Eric Hegmann

Chefredakteur, Paarberater, Hamburg

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Bindungsangst und ihre Folgen

Lässt sich Bindungsangst besiegen? Was sind eigentlich Mingles? Und was haben die mit der Generation bindungsunfähig oder Generation beziehungsunfähig zu tun?

Lässt sich Bindungsangst besiegen? Was sind eigentlich Mingles? Und was haben die mit der Generation bindungsunfähig oder Generation beziehungsunfähig zu tun?

Beziehungsunfähig, bindungsunfähig - gibt es das überhaupt? Lassen Sie uns über Bindungsangst reden, woher sie kommt und wie man damit umgehen (lernen) kann.


Fangen wir an mit den Mingles. Was ist ein Mingle überhaupt?

Der Mingle an sich kommt selten allein. Mingles kommen als Paar. Aber als eines, das nur so halb zusammen ist. Das kommt vielen Menschen bekannt vor aus der Phase, wo sich zwei Menschen nicht ganz sicher fühlen, wie verliebt sie sind, was daraus noch werden kann und ob man es miteinander probieren möchte. Man datet sich, hat aber prinzipiell die Möglichkeit, andere zu daten, aber man unternimmt durchaus auch abseits des Schlafzimmers etwas miteinander. Man teilt die guten Zeiten und zu den schlechten Zeiten bleibt jeder für sich.


Mingles teilen die guten Zeiten und zu den schlechten Zeiten bleiben sie für sich

Daran sieht man bereits: die erfüllende Partnerschaftsform ist eine Mingle-Beziehung nicht. Bei dem Begriff „Mingles" handelt sich um ein Kunstwort, das aussagen soll: Nicht Single, nicht in einer Partnerschaft. Es ist ein wenig Freundschaft plus oder Friends with Benefits. Mingles leben eine verbindliche Unverbindlichkeit und versuchen, das Beste aus dem Single-Leben, also die Freiräume und die Selbstentfaltungsmöglichkeit, mit dem Besten der Liebesbeziehung, also Nähe, Vertrautheit und Geborgenheit, zu verbinden. Das funktioniert sicher für einige Paare. In den meisten Fällen aber ist es so, dass sich hier jemand nicht entscheiden möchte und eine andere Person darunter leidet und das mitmacht in der Hoffnung, es würde doch noch zu einer Beziehung kommen.


Ach. Also steckt hinter dem Mingle-Beziehungsmodell im Prinzip nichts anderes als Bindungsangst?

Ein klares Jein. Manche Mingles sind gerade aus einer Beziehung raus und möchten noch keine neue eingehen. Aber grundsätzlich bilden Mingles nach meiner Meinung durchaus das aktuelle Thema Bindungsangst ab. Ich arbeite zur Veranschaulichung gerne mit dem Modell der Bindungstheorie. Nach der brauchen Menschen Nähe, sonst sterben sie. Etwa die Hälfte der Menschen haben einen sicheren Bindungsstil, sie lassen sich nicht leicht verunsichern, werden nicht übermäßig eifersüchtig, sind selbstbewusst in einer nicht extremen Ausprägung, in keine Richtung. Ein Viertel ist eher unsicher-ängstlich. Hier haben wir es meist mit einem schwächeren Selbstbewusstsein zu tun. Diese Personen sehen sich stark nach Nähe und ihr Bindungssystem wird deshalb aktiviert durch einen Menschen, der sich zurückzieht. In eine Rückzugsphase der begehrten Person investieren sie nun Emotionen und Anstrengungen, denn das euphorisiert und sorgt für Glücksgefühle. Dagegen stehen die vermeidenden Bindungstypen, ebenso etwa ein Viertel. Die suchen ebenfalls Nähe, aber ihre Identität in einer Beziehung aufgeben, das macht ihnen Angst. Sie ziehen sich zurück, wenn es zu nahe wird. Was sie euphorisiert ist, wenn sich jemand um sie bemüht - obwohl es ihnen Angst bereitet, wenn dadurch Nähe hergestellt wird.

Auf dem Marktplatz der Partnersuchenden werden Sie die sicheren Typen selten finden. Die sind nämlich nur kurz Single. Dagegen treffen sich die unsicheren und die vermeidenden Typen besonders häufig, möglicherweise dank Internet-Dating heute häufiger als früher. Allerdings ist das nur eine These. Die Kombination unsicher und vermeidend ist für die Partner eine sehr anstrengende und gleichzeitig sehr befriedigende Beziehung ein. Denn wie beschrieben wird durch den Rückzug wird beim ängstlichen Typ das Bedürfnis aktiviert, sich zu engagieren, was euphorisiert - der vermeidende Typ erhält dadurch Bestätigung für sein Ego, was er sehr schätzt, gleichzeitig ist er auf dem Sprung, wenn die Nähe zu eng wird. Wie bereits Fritz Riemann aufzeigte: Menschen werden von Ängsten getrieben.

Ist das denn nun der Grund dafür, dass sich Menschen nicht mehr binden möchten und auch können?

Das lässt sich nur im Einzelfall wirklich festmachen, aber Bindungsangst hat mit Selbstbewusstsein zu tun. Für mehr Selbstwertgefühl gibt es die populäre Parole: Liebe dich selbst! Ich erlebe das als sehr hoch gesetzt und damit für viele Menschen schwer erreichbar. Mit sich selbst befreundet zu sein, ist meiner Meinung nach bereits eine super Basis für ein zufriedenes Leben. Liebe dich selbst hat doch bereits viel von dem Zwang zur Selbstoptimierung. Und der ist doch letztlich Ausdruck eines wenig ausgeprägten Selbstbewusstseins. Diese Selbstoptimierung ist eine Folge des Wunsches nach der perfekten Beziehung. Für die suche ich einen perfekten Partner und dazu muss ich mich natürlich selbst perfekt machen, denn es gibt reichlich Konkurrenz. Ein Kreislauf, der dadurch angeregt wird, dass Nähe immer verletzlich macht, weil sie aufzeigt: Perfektion gibt es nicht.


Damit sind wir also bei der Generation bindungsunfähig?

An eine Generation bindungsunfähig glaube ich nicht. Zunächst halte ich nur wenige Menschen für tatsächlich unfähig, eine Bindung einzugehen. Der Wunsch anch Nähe und Zusammenhalt ist evolutionär zu stark. Immerhin bedeutete stammesgeschichtlich vor noch nicht langer Zeit der Ausschluss aus der Gruppe den sicheren Tod. Die kleinste Gruppe, also das Paar, ist deshalb ein bleibendes Bedürfnis, das erfüllt werden muss - wenn auch nur kurzzeitig, also durch eine Affäre oder eben eine Mingle-Beziehung. Dass sich viele Menschen als bindungs- oder beziehungsunfähig bezeichnen ist für mich Ausdruck dieses Bedürfnisses nach Nähe - und sei es eben in der Gruppe, die vor Bindung Angst hat. Denn der Wunsch nach Nähe lässt nicht völlig wegfürchten.

 

Kommen denn Mingles aus zerrüttenden Familienverhältnissen oder aus Familien, in denen die Eltern kein Modell einer stabilen Partnerschaft vorgelebt haben?

In der Beratung erlebe ich häufig, dass eine Trennung der Eltern als Grund von ängstlichen oder vermeidenden Verhaltensweisen in der eigenen Beziehung genannt wird. Sicher ist, Bindungsverhalten wird zu großen Teilen in früher Kindheit durch die Bezugspersonen, also meist die Eltern geprägt. Und später durch Beziehungserfahrungen. Ich möchte aber Forschern überlassen zu beantworten, ob eine Zunahmen von Scheidungskindern zu mehr Menschen mit unsicherem oder vermeidendem Bindunsgverhalten führt. Ich beschäftige mich eher mit den Folgen. Und da vergessen viele Menschen: Unabhänging von Vorbilder kann jedes Paar alles verhandeln. Es gibt kein gutes oder schlechtes Bedürfnis nach Nähe oder Distanz. Das ist wie es ist. Auch wenn es beispielsweise unbeständig wäre. Es gibt Verhaltensweisen, die in bestimmten Situationen eher schädlich sind für die Beziehungszufriedenheit, doch die sind dann individuell. Was dem einen Paar Glücksmomente beschert, wäre für ein anderes paar ein Konflikt.


Betrifft Bindungsangst eher die Jugend oder auch die ältere Generation, die genug schlechte Erfahrungen mit Beziehungen gemacht hat?

Das Alter schützt vor Bindungsangst nicht. Es gibt eine große Gruppe jüngerer Menschen, die sich aus Furcht, den falschen Partner zu wählen, sich gar nicht für einen entscheiden können. Es geht jedoch dabei, denke ich, in der Masse nicht um die vermeintliche Auswahl. Die meisten Singles auf Partnersuche wären nämlich froh, wenn sie einen halbwegs passenden Partner finden würden. Ich weiß auch nicht, woher die Idee kommt, an jeder Ecke würde etwas Besseres warten. Das stimmt einfach nicht.


Hohe Ansprüche sind ein erfolgreicher Beziehungsverhinderer


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