Eric Hegmann

Chefredakteur, Paarberater, Hamburg

1 Abo und 3 Abonnenten
Artikel

Ohne Vertrauen ist alles sinnlos

Was wir wirklich in der Liebe brauchen: Keine Model-Maße, kein dickes Bankkonto, sondern einen vertrauenswürdiger Partner und Mut, Vertrauen zu schenken

Wir wünschen uns einen Partner, dem wir vertrauen können. Vertrauen hat viele Gesichter. Sich fallen lassen und aufgefangen werden. Sich gehen lassen und dafür nicht verurteilt werden. Schlecht drauf zu sein und verstanden zu werden. Keine Lust zu haben und nicht betrogen zu werden. Allein sein zu wollen ohne allein gelassen zu werden. Alt zu werden ohne gegen etwas Jüngeres ersetzt zu werden. Vertrauen ist einfach alles.


Warum ich in der Beratung so viele Beziehungen zerbrechen sehe? Weil die Partner das Vertrauen verloren haben. Die Affäre oder der Seitensprung ist dabei der manifestierte Vertrauensverlust. „Du hast mir deine Wünsche nicht gesagt, vielleicht hätte ich sie erfüllt. Aber ich kannte sie gar nicht. Du hattest Angst, sie mir zu sagen. Du hattest nicht genug Vertrauen, ich war nicht vertrauenswürdig genug."


Liebe ohne Vertrauen ist wertlos


Um das Herz einer Person zu gewinnen, braucht es weder Geld noch gutes Aussehen. Vertrauenswürdig müssen Sie sein. Dass Sie das Herz, das Ihnen jemand schenkt, nicht nehmen und zerbrechen, sobald Sie ein anderes haben können. Dass Sie für die Kinder da sind, dass Sie Verantwortung übernehmen. Dass Sie sich nicht aus dem Staub machen, wenn es brenzlig wird.


Es sind die kleinen Gesten, die Verantwortung zeigen. Viele von ihnen wirken altmodisch. Auf dem Gehweg auf der Straßenseite laufen beispielsweise. Das zeigt, dass Sie bereit sind, Risiko einzugehen. Selbstlos. Weil Ihnen die Sicherheit der Person neben Ihnen wichtiger ist als die eigene. Pünktlichkeit beispielsweise. Es geht nicht nur darum, dass Ihnen nicht Ihre Zeit wertvoller sein sollte als die der geliebten Person, sondern ebenso darum, dass diese sich keine Sorgen machen sollte. Die Angst vor Verlust ist Gift fürs Vertrauen. Das gilt auch für die großen und kleinen Versprechen. „Ich mache das am Wochenende!" ist entweder eine verbindliche Ansage oder Wischiwaschi. Sie bestimmen durch Ihr Tun, ob man sich auf Sie verlassen kann.


Ist das antiquiert? Ja.

Schön? Ja.

Gibt es ein Gefühl von Sicherheit? Ja!

Schenkt ein solches Verhalten Vertrauen? Oh ja!


Viele Frauen verzweifeln an der Unverbindlichkeit von Männern, die ihre Individualität und Freiheit geniessen wollen. Das verunsichert sie. „Bin ich wirklich seine Priorität Eins?" Es ist nicht das Motorrad, das Kite-Surfen oder das Bergsteigen, das ihnen Angst macht. Frauen finden es durchaus schick, wenn der Mann mutig ist und selbstbewusst, sein Ding durchzieht. „Aber denkt er dabei auch an mich, an das, was wäre, wenn ich ohne ihn für mich und unsere Kinder sorgen müsste? Kann ich seinem Verantwortungsgefühl vertrauen? Geht er Risiken mit Augenmaß ein? Oder verliert er sich in seinem Wunsch nach Selbsterfüllung?"

Angst vor Verlust ist Gift fürs Vertrauen


„Er lässt sich gehen", klagen viele Frauen nach einigen Jahren Beziehung. Es ist nicht so, dass sie nicht nachfühlen könnten, dass ihre Männer das Bedürfnis haben, abends endlich den Anzug gegen die Jogginghose zu tauschen - und dennoch geliebt zu werden. Sie möchten schließlich ganz genauso wissen, dass sie begehrt werden ohne MakeUp und High-Heels, im Samstagmorgen-Look und mit Augenringen und ungewaschenen Haaren. Sie wagen es nur nicht, denn sie befürchten, er würde sie nicht mehr begehren. Sie sind unsicher, ob sie ihm vertrauen können, sich so zu zeigen, wie sie eben auch manchmal sind: kein Super-Model, kein Objekt der Begierde, keine Superheldin, die zwischen Job, Haushalt, Babywäsche und Problemmüllhalde sowohl Oscar als auch Friedensnobelpreis verdient hat. Wir können davon ausgehen, dass Amal Clooney und Angelina Jolie-Pitt auch mal schlecht drauf sind und echte Biester sein können. Und das ist OK, denn es ist menschlich. Es braucht Vertrauen, sich selbst und dem Partner das zuzugestehen.


Wir alle sind nicht nur die Helden, die ganze Generationen beeinflussen und retten und ebensowenig sind wir in allen Bereichen Looser, die nichts auf die Reihe bekommen. Manchmal gelingt etwas nicht und wir scheitern. Wir sind das alles eben auch. Aber nicht immer. Und wir wünschen uns, dass unser Partner uns vertraut, dass aus dem Morgenmuffel wieder eine Frohnatur werden wird, wenn man sie denn lässt.


Am Ende der Spirale steht meist der körperliche Betrug. Weshalb ein Seitensprung so schmerzhaft ist? Es geht um die einseitige Aufkündigung einer exklusiven Vereinbarung, um die psychische Verletzung, weniger begehrenswert zu sein als eine andere Person. Nun sind die meisten Menschen realistisch und erwarten nicht, dass der Partner allen Ernstes sagen würde, im direkten Vergleich seien Ryan Reynolds und Scarlett Johannson nur hässliche Trolle. Es geht um Vertrauen. Wir wollen vertrauen können, dass keine kleine Schwärmerei uns und unsere Liebe bedrohen wird. Und wir möchten unsere eigene Fantasie pflegen, ohne das Misstrauen, wir würden dafür gleich aufgeben, was wir haben.


Ohne Vertrauen bleiben wir Einzelkämpfer


Liebe ohne Vertrauen ist wertlos. Das macht es so wichtig, mutig zu sein, Wünsche und Hoffnungen und ebenso Ängste und Befürchtungen formulieren zu können. Nur in einer Atmosphäre des Vertrauens ist es möglich, nicht verletzt zu werden. Dann können wir uns öffnen, Liebe geben und annehmen.

Es ist schön, wenn wir mit uns selbst im Reinen sind, wenn wir mit uns befreundet sind, vielleicht sogar, wenn wir uns selbst lieben können. Wichtiger aber ist, dass wir Vertrauen schenken und selbst vertrauenswürdig sind.


Deshalb sind bereits die kleinen Geheimnisse und die großen Lügen so gefährlich für die Liebe. Sie höhlen aus, was uns zusammen bringen könnte. Dazu gehört Mut. Sich mit all seinen Facetten zu zeigen und lieben zu lassen. Furchtlos die Andersartigkeit des Partners voller Respekt und Verständnis als Bereicherung und nicht als Bedrohung zu sehen.

Egal von welcher Seite man es betrachtet: Ohne Vertrauen sind Partner kein Paar sondern Einzelkämpfer. Falls Sie also eine Liste mit den Attributen Ihres Traumpartners haben: Streichen Sie alles, was nicht wirklich wichtig ist. Am Ende bleibt: Ich kann ihm / ihr vertrauen.


Zum Original