Oft stimmen sie deshalb zu, ein unverbindliches Beziehungsmodell zu wählen. Nach wenigen Wochen Freundschaft Plus stellen sie frustriert fest: Sie haben sich noch ein Stück weit mehr in die Idee einer Beziehung mit diesem Typen verliebt - während der weiterhin nicht zu wissen scheint, was er will.


Aber das ist ein Trugschluss. Der weiß das. Er hat es ja auch zu Beginn gesagt: Keine Beziehung. Dass Bindungsangst sein Antrieb ist, weiß er nicht unbedingt. Doch das ändert nichts an dem Ausgang dieser Affäre mit gebrochenem Herz und vielen Tränen. Bindungsangst kann nur überwunden werden, wenn der Betroffene selbst daran arbeiten möchte. Leider ist das nicht oft der Fall. Denn es ist ja nicht das Alleinsein oder die Ungebundheit, unter denen sie leiden, sondern das Zuviel an Verpflichtung und Nähe. Der Antrieb, etwas zu verändern, um etwas zu erhalten, was man gar nicht möchte, wovor man sogar Angst hat, ist minimal. Kein Leidensdruck bedeutet keine Anstrengung.


„Eigentlich möchte ich gerade keine Beziehung" ist ein Nein in sechs Worten. Sag auch du Nein, wenn dir lockere Beziehungsmodelle zu wenig sind. Du wirst ihn nicht überzeugen können. Und falls du immer nur an solche vermeidenden und ängstlichen Männer gerätst: Vielleicht steckt hinter diesem Muster sogar deine eigene Furcht vor Nähe. Denn sich in unerreichbare Männer zu verlieben, ist eine super - unbewusste - Strategie, Beziehungen zu vermeiden.


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